Das von der österreichischen Bundesregierung vage angekündigte „Holocaust-Museum“ bleibt eine Idee, deren Umsetzung sich sicher verzögern wird.
von Gerhard Jelinek
Nichts wirkt stärker als eine Erzählung über das persönliche Erleben. Im Falle von Holocaust-Opfern, ist es das Erzählen über persönliches Erleiden, über Angst, Qual, Erniedrigung, Verlust und Widerstand und Lebenskraft. In den vergangenen Jahrzehnten haben tausende Opfer der Shoa immer wieder über ihr persönliches Schicksal berichtet. Sie waren Zeugen eines einmaligen Verbrechens und Zeugen einer furchtbaren Zeit. Ihr Zeugnis sollte vor eine Wiederholung warnen, die Nachgeborenen für die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung Europas durch die rassistische Ideologie des Nationalsozialismus „sensibilisieren“. Das ist über längere Zeit gelungen.
Denn 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, nach der Beseitigung des Nazi-Regimes, nach der Wiederherstellung Österreichs als demokratischer Staat wird dieses „Nie wieder!“ immer leiser. Nur noch ganz wenige Stimmen können unmittelbar von dieser Zeit und ihren Verbrechen erzählen. Gerade heute, da in vielen Familien die Erinnerung an Vergangenes kaum noch von einer Generation auf die andere weitergegeben wird, ist es umso notwendiger das Wissen um die NS-Verbrechen zwischen 1933 und 1945 zu bewahren. Es gibt in Österreich eine Vielzahl von Gedenk- und Erinnerungsstätten, aber es gibt kein zentrales Holocaust-Museum, das sich ausschließlich der Täter- und Opfergeschichte widmet. Ist es überhaupt notwendig? Kann dieses monströse Verbrechen „museal“ werden?
Die österreichische Regierung plant jedenfalls ein Holocaust-Museum. So wurde es im Koalitionsabkommen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS festgeschrieben. Das Bekenntnis zur Errichtung eines neuen Museums fiel dabei relativ unverbindlich aus. Der für diese Angelegenheit in der Regierung zuständige Staatssekretär Alexander Pröll spricht von einer „Machbarkeitsstudie“. Das sei ein klares Signal für das Wollen dieser Regierung. “Derzeit bereiten wir alles vor, denn die Errichtung eines solchen Museums ist ein großes, budgetrelevantes Projekt“, räumt Pröll ein.
Ursprünglich sollte die Studie bereits im Frühsommer dem Ministerrat vorgestellt werden. Der Sommer zog übers Land, allein die Studie blieb unveröffentlicht. Dabei sind die Eckpunkte eines Holocaust-Museums vorgegeben. Als Standort wird Wien ins Auge gefasst. In den Regierungsverhandlungen war ein Holocaust-Museum mit angeschlossenem Shoah-Forschungszentrum für Österreich Thema – allerdings nicht in der Untergruppe „Kunst & Kultur“, sondern im Ressort „Verfassung, Deregulierung, Öffentlicher Dienst, Kampf gegen Antisemitismus & politischer Islam“ verankert.
Die ursprüngliche Anregung erfolgte schon vor drei Jahren. Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Oskar Deutsch, hatte angesichts der schwindenden Zahl an Zeitzeugen die Gründung eines Holocaust-Museums als Erinnerungsort vorgeschlagen, das sich der nationalsozialistischen Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden widmen soll. Als Vorbild wurden Einrichtungen wie Yad Vashem in Jerusalem oder das Holocaust-Museum in Los Angeles genannt, wo Zeitzeugen virtuell per Hologramm erlebbar sind. Im deutschsprachigen Raum fehle eine vergleichbare Institution. Auch der frühere Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) sprach sich für ein solches Zentrum mit angeschlossener Forschungseinrichtung aus. Neben Sobotka engagierte sich auch die heutige Salzburger Landeshauptfrau Karoline Edtstadler in ihrer früheren Funktion als Europaministerin für ein Holocaust-Museum und bezeichnete es als „zentrale kulturpolitische Forderung“.
Staatssekretär Alexander Pröll ist jetzt innerhalb der Koalition mit dem Vorhaben betraut: „Durch die Errichtung eines Holocaust Museums (ÖHM) soll ein Ort entstehen, der kommende Generationen dabei unterstützt, sich der Geschichte zu stellen – um sie nie zu vergessen. Es geht um die Aufarbeitung der Tätergeschichte, Bewahrung der Geschichten der Opfer.“ Es ginge darum, die Verantwortung der Republik Österreich zu betonen und sie im kollektiven Bewusstsein wachzuhalten.
Das ist kein leichtes Unterfangen. Angesichts der demografischen Entwicklung – aber auch durch die Massenzuwanderung aus islamischen Ländern, die keinen Bezug zum europäischen Holocaust und den Verbrechen der NS-Diktatur haben und daher auch keine Erinnerungen daran tradieren können – sind neue Strategien notwendig. Es wäre auch unbedacht, die Augen vor dem importierten Antisemitismus und der expliziten Judenfeindlichkeit vieler Migranten zu verschließen. Diese Menschen kommen aus Kulturen, in denen der Judenhass selbstverständliche Staatsideologie ist. Hier eröffnen sich völlig neue Aufgabenfelder im Kampf gegen den Antisemitismus, der nicht mehr – wie viele Jahre lang – ausschließlich der extremen Rechten zuzordnen ist. Mit einem Holocaust Museum als Sammlungs-, Bildungs-, Forschungs- und Gedenkort in Wien soll ein Ort entstehen, an dem die Aufarbeitung der Tätergeschichte und die Bewahrung der Geschichten der Opfer möglich ist.
Eile scheint offenbar von Seiten der Regierung nicht unbedingt geboten zu sein. Begriffe wie „Informationseinholung“ und „Evaluierung“ vorbildlicher internationale Gedenk- und Bildungsorte deuten eher auf ein „Spiel auf Zeit“. Auch der geplante bürokratische Prozess lässt Zweifel an einer raschen Umsetzung aufkommen. So sollen das (schwarze) Bundeskanzleramt in Zusammenarbeit mit dem (roten) Bundesministerium für Kunst, Kultur, Medien und Sport „die Ergebnisse der Evaluierung über die jeweils eingesetzten Konzepte, Finanzierungsmodelle, organisatorischen Strukturen und erprobten Strategien in einem Bericht zusammenfassen. Dieser Bericht soll zentrale Erfolgsfaktoren sowie potenzielle Herausforderungen identifizieren und als Basis für weitere Überlegungen dienen.“
Aus dem Beamtendeutsch übersetzt bedeutet das: in dieser Regierungsperiode wird gar nichts mehr umgesetzt. Schließlich müsse auch noch die „angespannte Budgetlage“ berücksichtigt werden. Angesichts der von SPÖ-Vizekanzler Andreas Babler angekündigten Kürzungen im Kulturbereich ist eine rasche Eröffnung des Holocaust-Museums nicht zu erwarten. Zumal auch die Standortfrage keineswegs entschieden ist. Die Idee von IKG-Präsident Deutsch, das neue Museum im Untergrund des Heldenplatzes zu vergraben, wird wohl nicht verwirklicht. Auch der Standort Morzinplatz ist angesichts der seit Jahren nicht gelungenen Planung rund um den Schwedenplatz wohl keine realistische Option. Das einstweilen nur als Idee vorhandene Holocaust-Museum teilt das Standort-Schicksal mit dem „Haus der Geschichte“. Auch bei diesem Museum gibt es seit Jahrzehnten Diskussionen um einen endgültigen Standort. Andreas Kranebitter, geschäftsführender wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) plädiert dafür, die Debatte vom Kopf auf die Füße stellen: „Wir sollten zuerst über Konzepte reden.“
Aber vielleicht braucht es für ein Holocaust-Museum gar keinen neuen Standort? Vielleicht könnten auch die bestehenden Einrichtungen ausgebaut und gestärkt werden? Etwa in den Ausbau der KZ-Gedenkstätte Mauthausen investieren, oder das „Haus der Geschichte“ erweitern oder überhaupt ein digitales Museum schaffen, mit dem etwa junge Zielgruppen besser erreicht werden können als durch den Besuch von Räumlichkeiten mit Schaustücken. Die frühere Kanzleramtsministern Karoline Edstadler lässt Zweifel anklingen: „Ein Holocaust-Museum ist prinzipiell eine gute Sache, vorrangig gelte es aber das Haus der Geschichte zu festigen, weil es einen starken Schwerpunkt auf NS-Erinnerung hat.“ Dass die Erinnerungen, schlicht das historische Wissen um den Wahnsinn der Shoa, bewahrt werden müssen, daran kann es keinen Zweifel geben. Aktionen werden immer notwendiger. Die Lücken im Wissen um die NS-Verbrechen werden immer größer. Eine Maßnahme dagegen: Die Website erinnern.at soll ausgebaut werde. Das niederschwellige Online-Angebot soll auf Erinnerungsorte in ganz Österreich aufmerksam machen. Ein Holocaust-Museum ersetzt diese Ankündigung nicht.
