Judenfeindschaft ist nicht nur historisch-faktisch, sondern entspricht auch einem Verschwörungsdenken, in dem es nur Gut und Böse gibt – und alle Übel auf Jüdinnen und Juden projiziert werden.
Von Isolde Vogel
Schon im 19. Jahrhundert gehörten Medien und Presseberichterstattung als Feindbild zu einem antisemitischen, antiaufklärerischen, reaktionären und modernefeindlichen Denkmuster. Der Begriff der „Lügen-“ oder ganz offen „Judenpresse“ basiert nicht nur auf einem antisemitischen Gedanken, in dem „die Juden“ als Betrüger, Verschwörer und Weltbeherrscher inklusive Kontrolle der Medien imaginiert werden, er ist auch – seit jeher – als antisemitische Verschwörungsparole zu deuten.
Gegen die „Judenpresse“ wetterte schon der Wegbereiter der christlichen Arbeiterbewegung Karl von Vogelsang im Jahr 1875, der Juden mit Kapitalisten gleichsetzte, vor einem „Judengeist“ warnte und zugleich behauptete, das „Weltjudentum“ kontrolliere die Presse. Daran schlossen Karl Lueger wie auch später die Nationalsozialist:innen an: Mit den gleichen Vorwürfen brandmarkte die NSDAP jegliche kritische Berichterstattung als jüdisch, die nicht in ihrem Sinn agierte. Die spätestens seit Pegida und den Corona-Protesten allgemein wieder bekannte Phrase der „Lügenpresse“, deren Idee auch in der aktuellen antiisraelischen Agitation Zuspruch findet, ist also nicht neu und macht seit jeher unliebsame Medien – und zugleich Jüdinnen und Juden – zum Ziel verschwörungsmythischer Diffamierung.
Dabei basieren antisemitische Verschwörungsfantasien auf der immer gleichen Idee: Alles Abgelehnte oder Unverstandene wird als durch eine elitäre Gruppe, antisemitisch identifiziert mit Jüdinnen und Juden, verursacht begriffen. Abstrakte Problemstellungen – strukturelle, gesellschaftliche oder politische Probleme, Konflikte oder Krisen –, ja das gesamte Weltgeschehen kann so konkret „erklärt“ werden: als vermeintliche Verschwörung einer bösartigen, im Hintergrund agierenden (jüdischen) Elite. Zentrales Element ist die Vorstellung einer unglaublichen Übermächtigkeit von Jüdinnen und Juden sowie der Glaube an eine jüdische Weltverschwörung. Gesellschaftliche, ökonomische und politische Krisen werden dann mit diesem angeblichen Wirken von Jüdinnen und Juden erklärt.
Ablehnung des Unverstandenen
In seinem Charakter ist Antisemitismus daher immer welterklärend und verschwörungsideologisch. Die Essenz antisemitischen Denkens ist das Mysterium, die Vorstellung der im Geheimen agierenden Jüdinnen und Juden, die durch versteckte Andeutungen und Hinweise transportiert wird. Deshalb beschrieb Theodor W. Adorno Antisemitismus als „das Gerücht über die Juden“. Antisemitische Vorwürfe haben nichts mit dem realen Verhalten von Jüdinnen und Juden oder der Handlung der israelischen Regierung zu tun, sondern beruhen auf Projektion und Ablehnung alles Unverstandenen und Abstrakten der Welt. Und damit bieten sie eine durchaus attraktive Erlösungsfantasie von allem Übel und allem Schlechten dieser Welt. Gerüchte wie auch Antisemitismus üben Anziehungskraft aus, so dass ihre Anhänger:innen ihr mit einer gewissen Leidenschaft nachgehen.
Judenfeindschaft ist also nicht nur historisch-faktisch, sondern auch strukturell in ihrem Denkmuster verbunden mit Verschwörungsdenken und einer dualistischen Weltsicht, in der es nur Gut und Böse gibt und alle Übel auf Jüdinnen und Juden projiziert werden. „Die Medien“ werden in der Position der Handlanger, als Komplizen der Herrschenden und als Teil dieser größeren Verschwörung imaginiert. Anhänger solcher Fantasien sehen sich in der Position der Unterdrückten und Manipulierten. Sie misstrauen staatlichen und Regierungsquellen grundsätzlich. Dem eigenen Weltbild widersprechende Medienberichte begreifen sie als Teil eines größeren Verschleierungsplans, mit dem gezielt die Wahrheit vertuscht würde und die sie entsprechend als Lügen abtun. Damit die vermeintlichen Verschwörer ihre Pläne erfolgreich und ohne Verdacht zu erregen umsetzen könnten, würden sie die Presse zur Zensur nutzen, also „Silencing“ dieser „Wahrheit“ betreiben und die Massen manipulieren.
Der Vorstellung der Welt- und Medienverschwörung steht die eigene Position gegenüber, als von Unterdrückung gezeichnet und als ein Agieren in Notwehr gegen die imaginierte Manipulation und Kontrolle. Verschwörungsdenken geht oft einher mit der Vorstellung, man dürfe „gar nichts mehr sagen“ – aus der extremen Rechten genauso bekannt, wie in Bezug auf Israel aus der gesellschaftlichen Mitte und von linken Akteuren. Während die einen über eine angebliche „Nazikeule“ und „Meinungsdiktatur“ schimpfen, vermuten die anderen hinter Antisemitismusvorwürfen „Silencing“-Versuche und Cancel Culture. So fungiert die Medienverschwörungsfantasie auch als Abwehr- und Relativierungsstrategie: Die Leugnung und Verharmlosung von Judenhass ist ein integraler Bestandteil moderner antisemitischer Polemiken.
Fehlende Selbstkritik
Das Feindbild Medien dient der Ausblendung der Realität und nicht ins eigene Weltbild passender Tatsachen. Damit ergänzt es die Ablehnung von Wissenschaft und Aufklärung und ist eine reaktionäre Anti-Establishment-Haltung, die bis zur Feindschaft gegenüber der Demokratie und der gesamten modernen Welt anwachsen kann und so, wenn auch nicht immer offen ausbuchstabiert, die Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden nährt. Diese Fokussierung auf Medien dient auch dazu, Misstrauen gegenüber kritischen und dem eigenen Weldbild widersprechenden Nachrichten zu schüren.
Das steht im krassen Widerspruch zum eigenen Medienverhalten. Von der Verbreitung von komplexitätsreduzierten Berichten in den sozialen Medien bis hin zu Fake News in eigenen Nachrichtenkanälen gibt es wenig selbstkritisches Medienverhalten. So dient „die Lügenpresse“ nicht nur als Feindbild, die eigenen, „alternativen Medien“ fungieren ebenso zur Verbreitung von Verschwörungsdenken und Antisemitismus. Von rechten Schwurblerkanälen, über Bin-Laden-TikToks bis zum Staatsfernsehen der islamischen Republik Iran während des „Intifada-Camps“ am Wiener Universitätscampus wird der im eigenen Interesse stehenden Propaganda unwidersprochen Glauben geschenkt.
Seit der Covid-Pandemie ist die zunehmende Bedeutung in der verschwörungsideologischen Szene zu beobachten. Auch islamistische Terrorpropaganda seit dem 7. Oktober und faktenresistente Darlegungen des Weltgeschehens von Ukraine bis nach Israel werden in Echokammern über Telegram-Channels und ungünstige Social-Media-Algorithmen verbreitet, die den Usern nur die eigene Wahrnehmung spiegelt, die Komplexität reduziert und in simplen Erklärungen reaktionäre Feindbilder produziert. Das trägt weiter zur Enthemmung von Verschwörungsdenken und Antisemitismus bei und hat auch offline alarmierende Folgen. Diese reichen von globaler Terrorverharmlosung bis zu den Höhepunkten rechtsextremer Gewalt, wie den antisemitisch motivierten Anschlägen von Christchurch oder Halle, denen die Aktivität in judenfeindlichen Online-Communities vorangeht.