Kommentar von Martin Engelberg
„Abraham Accords“ – schon die sicher mit Bedacht gewählte Bezeichnung der Abkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sowie Bahrain verdient große Aufmerksamkeit. Sie drückt aus: Hier schließen nicht nur ehemalige Feinde Frieden. Noch viel mehr: Israelis und Araber berufen sich auf ihre gemeinsame Abstammung. So gilt Abraham, mit seinem Sohn Isaak und Enkel Jakob, nicht nur als Erzvater des jüdischen Volkes. Abraham gilt auch als Stammvater der Araber. Schließlich war Ismael der erste Sohn Abrahams und soll der Prophet des Islam, Mohammed, von ihm abstammen.
Vieles unterscheidet tatsächlich die Abkommen mit den VAE und Bahrain von den bisherigen Friedensabkommen Israels mit Ägypten und Jordanien. Obwohl schon vor über 40 bzw. 25 Jahren geschlossen, spricht man von einem „kalten“ Frieden, der zwischen Israel und diesen beiden arabischen Nachbarn herrscht. Die Sicherheitskooperation klappt zwar bestens, aber die Wirtschaftsbeziehungen sind sehr spärlich. Nicht einmal der Tourismus funktioniert, nachdem Israelis in diesen Ländern wiederholt Ziel von Anschlägen waren und sich die Willkommenskultur sehr in Grenzen hält.
Ganz anders jetzt: Wirtschaftsbeziehungen zu den Golfstaaten gibt es schon seit vielen Jahren. Aber bisher reisten Israelis inkognito oder mit Zweitpässen an den Persischen Golf, gecharterte Flüge mussten geheim und ohne Flugnummern zwischen Israel und diesen Ländern verkehren. Nun geschah innerhalb von Wochen Erstaunliches: Es wurden sofort direkte Flugverbindungen aufgenommen, und schon reisten die ersten Wirtschaftsdelegationen von Israel in die nunmehr befreundeten arabischen Staaten und umgekehrt.
Tatsächlich ist die Zusammenarbeit in jeder Hinsicht sinnvoll. Sie verbindet Israel viel stärker mit den sunnitischen arabischen Ländern als der gemeinsame Kampf gegen das expansionistische und die ganze Region destabilisierende Regime des schiitischen Iran. Israel ist auf vielen Gebieten weltweit führend: von den Technologien zur Bewässerung, Düngung und Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft über die Trinkwassergewinnung mittels Entsalzungsanlagen sowie vielfältige Bereich der Medizin und der Wissenschaften insgesamt bis hin zu den modernsten Informationstechnologien und nicht zuletzt dem Gebiet des Militärs und der Sicherheit.
Den Golfstaaten steht ein massiver Veränderungsprozess bevor, da ihre fast völlige Abhängigkeit vom Verkauf von Erdöl und Erdgas ihnen zwar immensen Reichtum beschert hat, die fossilen Energieträger aber kein Zukunftsmodell sind. Diesbezüglich ist Israel ein kongenialer Partner. Diese Kooperation wird den arabischen Ländern zugutekommen, während das nach Israel fließende Investitionskapital andererseits der ohnehin schon enorm gewachsenen israelischen Wirtschaft einen weiteren starken Schub verleihen wird. Kein Wunder, dass bereits von Israel als neuem „Singapur des Nahen Ostens“ gesprochen wird.
Dementsprechend groß ist die Freude über diese Entwicklung in Israel. Sie hat enorme Auswirkungen nicht nur auf die wirtschaftliche, sondern auch auf die politische, militärische und psychologische Situation des Landes und seiner Gesellschaft. Die arabischen Staaten haben damit fürs Erste begonnen, sich aus der Geiselhaft der Palästinenser zu befreien. Man wird sich auch weiterhin dieses Problems annehmen, aber es stellt kein Hindernis mehr für eine Zusammenarbeit dar. Es ist davon auszugehen, dass weitere arabische Staaten, vor allem auch Saudi-Arabien, letztlich dem Schritt der VAE, Bahrains und des Sudan folgen werden.
Der Friedensschluss mit dem Sudan wurde zwar mit viel Skepsis aufgenommen, ist aber von großer strategischer und psychologischer Bedeutung: In der sudanesischen Hauptstadt Khartum tagte bekanntlich kurz nach dem Sechstagekrieg die Arabische Liga und beantwortete das Rückzugs- und Friedensangebot Israels mit dem berühmten dreifachen Nein: Kein Frieden, keine Anerkennung und keine Verhandlungen mit Israel. Über Jahrzehnte war der Sudan weiters ein Dreh- und Angelpunkt des Terrorismus und des Waffenschmuggels in den Gazastreifen. Das alles, so ist zu hoffen, sollte von nun an Geschichte sein, und Israelis schwärmen bereits von der Möglichkeit, nunmehr mit dem Auto von Israel bis nach Südafrika reisen zu können. Und so wie wir die Israelis kennen, werden sich schon bald die ersten auf den Weg machen. Es ist eine wahrhaft historische Wende in der Geschichte Israels.