Der Friedensvertrag zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) könnte am Beginn einer Neuzeichnung der politisch-strategischen Landkarte des Nahen Ostens stehen. Ein Gespräch mit dem Botschafter der VAE in Wien, Ibrahim Salim Al Musharrakh.
Von Michael J. Reinprecht
NU: Herr Botschafter, welche wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen des Mitte September unterzeichneten „Abraham-Abkommens“ zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten sehen Sie? Bahrain, jüngst auch Sudan, haben ähnliche Verträge mit Israel abgeschlossen. Wird das die Region beeinflussen?
Ibrahim Salim Al Musharrakh: Das „Abraham-Abkommen“ ermöglicht den VAE und Israel, konstruktive Beziehungen auf verschiedenen Ebenen zu entwickeln. Dieser Vertrag stärkt Frieden, Sicherheit und Stabilität der gesamten Region. Zugleich eröffnet er der Jugend beider Länder und ihrer Nachbarn neue Möglichkeiten. Er stellt die bilateralen Beziehungen beider Länder auf eine solide Grundlage: Das betrifft weite Bereiche, wie die Wirtschaft, Gesundheit, Tourismus, Energie, Technologie und Kultur. Israels Wirtschaft boomt, es ist ein in verschiedenen Bereichen, etwa der Technologie, führendes Land. Der Abschluss des „Abraham-Abkommens“ hat aber auch einen positiven Einfluss auf die anderen Länder der Region. Denn er zeigt, dass multilaterale Zusammenarbeit Spannungen reduzieren und Vertrauen aufbauen kann. Das langfristige Ergebnis wird eine ökonomisch florierende und politisch stabile Region sein. Israel ist ein Partner. Ein Partner für die gesamte Region.
Welche Auswirkungen wird das Abkommen auf die geostrategische Landschaft des Nahen und Mittleren Ostens haben?
Führen wir uns die bisherigen Friedensverträge Israels mit Ägypten 1979 und Jordanien 1994 und deren Ergebnisse vor Augen: Diesen Beispielen wollen die „Abraham-Verträge“ folgen. Geopolitische Veränderungen hängen natürlich von mehreren Faktoren ab. Aber das Vertragswerk zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel hat das Potenzial, jene Kräfte zu stärken, die überzeugt sind, dass die Zukunft der Region in der Akzeptanz von Israel als strategischem Partner liegt. Darüber hinaus wird der Friedensvertrag die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit fördern. Und da liegen einige Herausforderungen vor uns.
Fürchtet Ihre Regierung nicht, dass die VAE mit diesem Abkommen den Interessen der Palästinenser schaden?
Nein, ganz im Gegenteil! Die „Abraham-Verträge“ bieten den Palästinensern gute Möglichkeiten: Es sind ja die Annexionspläne gestoppt, und dadurch steigen die Chancen auf die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit dem Ziel, den Nahostkonflikt zu beenden. Wir glauben, dass die Palästinenser durch unseren Vertrag mit Israel Vorteile haben. Die Palästinenserfrage ist auch immer im Zentrum der Außenpolitik der Vereinigten Arabischen Emirate gestanden. Nach wie vor betrachten wir die arabische Friedensinitiative von 2002 als Roadmap zur Beendigung des Konflikts durch eine Zwei-Staaten-Lösung.
Sehen Sie die „Abraham-Verträge“ nicht auch vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen iranischen und arabischen Interessensphären? Haben die Verträge mit einem gewissen Antagonismus zwischen Sunniten und Schiiten zu tun?
Nein, das sehe ich überhaupt nicht so. Denn die VAE nehmen eine Position ein, die alles tut, um Konflikte in der Region zu deeskalieren. Ich bin überzeugt, dass die „Abraham-Verträge“ einen wichtigen Beitrag zu einer stabilen Nachbarschaft leisten: durch die Förderung von Zusammenarbeit und den zunehmenden Fokus auf multilaterale Lösungsansätze. Diese sind Voraussetzung für den Frieden im Nahen und Mittleren Osten.