Instant-Kabbalah

Madonna und viele andere Prominente haben die Kabbalah, oder was davon übrig blieb, als neue Ersatzreligion entdeckt und begeben sich auf Pilgerfahrt. Nicht nur in den USA erfreuen sich die so genannten Kabbalah Center regen Zulaufs. Nicht weniger als 3,5 Millionen Menschen sollen sich der Bewegung bereits angeschlossen haben.
Von Danielle Spera

Mitten im Sommer ließen die israelischen Zeitungen mit einer Nachricht aufhorchen. Für Rosch Haschana und Jom Kippur soll Israel einen wahren Ansturm der „Rich and Famous“ aus Hollywood erleben. Das berühmtberüchtigte Kabbalah Center mit Hauptsitz in Los Angeles hat für die hohen Feiertage tausend Zimmer in den besten Hotels von Tel Aviv reserviert. Dazu den großen Ballsaal im Dan Intercontinental für die religiösen Zeremonien. Angeführt von Madonna, Demi Moore und Donna Karan, wollen 2.000 Mitglieder des Kabbalah Centers Rosch Haschana und Jom Kippur in Israel verbringen und ein ausgesuchtes Programm absolvieren. Neben den religiösen Feiern sind Ausflüge zu den Touristenzielen und den Gräbern berühmter Kabbalisten vorgesehen. Stolz vermelden die Organisatoren, dass die Teilnehmer an der Reise aus 22 Ländern kämen, von Venezuela bis zur Elfenbeinküste. Prominenteste Werbeträgerin, Fürsprecherin und „Anwältin“ des Kabbalah Centers ist Popstar Madonna, die mittlerweile ihr Leben und ihren Namen geändert hat. Sie heißt jetzt Esther, hat das Kreuz an den Nagel gehängt und gibt Freitagabend keine Konzerte mehr. Dolce und Kabbalah Das Mitgliederverzeichnis des Kabbalah Centers liest sich wie ein Who’s who der Reichen und Schönen der Pop- und Filmbranche. David und Victoria Beckham, Madonnas Mann Guy Ritchie. Demi Moore mit Ashton Kutcher gehen im Hauptquartier der Bewegung in Los Angeles ein und aus. Barbara Streisand, Elizabeth Taylor, Diane Keaton, Paris Hilton, Winona Ryder, Jeff Goldblum, Goldie Hawn, Courtney Love, Naomi Campbell und viele, viele andere. Kein Wunder also, dass der Begriff Dolce und Kabbalah aufgekommen ist. Jerry Hall ist mittlerweile abgefallen, sie weigert sich, zehn Prozent ihres Einkommens an die Organisation abzugeben. Auch die Modedesignerin Stella McCartney, Tochter von Paul und Linda McCartney, ist bereits auf Kollisionskurs mit dem Kabbalah Center gegangen und hat sogar ihre Freundschaft mit Madonna-Esther beendet. Madonna sei mittlerweile nicht mehr als eine Rekrutierungsmaschine für den Gründer der Kabbalah Center, Rabbi Berg, so ihre Kritik.

 

Der „Rav“

Wer steht hinter dieser Bewegung? Es ist dies Rabbi Philip Berg, ein 75-jähriger Mann mit Bart, der stets in weißer Kleidung auftritt. Vor etwa 35 Jahren hieß er noch Feivel Gruberger und war Versicherungsvertreter in New York. Heute zählt er zu den Superreichen der USA mit Wohnsitzen in den exklusivsten Vierteln von Beverly Hills und Manhattan. Mittlerweile kultiviert er eine Aura des Geheimnisvollen um seine Person, es gibt kaum Fotos von ihm, Interviews werden nicht zugelassen. Seine Vergangenheit will er im Dunkeln lassen. So viel ist bekannt: Berg war verheiratet und hatte mit seiner streng religiösen Frau in New York acht Kinder. In seiner offiziellen Biographie heißt es, er habe New York in Richtung Israel verlassen, um sich seinen Studien zu widmen. Tatsächlich sei seine Motivation aber rein pekuniär gewesen, so sein Sohn aus erster Ehe, Avraham Gruberger. Gemeinsam mit einer Kollegin aus der Versicherungsbranche wollte man in Israel Geschäfte anbahnen – aus der Kollegin Karen wurde schließlich die zweite Frau, heute Teilhaberin am tatsächlich millionenschweren Geschäft, allerdings statt mit Versicherungen, mit der Kabbalah. In Israel besuchte Gruberger einen Verwandten seiner ersten Frau, Rabbi Yehuda Brandwein, eine Autorität auf dem Gebiet der Kabbalah. Nach dessen Tod 1969 beanspruchte Gruberger, mittlerweile Dr. Philip Berg (die Herkunft des Doktorats ist ungeklärt), die Leitung des Kabbalah-Seminars Kol Yehuda von Rabbi Brandwein, dessen Sohn allerdings jede Verbindung zu Bergs Kabbalah Center in Abrede stellt.

Heute ziehen neben Philip und Karen Berg auch seine Söhne Yehuda und Michael die Fäden. Yehuda Berg gab sich unlängst in einem Interview nicht eben unbescheiden: „Immer wenn neue ‚Lehren‘ entstehen, sind sie umstritten, denken sie nur an Jesus oder Mohammed, so ist es auch bei uns.“ Er würde gern mehr rote Armbändchen auf der Welt sehen als Kreuze an Halsketten. Immerhin kann sich die Familie Berg mittlerweile über bis zu 3,5 Millionen Anhänger freuen, 50 Zentren hat man weltweit aufgebaut, vor einem Jahr auch eines in Deutschland. Kritiker seiner Organisation seien einfach eifersüchtige Rabbiner, die eben nicht so einen großen Zulauf hätten wie er, so Yehuda Berg.

 

Pop-Kabbalah wird zum Geschäft

Das rote Armbändchen um „günstige“ 26 Dollar ist sichtbares Symbol der Anhänger des Rav, wie Philip Berg sich gerne nennen lässt. Es soll gegen den bösen Blick und Verwünschungen von Menschen, die einem mit Neid und Missgunst begegnen, schützen. Weiters trägt man weiße Kleidung, denn sie zieht laut Berg positive Energie und Licht an. Die Verkaufspolitik des Rav ist geradezu genial: Um teures Geld kann man (auch via Internet) gesegnetes Mineralwasser (in jedem Tropfen des „heiligen“ Wassers seien Jahrhunderte an Weisheit konzentriert – so die Werbung), gesegnete Gesichtscremen, die hundertprozentig den Alterungsprozess stoppen, oder Duftkerzen zur Vertreibung böser Geister kaufen. Es wird sogar versprochen, dass Krankheiten geheilt werden können, die Fruchtbarkeit angeregt wird, ja selbst die Unsterblichkeit sei nicht ganz ausgeschlossen.

Das Rezept des Kabbalah Centers ist einfach, die Kabbalah wurde sozusagen benutzerfreundlich gemacht. Eines der wichtigsten Mittel ist die so genannte „Speed-Meditation“: Man muss nicht des Aramäischen mächtig sein, um den Zohar, den Text der Kabbalah, lesen zu können. Rabbi Berg empfiehlt die „20-Sekunden-Kur“: Man streicht mit den Händen über den Text. Durch dieses Scannen nimmt man die Worte unbewusst auf. Die kleine, wenn auch für die Bewegung ökonomisch ertragreiche Nebenbedingung: Das dabei zu verwendende Buch Zohar muss beim Kabbalah Center gekauft werden, um satte 415 Dollar. In jüdischen Buchhandlungen gibt es das gleiche, aber zum „religiösen Scannen“ ungeeignete Buch bereits ab 30 Dollar.

 

Ein gefährlicher Kult oder Scientology auf jüdisch

Kein Wunder, dass die Kritik heftig ausfällt: Menschen würden dort Unterricht geben, deren Kenntnisse über die Kabbalah – wenn überhaupt – ausgesprochen dürftig seien. „Es ist nicht nur ein Kult, sondern sogar ein gefährlicher Kult“, so Rabbi Immanuel Schochet, Experte für Jüdische Philosophie und Mystik aus Toronto. Madonna trägt solche Kritik gelassen. Sie hat sich ein T-Shirt mit den Worten „Kult-Mitglied“ drucken lassen und es beim nächsten Auftritt getragen. Auch ernste Warnungen bleiben nicht aus. In Großbritannien hat sich Oberrabbiner Jonathan Sacks im heurigen Frühjahr zu einer außergewöhnlichen öffentlichen Stellungnahme entschlossen, nachdem ihm Horrorgeschichten à la Scientology berichtet worden waren. Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die sich für das Kabbalah Center interessierten, seien bedrängt worden, viel Geld zu spenden, damit z. B. kranke Eltern geheilt würden. Manchen wurde geraten, den Partner zu verlassen, wenn der kein Interesse für das Kabbalah Center zeigte, etc. Außerdem wurde verbreitet, der Holocaust hätte vermieden werden können, wenn die Juden nur ausreichend die Kabbalah studiert hätten.

Aufgebaut wurde das Londoner Zentrum (das größte in Europa) übrigens hauptsächlich aus Spenden von Madonna (5 Millionen Dollar) und dem Ergebnis eines großen Fundraisings durch Mick Jagger und Jerry Hall vor vier Jahren.

Doch nicht nur in Großbritannien ist man durch Übergriffe alarmiert. Jüdische Gemeinden auch anderswo distanzieren sich vehement von den Machenschaften der Kabbalah Center. Die Kabbalah Center würden – ähnlich anderen Sekten – in das Leben ihrer Mitglieder eingreifen und sie extrem unter Druck setzen, berichtet vor allem Rick Ross, der in New Jersey ein Institut leitet, das sich mit Kult und Sekten auseinander setzt und es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Berichte von Geschädigten der Kabbalah Center zu dokumentieren. Er ist einer der schärfsten Gegner Bergs, den er als Sklavenhalter bezeichnet, der ausschließlich seine Anhänger und Mitarbeiter ausbeute.

Doch selbst die schärfsten Kritiker können Berg nicht absprechen, dass er eine geniale Mischung gefunden habe: Man nehme ein bisschen New-Age-Spiritualität, Pop-Psychologie, buddhistische Meditation, hinduistische Seelenwanderung und eine Prise jüdischer Kultur, das alles mische man um ein mystisches Werk wie das Buch Zohar und mache es jedem (Frauen, Männern, Kindern, Juden, Nichtjuden) zugänglich. Dazu auch noch Versprechungen wie Erfüllung jedes Wunsches, Gesundheit, glückliche Beziehung, Liebe, Sex, Reichtum und das Ergebnis ist perfekt: ein Geschäft ohne Risiko.

In den USA gehen die Meinungen auseinander: Schon wird diskutiert, ob dieser Zulauf gut oder schlecht für die Juden sei. Zwar empfinden es viele als Schande, dass ein wertvolles Gut wie die Kabbalah entwürdigt werde, allerdings meinen andere, es mache das Judentum populär und verringere vielleicht sogar den Antisemitismus. Tatsächlich drängen sich Paare zu kabbalistischen Trauungszeremonien, nichtjüdische Jugendliche feiern Bar Mitzwah-Partys , das alles jedoch ohne Synagoge und Thora.

Von Madonna kommen weiterhin die großzügigsten finanziellen Zuwendungen. Sie hat mittlerweile zwei Kinderbücher, die auf kabbalistischen Geschichten basieren, geschrieben. Die beiden Bücher „The English Roses“ und „Mr. Peabody’s Apples“ werden nicht nur auf der Homepage des Kabbalah Centers angeboten, auch der Erlös geht an Rav Bergs Organisation. Außerdem soll Madonna-Esther gerade

eine größere Summe für den Aufbau eines Kinder-Kabbalah-Centers in Manhattan gespendet haben, kolportiert werden 21 Millionen Dollar. Madonnas Wunsch nach einem dritten Kind stehe auch in engem Zusammenhang mit ihrer Bindung zum Kabbalah Center, wollen Eingeweihte wissen, verspricht man doch dort gesteigerte Fruchtbarkeit durch das Studium der Kabbalah. Immerhin habe das heilige Wasser des Rav bereits die Warzen ihres Mannes Guy Ritchie zum Verschwinden gebracht. Seither trinke sie nichts mehr anderes.

Komödienstar Roseanne Barr sagt, ihr Leben habe sich durch das Kabbalah Center total geändert – sie fühle sich, als ob sie neu geboren wäre. Die gesamte Showgemeinde könne dem Kabbalah Center dankbar sein, endlich würde man gemeinsam für eine bessere Welt sorgen.

Den Werbeeffekt durch Madonna-Esther schwächt man im Kabbalah Center ein wenig ab. Durch den 11. September seien um ein Vielfaches mehr Menschen zum Kabbalah Center gekommen als durch die Popularität Madonnas. Jede Woche seien es 50.000 Seminaristen allein in den USA, mehr als die Hälfte davon Nichtjuden, die Seminare und Veranstaltungen besucht hatten.

In den USA betrachtete man den Trend im Allgemeinen weniger mit Paranoia als vielmehr mit Ironie und Toleranz, schreibt die „New York Times“. Und zitiert Rabbi Ephraim Buchwald vom National Jewish Outreach Program in Manhattan: Vielleicht rege es nichtgläubige Juden an, ihren Glauben zu überprüfen. „Wenn die wichtigsten Rabbiner in den USA fordern, man solle koscher leben, wird keiner hinhören, wenn das aber von Madonna kommt, na dann …“

www.kabbalah.com

 

Zum Hintergrund der Kabbalah:

Das Buch Zohar wurde im 13. Jahrhundert angeblich von Rabbi Moses de Leon aus Granada in Spanien verfasst und beinhaltet eine Sammlung von Weisheiten, die vermutlich aus dem 2. Jahrhundert stammen.

In diesem Buch verbindet sich jüdisches Gedankengut mit älteren mystischen Vorstellungen. Spekulationen über den Namen Gottes, Zahlenmystik und Buchstabendeutungen spielen darin eine Rolle wie auch eine dualistische Sicht von Gut und Böse und Theorien über Seelenwanderungen. Mit der Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 wurde die Kabbalah auch in anderen Regionen verbreitet. Später hatte sie großen Einfluss auf den Chassidismus. Als Voraussetzung für die Beschäftigung mit der Kabbalah gilt das Studium von Talmud und Thora und ausgezeichnete Hebräisch-, wenn nicht Aramäisch-Kenntnisse. Zahlenwerte, die den versteckten Namen Gottes symbolisieren, seien geeignet, Prophezeiungen anzustellen, Krankheiten zu heilen, ja sogar mit Verstorbenen Kontakt aufzunehmen, hieß es. Bedenken scheint man aber auch schon im 14. Jahrhundert gehabt zu haben, wurde doch warnend die Losung ausgegeben, die Kabbalah sollte ausschließlich von bescheidenen, demütigen, gläubigen, gelehrten und verheirateten Männern ab 40 Jahren gelesen werden.

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