Tel Aviv ist nicht nur die vermutlich lebendigste und jüngste Metropole am Mittelmeer. Sie ist auch der ideale Ort, um zu erleben, dass historische Verantwortung und Versöhnungsgesten stärker jungen Israelis zugutekommen. Und dies noch stärker müssen. Auch in Wien. Dort gibt es vielleicht noch leichten Modernisierungsbedarf.
Von Rainer Nowak
Es klingt geschmacklos, war es aber nicht: Innerhalb von zwölf Stunden besuchte Andreas Mailath-Pokorny in Tel Aviv zu Mittag jüdische Holocaust-Überlebende mit österreichischen Wurzeln und hörte ihre Lebensberichte, am Abend ging er in einen Nachtclub. Geschmacklos? Im Gegenteil: Wiens Kulturstadtrat absolvierte anlässlich der Wien-Kulturtage zum 100. Geburtstag von Tel Aviv ein Besuchsprogramm, das ziemlich genau die Bandbreite des notwendigen österreichischisraelischen – politischen – Kulturaustausches trifft.
2009 muss ein Wiener Kulturstadtrat selbstverständlich den Club der Österreichischen Pensionisten aufsuchen, wo nach Minuten sogar dem hintersten FP-Hinterbänkler klar werden würde, dass es nie einen Schlussstrich geben kann. Die Erzählungen, die da an einem warmen Frühsommertag zu hören sind, bringen die Geschichte ihrer Flucht und Vertreibung zurück.
Wie ein kleiner jüdischer Junge namens Leo Luster nach Theresienstadt deportiert wurde, dort den Massenmord erleben muss, aber mit den fast Gleichaltrigen – entgegen den deutsch-ostmärkischen Plänen – überlebte und dann in sein wahrhaft gelobtes Land reisen konnte. Oder Zwi Nigal, dem 1939 dank der Familie die Flucht nach Israel gelungen war und der sich aber heute in Österreich nicht mehr wirklich wohlfühlt, auch wenn die jüngere Generation einfühlsame und bessere Worte findet, das Grauen und die Schuld eines Volkes auszudrücken, als die Österreicher davor. Es waren beklemmend-berührende Zeitzeugen-Berichte, die die österreichische Delegation da Anfang April zu hören bekam. Berichte, die eine Nachdenklichkeit erzeugten, die nicht ganz zum Abendprogramm passen wollten.
In einem Club im alten Haifa nahe Tel Aviv – der zumindest optisch wohl mit dem Wiener Wiener Flex vergleichbar ist – legte DJ Dorfmeister auf, der sich international fast größerer Beliebtheit erfreut als in Österreich. Die Eintrittskarten waren nach kurzer Zeit ausverkauft, jünger und besser gelaunt war das israelische Publikum bei keiner Veranstaltung der österreichischen Kulturtage.
Holocaust-Überlebende und Dancefloor – ein Widerspruch? „Nein“, sagt Mailath-Pokorny. Um die dritte, vierte Generation mit ihrem vagen Bezug zu Österreich zu erreichen, gehe es genau um diese Kombination: Da schon die Zahl der Überlebenden immer geringer werde, müsse man die Enkel und Urenkel von jüdischen Österreichern, die gezwungen wurden das Land zu verlassen, motivieren, sich mit den österreichischen Wurzeln auseinanderzusetzen. Viele von ihnen leben in Tel Aviv, jener Stadt, für die der Begriff Party-Metropole seltsam treffend ist, herrscht doch ständig eine Atmosphäre wie auf einer guten Party, die ohne Alkohol, Gegröle und Oberflächlichkeit auskommt. Logisch, dass Wien, aber auch das offizielle Österreich, dort ansetzt: Michael Rendi, Österreichs vergleichsweise junger Botschafter in Israel, organisiert einmal im Jahr ein gut besuchtes Clubbing für eben diese Zielgruppe. Mailath-Pokorny will nun einen Schritt weitergehen: Das von Leon Zelman gegründete Jewish Welcome Service soll in Zukunft verstärkt die Enkel und Urenkel ansprechen. Soll in Zukunft sogar eigene Jugendreisen organisieren, um den Tel-Aviv-Gedanken im österreichisch-israelischen Austausch zu stärken. (In Wien wurde der von israelischer Seite durch den Tel Aviv Beach verstärkt.) Immerhin hat der Jewish Welcome Service schon immer die Kinder und teilweise Enkelkinder „mitgenommen“, wie Generalsekretärin Susanne Trauneck erzählt. Ein paar Hundert jüngere Nachkommen – Israelis und Angehörige anderer Nationalitäten – seien das pro Jahr, sagt sie. Und geht im Gespräch mit NU doch ein bisschen in Verteidigungsposition, als sie zu den Mailath-Pokorny-Ankündigungen befragt wird.
„Ja, natürlich haben wir darüber geredet und das besprochen. Aber jetzt gibt es viele Überlebende, die wir betreuen und nach Wien bringen.“ Das sei und bleibe erste Aufgabe des von Leon Zelman gegründeten Jewish Welcome Service, meint Trauneck. Aber die neue „Jugend“-Schiene werde sicher kommen, so die Generalsekretärin, die auch darauf hinweisen will, dass derzeit Budgetmittel für zusätzliche Programme und Reisen fehlten. Das Jewish Welcome Service finanziert sich vor allem durch Subventionen der Stadt Wien. Wann die neue Schiene kommen werde? Trauneck: „Es wird ein Konzept geben!“ Wer das erarbeiten werde? Die Generalsekretärin: „Ich.“
Wie und wann auch immer: Ohne Verjüngung geht es nicht mehr. Ohne Facebook und moderner Kommunikation passiert 2009 nichts mehr. Das sieht man in Tel Aviv. Und irgendwann hoffentlich auch in Wien.