Grundsatzrede im Nationalrat am 19. Oktober 2023 zur Lage in Israel und die Folgen des Blutbades, das die Hamas im Süden des Landes angerichtet hat.
Von Martin Engelberg, Abg. z. NatRat (ÖVP)
Wir beschließen heute die Änderung des Österreichisch-Jüdischen Kulturerbegesetzes. Es ist sehr löblich, keine Frage. Vielen Dank für den Einsatz in dieser Sache und auch dafür, dass letztlich alle Parteien zustimmen werden. Auch dem gebührt Anerkennung.
Die aktuellen Ereignisse in und um Israel gebieten aber, dass ich diese Gesetzesänderung zum Anlass nehme, einen größeren Kontext herzustellen stellen. Das ist eine schwere Rede, die ich hier zu halten habe.
Ich möchte zunächst mit gebrochenem Herzen Rabbiner Leo Dee willkommen heißen. Er war vor einigen Monaten mit seiner Familie auf dem Weg zu einem Wochenendausflug, als seine Frau und seine zwei Töchter kaltblütig bei einem Anschlag ermordet wurden – so wie vor einigen Tagen Zivilisten im Süden Israels.
Der von mir sehr verehrte frühere IKG-Präsident Paul Grosz hat einmal in einem Gespräch mit einem Bundeskanzler gesagt: „Wissen Sie, Herr Bundeskanzler, wenn Sie wissen wollen, wie es einem Land geht, dann schauen Sie sich an, wie es der örtlichen jüdischen Gemeinde geht. Das ist immer ein guter Indikator dafür, wie es der ganzen Gesellschaft geht.“ Das gilt weiterhin, das gilt aber auch für Israel. Schauen Sie sich an, wie es Israel geht, dann wissen Sie, vor welcher Herausforderung die westliche Welt steht!
Es waren blutrünstige Mörderbanden – ich möchte sie nicht einmal als Terroristen bezeichnen, weil das fast schon beschönigend ist -, die unschuldige Menschen massakriert, Säuglinge geköpft haben, vergewaltigt haben: Barbaren. Sie sind– und ich schließe mich da der Meinung von manchen Leuten an – schlimmer als die Nationalsozialisten! Diese haben das Gleiche getan, aber sie haben sich wenigsten dafür geschämt. Sie haben wenigstens versucht, ihre Verbrechen zu verstecken, Leichen zu begraben, die Spuren zu beseitigen.
Diese Mörderbanden filmen das auch noch, sind stolz darauf, verbreiten es in der ganzen Welt. Während wir alle noch im Schock darüber sind, fängt man schon an, uns Sand in die Augen zu streuen, versucht man, es zu relativieren, aus Naivität oder ganz bewusster Desinformation.
Ja, da geht es um den israelisch-palästinensischen Konflikt, da geht es um die Siedlungen im Westjordanland, da geht es um die Besatzung. Aber: Nein! Darum geht es nicht!
Israel hat im Jahr 2005 den Gazastreifen geräumt. Komplett! Seit 2005 befindet sich kein israelischer Soldat im Gazastreifen, befindet sich kein Israeli im Gazastreifen. Der Gazastreifen wurde 2005, also vor 17 Jahren, komplett geräumt. Es wurde alles, was Israel dort aufgebaut hatte – landwirtschaftliche Betriebe, Siedlungen – unzerstört übergeben. Die Europäische Union, also wir alle, haben den Palästinensern Unsummen an Geld zur Verfügung gestellt, damit der Gazastreifen zu einem blühenden Singapur des Nahen Ostens werden kann.
Was ist geschehen? Am nächsten Tag wurden die landwirtschaftlichen Produktionsstätten zerstört. Am nächsten Tag wurde mit unserem Geld begonnen, dort eine Waffenindustrie aufzubauen und Gaza aufzurüsten. Zwei Jahre später hat die Hamas geputscht und die palästinensischen Brüder, die Autonomiebehörde, genauso massakriert wie jetzt die Israelis. Sie haben sie von den Dächern gestoßen, erschossen – genau diejenigen, die jetzt nicht bereit sind, sich von der Hamas zu distanzieren.
Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass es nicht um Besatzung geht. Der Gazastreifen ist nicht besetzt. Das ist Propaganda, das ist Lüge. Der Rabbiner hat in der Aussprache sehr richtig gesagt: Es ist nicht einmal eine Lüge, sondern es ist schlimmer, es ist Antiwahrheit, denn eine Lüge ist manchmal einfach nur eine Verdrehung der Wahrheit.
Die Grenzen waren offen – auch jetzt wieder, im Übrigen. Wir waren vor einem Jahr mit einer Delegation genau bei diesem Grenzübergang. Jeden Tag kamen 15 000 Arbeiter herüber nach Israel.
Die Demonstranten hier in Wien: Solidarität mit den Palästinensern – schön, mit den Zivilisten. Was steht auf der Einladung zu der Demonstration, zu der auch der palästinensische Botschafter gehen wollte, wie er in einer Fernsehdiskussion gesagt hat? Auf der Einladung steht: „From the river to the sea, Palestine will be free“. Was heißt denn das? Was heißt: Palestine will be free from the river to the sea? River ist der Fluss Jordan, und the sea ist das Mittelmeer. Was ist dort dazwischen? Nur das Westjordanland und der Gazastreifen? Nein, der Staat Israel. Die Menschen gehen hier auf die Straße und demonstrieren für die Zerstörung Israels, die Vernichtung des Staates Israel, und wir lassen das zu.
Ich glaube, das ist der Moment, der uns die Augen öffnen muss. Manche, nicht wenige, sagen: Was geht uns das an? Die sollen sich dort die Köpfe einschlagen! Aber: We are just around the corner, wie die Amerikaner sagen. Ich erinnere Sie, was ich eingangs gesagt habe: Jetzt ist es Israel, jetzt ist es die jüdische Gemeinde, aber es geht nicht nur um sie, sondern es geht um uns. Es geht um Österreich, es geht um die westliche Gesellschaft, es geht um unsere Wertegemeinschaft. So sehr Israel die Unterstützung braucht und auch die jüdische Gemeinde die Unterstützung braucht – wir müssen verstehen, dass wir alle angegriffen sind.
Haben wir schon vergessen, dass es auch in Europa Massaker gegeben hat? Genauso wie die Zivilisten jetzt in Israel wurden die jungen Leute im Theater Bataclan niedergemetzelt. Was haben die mit der Situation der Palästinenser in Israel zu tun? Sind sie Besatzer – wovon? – in diesem Theater gewesen?
Die Redaktion von Charlie Hebdo: einfach niedergemetzelt. Hier in Wien hat ein Attentäter eine Kellnerin erschossen, einfach wahllos in Lokale hineingeschossen: Besatzer in dem Konflikt? Haben wir all das vergessen? Als in Paris in der Redaktion von Charlie Hebdo ein Blutbad passiert ist, haben viele intuitiv gesagt: Je suis Charlie! Wir haben uns mit der Redaktion solidarisiert, wir alle sind Charlie. Ich kann nur eines sagen: Das Gebot der Stunde ist, zu sagen: Je suis Israël! Ich bin Israel, wir alle sind Israel.
Wenn ich sage, wir sind Israel, sage ich das nicht nur als Jude, wobei ich dadurch besonders betroffen bin, weil es in der Verwandtschaft tatsächlich auch einen Todesfall gibt und weil die Besorgnis groß ist, denn alle Kinder, die jüngere Generation meiner Verwandtschaft, sind eingezogen. Sie stehen alle am Gazastreifen.
Ich trage aber auch diese Pinnnadel der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft am Revers, weil ich der Meinung bin, dass wir alle in einem Boot sitzen. Ich spreche hier als Österreicher, weil ich Teil der westlichen Wertegemeinschaft bin, die ich so liebe und so schätze, die wir gemeinsam so lieben und so schätzen. Es geht um Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit. Es geht um das Streben nach Glück, und das steht im Gegensatz zu Hass, Mord, Intoleranz, Anbetung des Todes, der Glückssuche im Tod. Das ist die Ideologie dieser Mörderbanden.
Wir müssen an der Seite Israels stehen. Das tun wir, und das muss man auch anerkennen. Die gesamte Staatsspitze, alle Parteien – auch das soll noch einmal extra gewürdigt werden – haben die klare Solidarität mit Israel ausgedrückt. Wir haben die Fahnen am Bundeskanzleramt und am Außenministerium hochgezogen, wir haben die israelische Fahne auf das Parlamentsgebäude projiziert – alles wichtige Signale.
Doch passen wir auf, was jetzt passiert! Das Relativieren hat bereits begonnen: Die zivilen Opfer – die tragisch sind! – im Zuge der Militäraktionen, die Israel unternimmt und unternehmen muss, werden gegen die massakrierten Menschen aufgerechnet werden, die ja nicht Opfer wurden durch das, was man so fürchterlich Kollateralschaden nennt, die nicht Opfer wurden, weil eine Militäraktion notwendig ist, sondern die ganz gezielt und bewusst ermordet wurden. Diese Aufrechnung findet schon statt.
Ich möchte ein konkretes Beispiel nennen, das ich so skandalös finde. Wir alle reden von der Explosion auf dem Parkplatz neben einem Spital. Die Hamas wusste in dem Moment, in dem das passiert ist, dass das kein Angriff Israels war, sondern eine Explosion einer Rakete des islamischen Dschihad, weil deren Raketentreibstoff explosionsartig zu brennen begonnen hat. Sie wissen es, doch sie verbreiten in der ganzen Welt die Propaganda, dass Israel einen Raketenangriff auf ein Spital gemacht hat. Und sie wissen in der Sekunde, dass es mindestens 500 Tote gibt.
Was passiert jetzt? Medien der ganzen Welt verbreiten diese Lüge und schreiben: Israel hat ein Spital angegriffen, 500 Tote. Sie schreiben dann irgendwo dahinter: Sagen palästinensische Quellen. Es gibt Politiker, die daraufhin Israel verurteilen. Ich meine, wie schwer ist es, eine Minute innezuhalten und einen Faktencheck zu machen?
Israel hat ganz klar aufgezeigt, von wo die Raketen geflogen sind, wo und warum die Rakete abgestürzt ist, unsere eigenen Nachrichtendienste haben das bestätigt. Doch als ich heute am Vormittag (19. Oktober, Anm.) meine Rede vorbereitet habe, stand auf der ORF-Homepage noch immer: Klinikbeschuss in Gaza, Vorfall ungeklärt. Ich frage mich: Wer hat da mehr Glaubwürdigkeit in unserem Land? Ist es die Hamas-Propaganda oder ist es unser Partnerland, unser strategischer Partner, der genau Satellitenbilder aufzeigt, die Aufnahmen von Al Jazeera, den Funkverkehr der Hamas mit dem Dschihad, in dem sie darüber reden, dass es eine eigene Rakete war? Der ORF schreibt noch immer: Vorfall ungeklärt, nachdem er 24 Stunden vorher gemeldet hat: Israelischer Angriff, bei dem ein Spital zerstört wurde. Ich kann nur sagen, das ist empörend. Es ist für mich empörend, zu wissen, dass dies der öffentlich-rechtliche Rundfunk Österreichs ist. Es ist nicht das erste Mal, dass da so danebengehaut wird. Ich glaube, wir müssen dringend an unserem Mindset arbeiten.
Eine kleine Nebenbemerkung noch zur SPÖ: Bitte distanzieren Sie sich oder sorgen Sie dafür, dass sich diese Verrückten, Ihre jungen Leute in Vorarlberg, einkriegen! Es kann nicht sein, dass eine Ihnen nahestehende Jugendorganisation verharmlost, was in Israel geschehen ist und Israel noch dämonisiert.
Entwicklungszusammenarbeit, Entwicklungshilfe: Wir haben eine ganze Reihe von Entwicklungshilfeprojekten in palästinensischen Gebieten. Ich anerkenne sehr, dass der Außenminister die Zahlungen sofort gestoppt hat – und zwar war nur einen Tag, nachdem Deutschland das auch angekündigt hat. Die EU hat das zwar am Tag danach auch angekündigt, in der Zwischenzeit aber leider ein bisschen relativiert.
Ich bin auch Sprecher für Entwicklungszusammenarbeit der ÖVP und möchte ganz klar sagen: Diese Entwicklungshilfeprojekte sind keine unschuldigen Projekte, das wissen wir seit Jahren. Wir wissen, dass ein Teil der Gelder an die Hamas abgezweigt wurde. Wir wissen, dass die UNRWA, die UNO-Organisation für die Hilfe der Palästinenser, überhaupt nicht sicherstellt, dass die Gelder nicht der Hamas zugutekommen. Die UNRWA toleriert, dass hetzerische Schulbücher in den Schulen verwendet werden. So wird eine Generation nach der anderen mit unseren Geldern gegen Israel und gegen Juden aufgehetzt. Wir machen dort Wasserprojekte, und wir wissen, dass sie die Rohre ausbuddeln, um daraus Raketen zu machen. Wir wissen das seit Jahren.
Jetzt kommt noch die überhaupt größte Perfidie: Wenn man sagt, wir müssen ihnen ja irgendwie schon Hilfe leisten, dann müssen Sie nur eines verstehen: Jeder Euro, den wir dort hinschicken, entlastet die Palästinenser davon, hinsichtlich folgender Dinge etwas zu tun, etwa die Weiterverbreitung dieser Schulbücher zu unterbinden. Noch schlimmer ist das sogenannte Pay-for-slay-Programm. Das heißt, Familien von Attentätern – also von diesen Mördern – bekommen Prämien, bekommen lebenslange Renten von der palästinensischen Behörde, die wir zahlen. Das ist unser Geld, mit dem diese Mörderbanden bezahlt werden. Wie können wir mit gutem Gewissen auch nur einen Euro dort hinschicken?
Gestern wurde die Alarmstufe erhöht, um insbesondere jüdische Einrichtungen zu schützen. Das finde ich natürlich ganz wichtig, aber nur damit wir unseren moralischen Kompass noch einmal richtigstellen: Am Abend der Massaker wurden keine muslimischen Geschäfte überfallen oder muslimische Einrichtungen in Brand gesetzt. Es ist doch eigentlich merkwürdig, dass es genau umgekehrt ist. Wieso bedrohen Moslems jüdische Einrichtungen? Was ist da passiert? Woist unser Kompass? Wie können wir zulassen, dass Demonstranten auf die Straße gehen, zuerst diese Morde feiern und jetzt jüdische Einrichtungen bedrohen? Hier passiert eine Umkehrung in unserem Wertesystem.
Zum Schluss möchte ich noch ein sehr offenes Wort zu Katar und den Iran sagen. Katar ist der Hauptsponsor der Hamas. Wir nehmen das hin, importieren weiterhin Öl von dort, machen mit ihnen Geschäfte. Katar hat es möglicherweise in der Hand, so viel Druck auf die Hamas auszuüben, dass sie wenigstens die Geiseln, die vielleicht überlebt haben, freilässt. Wir sollten diese Dinge in Zukunft beim Namen nennen: Es ist ein Verbrechen, was sie machen. Die Führung der Hamas sitzt geschützt in Katar, in eleganten Hotels, von Katar mit unserem Geld gesponsert.
Oder Iran – das richte ich an alle Parteien und ich inkludiere auch meine Parteifreunde von der ÖVP: Wir müssen mit dem Lavieren aufhören. Wir müssen klar benennen, worum es geht. Der Iran wird von einem verbrecherischen Regime beherrscht, das die eigene Bevölkerung terrorisiert, ermordet, vor nichts zurückschreckt, das den verbrecherischen Krieg der Russen gegen die Ukraine unterstützt. Der Iran steht ganz offen hinter diesen Mörderbanden, seit Jahren ruft er öffentlich zur Zerstörung Israels auf und geniert sich nicht dafür. Wir empfangen den iranischen Botschafter und hören uns an, dass dieser Staat zur Vernichtung Israels aufruft – und verstehen offenbar nicht, dass wir damit genauso gemeint sind. Wir müssen doch aus der Geschichte gelernt haben, dass solche Verbrecher, wenn sie etwas ankündigen, das ernst meinen. Wir müssen aufhören mit dieser Verharmlosung: Sie sagen es zwar, aber sie meinen es gar nicht wirklich! Ich kann nur eines sagen – und damit möchte ich schließen: Hören wir mit diesem Lavieren auf! Es geht um unsere westliche Zivilisation, die wir verteidigen müssen. Israel steht da nur an der Vorfront. Wir werden in den nächsten Wochen vor großen Herausforderungen stehen, weil irgendwann diese Bodenoffensive beginnen wird. Es wird schreckliche Bilder geben, es wird ein schreckliches Szenario sein, aber wir müssen unseren moralischen Kompass bitte richtig einstellen. Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von Grünen und NEOS.)