Oliver Polak hat eine Marktnische in der deutschsprachigen Comedy entdeckt: Er scherzt und provoziert zielgenau im sensibel-komischen Feld aus Judentum, Antisemitismus und Philosemitismus. Darf man das? Ja, er schon, sagt er, er sei Jude.
Von Rainer Nowak
Es ist ein nicht unlustiges Spiel und heißt „Schnapp den Juden!“: Oliver Polak muss am Anfang noch ein bisschen Überzeugungsarbeit beim Wiener Publikum leisten.
„Genießt das einmal, das dürft Ihr sonst nie laut über jemanden sagen.“ Oder: „Ein Spaß für die ganze Familie, wie zu Großvaters Zeiten.“ Und es ist wirklich einfach: Polak sagt einen mehr oder weniger prominenten Namen und das Publikum muss mit „normal“ oder „Jude“ die Religionszugehörigkeit bestimmen. Manches ist leicht: „Reich-Ranicki?“ „Jude!“, tönt es im Saal des Wiener Rabenhofs. Wobei Polak schon darauf Wert legt, dass das Wort Jude bitte nicht wie ein Schimpfwort auszuspucken ist, sondern freundlich quasi lobend, wie „Happy Birthday“ intoniert werden sollte, so wie „Juuuhuhude!“ Nächster Name: „Alfred Biolek?“ „Jude!“, tönt es reflexartig aus dem Publikum. „Nein, ganz falsch“, feixt Polak, dem in seinem Kapuzensweater und seiner schwarzen Lederjacke ziemlich heiß sein dürfte: „Biolek ist sicher kein Jude. Nur weil ihr euch vorstellet, wie ein kleiner dünner Mann gebückt Mazzes-Knödel zubereitet, ist Biolek noch lange kein Jude.“ Und Iris Berben? „Normal.“ Aber Vorsicht: Nach dem ersten Prosecco beginne sie von irgendwelchen jüdischen Wurzeln zu schwafeln. Letzter Versuch: „Das ist jetzt leicht: Oliver Polak?“ Alle rufen begeistert: „Jude!“ Darauf der: „Nein, ich bin normal, ich mache das nur wegen des Geldes.“ Stimmt nicht. Nein, auch wieder falsch: Der Mann ist Jude, aber wegen des Geldes macht er es schon auch, immerhin sind Comedy und Satire sein Job. Und nicht schlecht, sein Buch „Ich darf das, ich bin Jude“ verkauft sich gut und die Zeitungen feiern ihn. (Würden Sie sich auch trauen, ihn zu verreißen? Einen Juden? Eher nicht, aber egal.) Henryk Broder nennt ihn jedenfalls ehrfurchtsvoll „Jud süß-sauer“. Oliver Polak ist auch der einzige deutschsprachige jüdische Komiker mit Schäferhund und Kapuzenpulli, er fällt auf, indem er schon im Vorwort schreibt: „Lassen Sie uns unverkrampft miteinander umgehen. Treffen wir eine Vereinbarung für die Dauer der Lektüre: Ich vergesse die Sache mit dem Holocaust, und Sie verzeihen uns Michel Friedman.“
Der heute 32-Jährige, ehemaliger Viva-Moderator und Sohn gläubiger Juden, versteht das Spiel der Provokation, des Anti- und vor allem des Philosemitismus wie kaum ein anderer. Er könnte zu einem Nichtjuden sagen: „Holocaust!“ Um dann fortzusetzen mit: „Wieso schauen Sie so ernst und lächeln nicht mehr? Haben Sie ein schlechtes Gewissen? Waren Sie oder Ihre Familie also auch daran beteiligt?“ Aber Polak erzählt auch von seinem Leben als amüsierter jüdischer Außenseiter in einer deutschen Kleinstadt irgendwo in Niedersachsen. Dort lernt er etwa Alf im TV kennen und lieben: „Das muss doch auch ein Jude sein, er hat eine lange Nase und er wird von der US-Familie vor den Gestapo-Behörden versteckt.“ Und statt Kindern esse er eben Katzen.
Polaks Vater, ein KZ-Überlebender, ist nach 1945 in die alte Heimat zurückgekehrt, hat ein Kleidergeschäft aufgesperrt, die Mutter kam in den 70er- Jahren aus Leningrad. Sie ist bestimmende Figur und uneingeschränktes Familienoberhaupt, das den Sohn am liebsten zu Hause sieht und ihn erzieht. Etwa so: Wenn sie Oliver einen grünen oder einen roten Pullover kauft, und er trägt den grünen, fragt sie, warum er den roten nicht mag. Mit vier Jahren muss er noch im Kinderwagen sitzen, damit er sich nicht unerlaubt entfernen kann, und seine Mutter hätte später am liebsten selber ihr Abitur nachholen wollen, damit sie in der Schule neben Oliver hätte sitzen können. Sein Vater begleitet Oliver zur Musterung bei der Bundeswehr; als Jude ist der junge Polak vom Präsenzdienst befreit, er unterzieht sich zum Zeitvertreib dennoch der Prüfung: Der Vater bezichtigt die Kommission prompt, gewisse Methoden zu wiederholen. Polak erzählt das alles in einem ironischen, wunderbar bösen Stil; dieser brachte ihn nach seiner jüdischen Schule in Großbritannien – „zu teuer, um zu scheitern“ – als Moderator zu Viva und danach mit seiner jüdischen Nabel-, aber auch Deutschland-Beschau auf die Kabarettbühne. Wie so viele seiner Branche ist der Mann im persönlichen Gespräch ernster als die meisten anderen Zeitgenossen. Oder so zynisch, dass man ihn schon wieder ernst nimmt.
Ob nicht gerade seine vom deutschen Publikum beklatschten Pointen, in denen schon einmal der Holocaust eine Rolle spielen kann, auch beweisen, dass die Vergangenheitsbewältigung in Deutschland gelungen sei? Nein, das sieht Polak im persönlichen Gespräch ganz anders: „Es wird noch heute damit Geschäft gemacht. Egal, ob ,Stern‘ oder ,Spiegel‘: Mit Adolf Hitler oder Titten verkauft sich das besser. Am besten mit beiden.“ Und das erste deutsche Nachrichtenmagazin hat es ihm überhaupt angetan: „Wenn Stauffenberg Erfolg gehabt hätte und Hitler gestorben wäre, würde der ,Spiegel‘ nicht existieren.“ (Apropos Stauffenberg: Der aktuelle Kinofilm hat laut Polak im Gegensatz zum realen Vorbild ein Happy End, denn am Schluss stirbt doch Tom Cruise.) Die Geschäftemacherei mit Hitler findet Polak jedenfalls bedenklich bis erschreckend – „weil dann ist es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis es Führer-Wochen bei McDonald’s gibt, mit Hamburger Hitler Royal und Chicken McGoebbels. Und als Sauce Jud süß-sauer“. Und das regt den sonst so abgeklärten Komiker fast wirklich auf.
O.K., diese Vergleiche bringt er auch im Rabenhof an, aber er wirkt auch die Spur emotionaler als er lässig zwischen zwei Pointen fragt, ob ein paar jüdische Single-Frauen um die 25 da seien, die ihm vielleicht gegen die Einsamkeit in dem Hotel beim Wiener Westbahnhof helfen könnten. Single-Frauen schon, sogar jüdische, aber doch die Spur älter wie er nach abschätzigem Blick in die erste Reihe feststellt: „Entschuldigung, Sie könnten meine Mutter sein.“ Darf man das? Er schon, er ist Komiker. Im Herbst kommt er wieder nach Wien.