Wer dieser Tage Latkes, Pfannkuchen und Käseblinzes serviert, feiert mit ziemlicher Sicherheit Chanukka. Wer zum Festmahl Austern, Wildschwein oder Stopfleber isst, wohl Weihnachten. Und das Kinomenü? Da ist der Tisch für alle gedeckt – mit Szenen, die das Wasser in den Mund oder in die Augen treiben.
Wer nicht genießt, ist ungenießbar. Frei nach diesem Motto hat das genussvolle Essen in der Alltagskultur manche andere Themen abgelöst. Auch im Film geht es, wie im richtigen Leben, meist um viel mehr als um das, was auf dem Teller liegt. Was ein Filmemacher auf der Leinwand für uns zubereitet, dient oft als Metapher für Familie und Gesellschaft, ist eine Inszenierung von Verrat und Rache oder Ausdruck kultureller und sexueller Identität. Essen ist der ultimative Ausdruck menschlicher Kultur, schließlich sind wir die einzigen Lebewesen, die ihr Essen zubereiten. Wir machen uns Gedanken über unsere Nahrung. Und über das, was das Essen mit uns macht. Das Familienessen, das Candlelight-Dinner zu zweit, das Fast-Food-Restaurant: Szenen von universeller Gültigkeit, die in jeder Kultur ihre eigene Ausprägung finden. Ein sprichwörtlich „gefundenes Fressen“ für Filmemacher, um persönliche und gesellschaftliche Eigenheiten herauszustellen. Oder um Religionen zu definieren. Wobei das Definieren von Religionen anhand ritueller Essensregeln sicher leichter ist, als eine säkulare Gesellschaft nach ihren Lieblingsspeisen zu unterscheiden.
Wer in diesen Tagen zum Festmahl Austern, Wildschwein oder Stopfleber isst, feiert möglicherweise Weihnachten. Wer Latkes, Pfannkuchen und Käseblinzes serviert, der feiert mit ziemlicher Sicherheit Chanukka. Und wer den Gästen einen Meerwolf oder edelsten Käse reicht, der liegt wohl irgendwo zwischen diesen Feiertagen. Das folgende Kino-Menü soll aber weniger nach (m)einem persönlichen Geschmack zubereitet, sondern der Tisch mit Szenen gedeckt werden, die das Wasser in den Mund – und manchmal in die Augen – treiben.
Fantastische Dekadenz
Ob Martina Gedeck als Gourmetköchin Martha in Bella Martha (Sandra Nettelbeck, 2001), Tassos Bandis als Gewürzhändler Vassilis in Zimt und Koriander (Tassos Boulmetis, 2003) oder die französische Feinschmeckerratte Rémy im Pixar-Abenteuer Ratatouille (Brad Bird, 2007): Ihre Geschichten entführen uns in die sinnliche Welt des Geschmacks. Und noch einige der berühmtesten Essens-Filme könnten die Feiertags-Geschenkeliste würzen: Da wäre etwa Claude Zidis Komödie Brust oder Keule (1976) voll entfesselter Kulinarik rund um Louis de Funès, dessen cholerischer Humor sich auch im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte nicht abgewetzt hat. Oder Eat Drink Man Woman (1994), der eine Köstlichkeit aus der taiwanesischen (Film-)Küche auftischt. Essen ist für Regisseur Ang Lee eine Metapher für Kommunikation: Der Witwer Chu ist der Meisterkoch von Taipeh. An Wochenenden bekocht er seine drei Töchter, doch denen will es nicht so richtig schmecken. Der Generationenkonflikt geht durch den Magen, sagt dieser glänzende Film. Eher zur Ausnüchterung nach den Feiertagen und zur Einstimmung auf die Welt draußen vor der Tür könnte The Cook, The Thief, His Wife & Her Lover (1989) dienen. Ein sarkastisch-extravagantes Melodram, in dem Peter Greenaway mit ausufernder Bildfantasie eine mit monströsen Figuren bevölkerte Genusswelt gestaltet. Alles dreht sich um Mord, Folter, Kannibalismus: Helen Mirren spielt die Frau eines Gangsters, der ihren Liebhaber töten und kochen lassen will.
Nach dem Brecht-Motto „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ funktioniert auch Marco Ferreris La Grande Bouffe, hierzulande als Das große Fressen bekannt. Vier Freunde aus der besseren Gesellschaft ziehen sich aus Überdruss am Überfluss zurück zum letzten orgiastischen Gelage. In einem Landhaus kochen sie die opulentesten Mahlzeiten, fachsimpeln bei der Betrachtung erotischer Dias, vergnügen sich mit Prostituierten und überfressen sich zielbewusst bis zum Exitus. „Nichts als fressen, ficken und scheißen wird gezeigt, und zu hören sind vor allem die derben Verdauungsprobleme der vier Esser“, klagten die Kritiker nach der Filmpremiere 1973. Und im Magazin Paris Match wütete der einstige Sekretär Jean-Paul Sartres: „Schande über die Produzenten dieses Films, Schande über den Regisseur, Schande über die Schauspieler … und über unsere Epoche.“ Jahrzehnte später ist der Film zum Klassiker der Hedonismus-Kritik über die Dekadenz einer sich zu Tode amüsierenden und fressenden Gesellschaft geworden.
Unheilige Parodien
In diesen Filmen gibt es Szenen, in denen Essen als Slapstick funktioniert, aber auch als Auslöser zwischenmenschlicher oder gar sozialer Unruhen, für das Zusammentreffen oder Auseinanderdriften von (Ehe-)Paaren, als Vorbote der Gewalt oder auch als Ersatz für Sex. Filme über Essen bieten abwechslungsreiche Kost. Drama wird mit Komödie, Furcht mit Freude gemischt. Filme über Essen sind nicht nur etwas für Feinschmecker. Man denke etwa an jene Filme, in denen scharfe Schneidgeräte nicht nur zum Zerteilen der Nahrung im Einsatz sind: Hannibal Lecter ist nicht Jamie Oliver. Das Essen als eine Art perverser und gleichwohl höchst gediegener, zeremoniell verifizierter Lebensphilosophie.
Aber sollte Film, für viele die Kunstform des 20. Jahrhunderts, nicht in erster Linie zum Denken anregen? Wäre nicht der Sinn höher zu halten als die Sinnlichkeit? In diesem Fall sollten wir zuallererst, punktgenau vor Weihnachten und Chanukka, jener legendären Regiemeister des vorigen Jahrhunderts gedenken, welche die „Milch der frommen Denkungsart“ – frei nach Friedrich Schiller – in das „gärend‘ Drachengift“ der Gesellschaftskritik zu verwandeln wussten. Wie etwa der in einem erzkatholischen Umfeld aufgewachsene Luis Buñuel, der 1972 in Le charme discret de la bourgeoisie das Essen zur Metapher von ritualisierter Verlogenheit einer christlich-abendländischen Gesellschaft machte. Er führt sechs Personen vor, die eigentlich nichts tun (und das ist, sieht man von einigen Zwischenfällen ab, bereits der Inhalt des Films), als einander pausenlos zum Essen einzuladen. Die Protagonisten sind oberflächlich, dumm, versnobt, hintertrieben, lasterhaft – aber immer mit Geschmack für gutes Essen, das sie gerne mit lasziver Noblesse und mondäner Grazie genießen wollen. Sie quittieren den Zustand der Welt sowie auch den eigenen mit einem höflichen Lächeln und machen sich nette kleine Komplimente, wenn sie sich im intimen Kreis zum Speisen treffen.
Immer auf dem Höhepunkt ihrer kulinarischen Lüsternheit vereitelt eine perfide Dramaturgie das Vergnügen dieser Personen. Nicht zuletzt, weil die Ausstattung der Tafelrunde die Teilnehmer ständig auch an die Vergänglichkeit des kulinarischen Genusses erinnert: Sie thronen rund um den Esstisch auf Klomuscheln. Der Humor, der so oft mit der Unkontrollierbarkeit von Körperfunktionen einhergeht, ist hier gleichsam das Zeichen für eine eigene körperliche Logik in Verbindung mit dem Essen. Mit solchen Szenen schaffte es Buñuel, dem scheinbar harmonischen Kontext einer Essenshandlung durch groteske, surrealistische Elemente eine ganz neue Richtung zu geben und seine eigenen Themen zu verarbeiten: die Doppelmoral und die Doppelbödigkeit der bürgerlichen Familie und der katholischen Kirche.
Ähnliches gelingt ihm in Viridiana (1961): In einem Herrenhaus herrscht zunächst ausgelassene Stimmung. Ein Leprakranker tanzt mit einem Brautschleier zu Händels Messias aus dem Grammofon. In Abwesenheit der frommen Gutsbesitzerin Viridiana sind Bettler in die vornehmen Wohnräume eingedrungen. Der Blinde, der Leprakranke, der Lahme, 13 an der Zahl, wie Christus und seine Jünger, positionieren sich am langen Tisch zu einer unheiligen Parodie auf Leonardo da Vincis Abendmahl. Dann beginnt ein zerstörerisches Gelage.
Kannibalistischer Kapitalismus
Und wie sieht es mit zu dieser Jahreszeit passenden Filmen rund ums Essen bei anderen Religionen aus? Der Islam kennt eigentlich nur zwei Feste: Das Opferfest, das im Rahmen der Pilgerfahrt stattfindet, und das Fest des Fastenbrechens, das zum Abschluss des Monats Ramadan gefeiert wird. Aber es gibt durchaus gesellschaftskritische Filme zum Thema Essen, die aus der islamischen Welt kommen. Einen starken Magen braucht man für den iranischen Gruselschocker Fish and Cat (2013), in dem es mit den Mitteln des Genrekinos um Kritik am iranischen Regime und dessen Umgang mit den Intellektuellen des Landes geht.
Zur Wintersonnenwende trifft sich an einem See nahe Teherans eine Gruppe von Studenten zum jährlichen Drachenfliegen. Doch es liegt Unruhe in der Luft. Im vergangenen Jahr ist eine Studentin unter ungeklärten Umständen verschwunden, und es wird gemunkelt, dass ein Restaurant in der Nähe Gerichte aus Menschenfleisch zubereite. Bald tauchen zwei mysteriöse Fremde auf dem Zeltplatz auf. Das vielfach ausgezeichnete Werk von Sharam Mokri wurde in einer einzigen, hochkomplex choreografierten Einstellung gedreht. Zur Einstimmung verschwindet der Vorspann hinter Blutspritzern, vorsichtig fährt die Kamera in einer Kreisbewegung auf ein Haus am Waldrand zu, so als handle es sich um den Schauplatz eines Verbrechens. Erst nach einiger Zeit wird man des Umstands gewahr, dass es in diesem Film noch keinen einzigen Schnitt gegeben hat. Die Beziehung der Filmfiguren zueinander nimmt – so wie die des iranischen Regimes und der freiheitsliebenden Studenten – nach und nach die Form einer Möbiusschleife an. Am kannibalischen Spiel wird der Ausnahmezustand einer Gesellschaft beschworen, in der die Macht des Kriegs, des Faschismus oder des Kapitalismus ohne Restriktion herrschen.
In diesem Sinne rekonstruierte auch der berühmteste Kannibale der Popkultur, Hannibal Lecter, sein Recht auf Menschenfleisch aus dem Ausnahmezustand des Zweiten Weltkriegs. Als kleiner Bub wurde der litauische Adlige von Nazikollaborateuren dazu gezwungen, die Überreste seiner Schwester zu essen. Dieses traumatische Erlebnis wird zur Grundlage sowohl seiner psychologischen, als auch seiner philosophischen Motivation. Lecter kann seine Genüsse tatsächlich teilen, erst die Anerkennung seiner Kochkünste durch nichtsahnende Gäste befriedigt ihn gänzlich. In seiner Rechtfertigung einzelner Morde gehen ästhetisch-kulinarische und sozialdarwinistische Argumente ineinander über. Laut Lecter haben seine Opfer ihren Lebenswert verspielt, weil sie sich unflätig oder bösartig – was in seinen Augen auch bereits bedeuten kann: nicht elegant genug – verhalten haben: „Whenever feasible, one should eat the rude.“ Als überlegenes Raubtier „reinigt“ Lecter die Gesellschaft von einem ästhetischen Makel und transformiert ihn in einen kulinarischen Genuss, den es wiederum mit ausgewählten Ästheten zu teilen gilt.
Mazzesknödel und Gin Tonic
Doch bevor unsere Suche nach der tieferen Bedeutung von Essen im Film ebenfalls in einer deprimierenden Möbiusschleife endet, landen wir beim jüdischen Film, der Gesellschaftskritik oft mit Humor würzt. Wie wäre es also mit einem Witz zum Thema? Sitzen zwei uralte Damen in einem Hotel mit Vollpension. Sagt die eine: „Wissen Sie, ich finde das Essen hier einfach katastrophal.“ Darauf die andere: „Ja, stimmt, und noch dazu sind die Portionen winzig.“
In jüdischen Filmen spielt die Institution „Deli“ oft eine zentrale Rolle. Delis, die jüdischen Schnellrestaurants, waren einst zu kulturellen Hotspots von New York geworden. Ihr goldenes Jahrzehnt waren die 1920er Jahr. Vor und nach einer Broadway-Show ging man ins Carnegie Deli oder ins Lindy’s, um ein Corned-Beef-Sandwich oder eine Mazzesknödel-Suppe zu essen. Spät am Abend trafen sich dort die Künstler und Entertainer wie der legendäre Sänger Al Jolson oder der Liedtexter Martin Kalmanoff mit Publikum und Kritikern.
Heute hat die Zugkraft dieser Leckerbissen stark nachgelassen. Nur wenige dieser Lokale wurden über die folgenden Jahrzehnte weitergeführt. Als Woody Allen dann 1984 seinen Film Broadway Danny Rose im Carnegie Deli drehte und dort einen Stammtisch abgehalfterter Komiker stattfinden ließ, war dies die Verneigung vor einer untergegangenen Ära.
Apropos: Hier soll noch auf einen jungen Filmemacher hingewiesen werden, der zu einer Art „Schweizer Woody Allen“ werden könnte: Michael Steiner. Er hat Thomas Meyers Romandebüt und Bestseller Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse 2018 in eine Filmkomödie umgesetzt. Es geht darin um einen jungen Juden (Joel Basman), der sich wegen seiner Liebe zu einer Nichtjüdin mit seinen Eltern überwirft. Die Mutter-Sohn-Szenen gehören zu den Höhepunkten dieser Komödie. Die Mutter ist nämlich entsetzt über das Verhalten ihres Jüngsten, der in der „fargangenhayt“ (Vergangenheit) doch ein „hartsik bebele“ (herziges Bübchen) war. Sie organisiert für ihren Sohn eine „schidech“ (Brautschau) nach der anderen. Doch das Söhnchen ist mit den vorgestellten „frojen“ (Frauen) nie zufrieden, obwohl – oder vielleicht gerade weil – sie doch alle wohlerzogene, gläubige „mejdlech“ (Mädchen) sind. Natürlich geht es auch ums Essen und um die Sorge, dass eine Schickse einen jüdischen Mann sicher nicht richtig bekochen kann. Und unter anderem macht das Essen recht bild- und schmackhaft den Culture Clash zum Thema. Der Film, der bei uns nicht ins Kino kam (aber auf DVD erhältlich ist), lässt sich gut mit einem Gin Tonic in der Hand konsumieren. Denn Motti, wie der Protagonist des Films von seiner Mutter genannt wird, lernt auf seiner wunderlichen Reise nach anfänglichem Zögern einen guten Gin Tonic zu lieben. Hier ist Mottis Lieblingsrezept: Dry Gin in das Glas geben. Anschließend die Flasche Tonic Water öffnen und langsam eingießen, damit möglichst wenig Kohlensäure entweicht. Nun das Glas langsam bis zum Rand mit Eiswürfeln auffüllen. Mit einem Cocktailstab vorsichtig verrühren. Abschließend den Glasrand mit einer Zitronen- oder Limettenscheibe garnieren oder wahlweise die Fruchtscheibe in das Glas geben. Je nach Wunsch kann das Getränk mit Kräutern angereichert werden. „Lechaim“, kann man da nur sagen.