Von Erwin Javor
Normalerweise verwenden Juden keine Schimpfwörter, sondern Flüche. Der Unterschied? Flüche sind ganze Sätze, meist Gleichnisse, die in wenigen Worten ganze Geschichten erzählen, und wirklich gute haben auch noch eine Pointe. Zum Beispiel: „Für mich bist du eine Agrarfrage!“ – „Eine Agrarfrage? Wieso??!“ – „Ech hob dech in d’Erd“ („Ich habe dich in der Erde“ – Begraben sollst du sein, für mich bist du tot.) Oder: „Reich sollst du werden, aber als Einziger deiner ganzen Mischpoche.“ Oder: „Berühmt sollst du werden – eine Krankheit soll man nach dir benennen.“
Oder: „Alle Zähne sollen dir ausfallen, bis auf einen, und der soll dir ewig wehtun.“ Besonders perfid sind die Flüche, die mit guten Wünschen beginnen: „Du sollst ein Schloss besitzen mit tausend Zimmern und tausend Betten in jedem Zimmer. Und du sollst jede Nacht in einem anderen Bett, in einem anderen Raum schlafen und jeden Morgen aufstehen, eine andere Treppe hinunterschreiten, in ein anderes Auto steigen und zu einem anderen Arzt fahren, der dich auf tausend Krankheiten untersucht und auch nicht weiß, was mit dir nicht stimmt.“
Aber es gibt natürlich Ausnahmen und Alternativen. Manchmal beschränken sich auch Juden auf ein einzelnes Schimpfwort. Mein liebstes ist „Schmock“. In seiner ursprünglichen Bedeutung – alle unter 18 verlassen bitte sofort diese Kolumne – bedeutet Schmock … äh … wie soll ich das jetzt ausdrücken … äh … das männliche Fortpflanzungsinstrument.
Aber wie immer im Jiddischen gibt es natürlich mehr als eine Bedeutung. Wie Leser dieser Kolumne bereits wissen, je nach Mimik, Gestik, Lautstärke und Betonung, kann man mit nur einem Wort verschiedene Aussagen zum Ausdruck bringen. Ein Schmock kann alles Mögliche sein: ein langsamer Denker, ein ungeschickter Mensch, ein Dodl. In einer weiteren Variante ist ein Schmock jemand, der eitel und arrogant ist. Sag ich über jemanden, er sei verschmockt, meine ich, dass er ein Snob ist. Ist Ihnen jetzt schon klar, was ein Schmock alles sein kann? Immer noch nicht? Also gut.
Nehmen Sie zum Beispiel einen Kellner, also einen erfolglosen Künstler, in New York, der seinen Agenten um Rat fragt, wie er denn endlich den Durchbruch in seiner Karriere schaffen könnte. Sagt der Agent: „Du musst auffallen! Dich von der Masse abheben! Etwas Außergewöhnliches anstellen, damit du in die Medien kommst.“ Unser Kellner ist inspiriert. Er mietet sich ein Kamel und reitet stundenlang den Broadway auf und ab. Als sogar das Kamel langsam Durst bekommt, steigt er vor einem Kaffeehaus kurz ab, bindet das Kamel an die Parkuhr, wirft pflichtbewusst seinen Quarter ein und geht hinein. Als er erfrischt und erleichtert wieder herauskommt,ist das Kamel weg. Er sucht und sucht, vergeblich, und geht schließlich zur Polizei und gibt eine Vermisstenanzeige auf. Die Polizisten merken sofort, mit wem sie es zu tun haben und fragen penibel nach dem Alter, Aussehen, Gewicht, der Größe, Wohnadresse und Telefonnummer des Kamels. Der Künstler ohne Publikum hat naturgemäß ein Problem diesen Anforderungen zu entsprechen. Einer der Polizisten bekommt langsam Mitleid und gibt’s billiger: „Nu, dann sagen Sie uns zumindest, ob wir nach einem Weibchen- oder Männchen- Kamel suchen sollen?!“ Der Künstler überlegt. Und überlegt. Lange. Dann sagt er mit sicherer Stimme: „Ein Männchen!“ – „Und wieso wissen Sie das so genau?“ – „Ist ganz einfach: Alle Juden, an denen ich vorbeigeritten bin, haben dasselbe gerufen: ‚Kikt aich un den groissen Schmock!‘ („Schaut Euch den großen … äh … wie soll ich das jetzt ausdrücken … Trottel an.“)
* Mammeloschn (Jiddisch): Mutterwitz; Muttersprache. Aus dem Hebräischen Loschn: Zunge, Sprache.