KOMMENTAR VON MARTIN ENGELBERG
Es ist zwar schon einige Woche her, aber die Mauthausen-Gedenkveranstaltung am 5. Mai im Parlament, vor allem das eindringliche Statement von Michel Friedman, seine heftige Kritik an der (implizit gemeinten) FPÖ und der (explizit genannten) ÖVP, ist noch deutlich in Erinnerung. Der FPÖ gegenüber gelte es das „Wehret den Anfängen“ zu beherzigen. Die ÖVP träfe die Schuld, die FPÖ durch zweimalige Koalition, „gekoschert“ (eigentlich „gekaschert“) zu haben.
Bei dieser Gedenkveranstaltung im Bundesversammlungssaal gingen mir, als in vielfacher Hinsicht Betroffener, viele Gedanken durch den Kopf: Als Jude, dessen Familie ebenfalls großteils in der Schoa ermordet wurde, noch dazu in Krakau und dem nahegelegenen KZ Auschwitz, wo auch Friedmans Familienangehörige getötet wurden; als einziger jüdischer Abgeordneter im österreichischen Parlament; als Abgeordneter der ÖVP, die sich zwischen 2017 und 2019 in einer Koalition mit der FPÖ befand.
In erster Linie bin ich sehr vorsichtig bei Vergleichen zwischen der Schoa und heutigen politischen Entwicklungen. Immer und immer wieder verwehre ich mich dagegen, wenn leichtfertig Parallelen gezogen werden; wenn Begriffe wie Holocaust, Judenstern usw. in allen möglichen und unmöglichen Kontexten missbraucht werden. Michel Friedman ein wenig kennend, gehe ich davon aus, dass er ähnlich denkt. Umso überraschter war ich, dass er eine Gedenkveranstaltung anlässlich des Jahrestages der Befreiung des KZ Mauthausen missbrauchte, um genau eine solche und wie ich meine unzulässige Querverbindung herzustellen. Wer bei einer Holocaust-Gedenkveranstaltung von „Wehret den Anfängen“ spricht, drückt damit aus, dass die heutige FPÖ die Nazis der 1930er Jahre sind. Bei aller möglichen und angebrachten Kritik an der FPÖ halte ich einen solchen Vergleich für unzulässig und gleichzeitig für eine Verharmlosung der Nazis.
Zweitens sollte die FPÖ für das kritisiert werden, was Friedman ihr zurecht ankreidete: Insbesondere unter ihrer jetzigen Führung schürt die Partei (wieder) Hass und Zwietracht in der österreichischen Gesellschaft. Sie verwendet in Wahlkämpfen rassistische Narrative. Und schließlich duldet sie seit Jahr und Tag Funktionäre und Mitglieder in ihren Reihen – „Kellernazis“, wie sie inzwischen landläufig genannt werden –, die sich von nationalsozialistischem Gedankengut nicht abgrenzen, ja sogar mitunter einem solchen huldigen. Das habe ich in Reden im Nationalrat und öffentlichen Statements angeprangert, ohne aber das – üble – Handeln von Teilen der FPÖ und insbesondere deren gegenwärtiger Führung mit jenem der Nationalsozialisten gleichzusetzen.
Drittens irritierte mich Friedmans entweder unwissende oder undifferenzierte Wahrnehmung der österreichischen politischen Realität: Seit über drei Jahren befindet sich die ÖVP in einer Koalition mit den Grünen. Und die Frage des Umgangs mit der FPÖ stellt sich nicht erst seit dem Jahr 2000, als die ÖVP unter Wolfgang Schüssel zum ersten Mal eine Koalition der ÖVP mit der FPÖ einging. Mit einem Mindestmaß an Information und Sachlichkeit muss man wissen, dass es mindestens seit dem Jahr 1970 und dem Agieren von Bruno Kreisky immer wieder darum ging, ob und wie die FPÖ in den österreichischen „Verfassungsbogen“ eingebettet werden könne.
Damals waren die moralische Herausforderung und die Nähe zum Nationalsozialismus noch viel größer, saßen doch zu dieser Zeit noch zahlreiche ehemalige Nazis in Spitzenpositionen der FPÖ (und nicht nur in dieser Partei!). Kreisky regierte von 1970-1971 mit Duldung der FPÖ; 1983 ging die SPÖ eine Koalition mit der FPÖ ein. Die Sozialisten waren sogar bereit, Friedrich Peter zum Dritten Nationalratspräsidenten zu wählen, obwohl Simon Wiesenthal einige Jahre davor aufgedeckt hatte, dass ebendieser Friedrich Peter, Parteichef der FPÖ, als SS-Obersturmführer in der berüchtigten Einsatzgruppe C gedient hatte, die zehntausende Juden erschossen hatte – Männer, Frauen und Kinder. Obwohl seine Einheit fast ausschließlich in solche Aktionen involviert war, bestritt Peter nach dem Krieg, dass er an diesen Vorgängen beteiligt war oder davon gewusst habe. Historiker hielten es für ausgeschlossen, dass Peter nichts von den Ermordungen wusste und für unwahrscheinlich, dass er nicht daran beteiligt war. Bruno Kreisky (und mit ihm die SPÖ) stand Peter – trotz all dem – in dieser Auseinandersetzung mit Simon Wiesenthal bei.
Wiewohl Friedman natürlich sehr wohl berechtigte Kritikpunkte ansprach, beschäftigte mich schließlich viertens nicht nur die Frage der Unangemessenheit von Friedmans Statement, sondern auch dessen Sinnhaftigkeit: Nichts ist bei politischer Kritik schädlicher, als wenn sie zum falschen Zeitpunkt, unverhältnismäßig und unsachlich geäußert wird. Dann nämlich hat Kritik den genau gegenteiligen Effekt: Es fällt dem Angesprochenen leicht, die Worte insgesamt abzutun. Aus unmittelbarer Nähe konnte ich das bei der Veranstaltung wahrnehmen: Norbert Hofer, als Dritter Nationalratspräsident in der ersten Reihe sitzend, drehte sich während Friedmans Rede empört zu dem direkt hinter ihm sitzenden FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl um und fragte, ob die Freiheitlichen nicht aus Protest aufstehen und hinausgehen sollten. Kickl schüttelte nur mit einem zufriedenen Schmunzeln den Kopf: Er hatte offensichtlich die Situation und Stimmung blitzschnell erfasst. Friedmans Suada würde der FPÖ nur noch mehr Leute zutreiben, die mit dieser Kritik nichts anfangen konnten.
So bleibt fünftens schließlich die Frage nach dem „Wie weiter“ mit der FPÖ in der österreichischen Innenpolitik. Bevor ich mich an möglichen und unmöglichen Koalitionsvarianten nach einer nächsten Wahl beteilige, komme ich zum wiederholten Mal zu meiner Schlussfolgerung: Eine FPÖ kann nicht durch einen Cordon Sanitaire wirkungsvoll und vor allem dauerhaft bekämpft werden. Schon gar nicht durch unsachliche und unangemessene Kritik und Nazi-Vergleiche. Es liegt ausschließlich an den Zentrumsparteien, allen voran der ÖVP und der SPÖ, eine Politik zu machen, die populistische Parteien wieder dorthin verdrängt, wo sie hingehören: An den Rand des politischen Spektrums und in die Bedeutungslosigkeit. Das gilt übrigens nicht nur für die FPÖ, sondern genauso auch für die – zuletzt plötzlich wiedererstarkende – kommunistische Partei. An einer solchen Arbeit mag ich mich, im Dienste dieses Landes, sehr gerne beteiligen. Die Rede Friedmans lieferte jedenfalls keinerlei Beitrag dazu, wenn sie nicht sogar kontraproduktiv war.