Jüdischer Urwald

Die Jagdhütte der Familie Rothschild in Gaming. @Martin Engelberg

Von Martin Engelberg

In den Niederösterreichischen Kalkalpen, nahe der Grenze zwischen Niederösterreich und der Steiermark liegt ein Waldgebiet, das nie forstwirtschaftlich genutzt wurde. Jahrhundertelang Gegenstand von Besitzstreitigkeiten und daher unberührt, sollte es im 19. Jahrhundert schließlich beforstet werden. Da rettete just der jüdische Bankier Albert Freiherr von Rothschild das Gebiet vor der Zerstörung. Er verliebte sich in das wunderschöne Waldgebiet und bestand darauf, dass der Urwaldbereich völlig unbeansprucht blieb.

Die abgelegene Lage, die Besitzverhältnisse und ein jahrhundertelanger Grenzstreit zwischen zwei Klöstern ließ dieses zirka 400 Hektar große Waldgebiet bis ins 19. Jahrhundert unberührt. Der immer größer werdende Bedarf an Holz, zum Bau und zur Beheizung, führte beinahe zur Abholzung der teilweise uralten Bäume. Das Gebiet war privatisiert worden, die für die Beforstung gegründete Aktiengesellschaft ging aber in Konkurs und wurde von Freiherr von Rothschild, einem großen Philanthropen, aufgefangen. Entgegen dem damaligen Zeitgeist und lange vor den heute üblichen Umweltschutz-Ideen, entschloss sich Rothschild den Urwald weiterhin unberührt zu belassen.

Beliebter und sozialer Dienstgeber

Darüber hinaus berührte Rothschild auch die vorherrschende, bittere Armut der örtlichen Bevölkerung. Er beschäftigte Hunderte Forstbeamte und Waldarbeiter und war ein beliebter und durchaus sozialer Dienstgeber. Lebensmittel wurden zum Selbstkostenpreis abgegeben, ein Betriebsarzt und ein kleines Spital sorgten für die medizinische Versorgung. Die Kinder der Forstarbeiter wurden in einem eigenen Kinderheim versorgt und in einer Volksschule unterrichtet. Eine eigene Betriebsfeuerwehr war für den Brandschutz und die Sicherheit zuständig und obwohl eine jüdische Familie, übernahmen die Rothschilds die Patronanz über mehrere katholische Pfarren auf dem Gebiet ihrer Domänen.

Verbürgt soll auch die Tatsache sein, dass Rothschild seinen Arbeitern nicht nur eine Alterspension zahlte, sondern diese sogar mit 105 Prozent des Letztbezugs dotierte. Darauf angesprochen, warum er das tat, meinte er, dass ja die Arbeiter in der Pension nicht mehr davon profitieren könnten, Werkzeug und sonstiges Gut für den privaten Gebrauch „mitzunehmen“. Die Arbeiter sollten also in der Pension nicht schlechter gestellt sein als zuvor. Eine wahrlich lebensnahe Betrachtung und großzügige Geste!

Rothschild sorgte auch für den Bau notwendiger Infrastruktur, wie einem Elektrizitätswerk, einem Postamt, einer Schlosserei und der Forstverwaltung. Er ließ zahlreiche Häuser im damals sehr beliebten Schweizer Chalet Stil errichten, die mit Rothschildhaus als eigene Bauform bezeichnet werden.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden alle diese Besitztümer arisiert, sprich geraubt. Die Erben erhielten diese jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg, oft nach langem Ringen, restituiert. Einzelne Nachkommen der Rothschilds nutzten einige Häuser auch tatsächlich wieder. Die letzte Erbin verkaufte schließlich den Besitz 2019 an die Kärntner Industriellenfamilie Prinzhorn.

UNESCO-Weltnaturerbe

Grundeigentümer und das Land Niederösterreich sicherten 1997 die Naturwälder als Schutzgebiet ab. Sie wurden – unter wissenschaftlicher Begleitung der Wiener Universität für Bodenkultur – in weiterer Folge zum Wildnisgebiet Dürrenstein. Ende 2022 wurde es dauerhaft zum Naturschutzgebiet erklärt. Nach mehreren Erweiterungen gilt das Gebiet heute als einer der größten Urwälder Mitteleuropas und wurde inzwischen zum UNESCO-Weltnaturerbe erhoben. Damit steht der Urwald unter strengem Schutz und ist nur im Rahmen von geführten Touren zugänglich, um die empfindlichen Ökosysteme zu bewahren.

Siehe dazu dieses Video

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