Filme über den Nationalsozialismus sind ein eigenes Genre mit eigenen Stereotypen, die besonders ein Regisseur – Andreas Dresen – zu vermeiden versucht. Erfolgreich. Sein Film „In Liebe, eure Hilde“ handelt von der 1909 geborenen Berlinerin Hilde Coppi, die im Widerstand gegen das Naziregime war und 1943 hingerichtet wurde.
Von Gabriele Flossmann
Ganz bewusst stellt Andreas Dresen in diesem Film kein jüdisches Schicksal in den Mittelpunkt, um zu demonstrieren, dass sich Rechtsextremismus gegen jede Form von anderem Denken richten kann. Dass nichtjüdische Menschen nicht so tun können, als ginge sie diese gesellschaftliche Entwicklung nichts an.
Hilde Coppi und ihr Mann Hans gehörten einer Gruppe an, die von der Gestapo „Rote Kapelle“ genannt wurde. Es waren mehr als 150 Gegner des Nationalsozialismus, Studenten, Künstlerinnen, Publizistinnen und Verwaltungsbeamte, die die Menschenverachtung des Nazi-Regimes ablehnten. Sie hatten verschiedene soziale Hintergründe und Weltanschauungen. Hilde Coppi war – so Andreas Dresen –einfach eine junge Frau, die eine „gesunde Intuition“ für das gehabt habe, was richtig und falsch sei. Also ein Mensch, wie du oder ich. Wie du oder ich es sein sollten. In seiner Intention, die Stereotypen der Filme über den Nationalsozialismus zu vermeiden, zeigt Dresen zerrissene Menschen statt böser Nazis. Er schwelgt nicht in Düsternis, sondern lässt seine Heldin immer wieder das Sonnenlicht suchen, selbst kurz vor ihrem Tod im Gefängnishof von Plötzensee. Es gibt auch so gut wie keine Musik, die womöglich die Tränendrüse des Publikums stimulieren soll, sondern nur ein kurzes Intermezzo in der Mitte, in der eine fröhliche Melodie eine unbeschwerte Szene an einem Badesee unterstreicht. Ansonsten vertraut Dresen den Geräuschen. Dem Klappern einer Schreibmaschine beim Verhör. Dem Schlucken und Kauen beim Essen im Gefängnis. Dem Herabsausen des Fallbeils.
Andreas Dresen gehört zu den profiliertesten Regisseuren Deutschlands, der seine Kunst immer in den Dienst gesellschaftlich relevanter Aussagen stellt. Zuletzt lief von ihm „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ im Kino. Er erzählt von der Deutsch-Türkin Rabiye Kurnaz, die einen unermüdlichen Kampf für die Freilassung ihres Sohnes Murat führte, der kurz nach dem 11. September 2001 aufgrund eines Terrorismus-Verdachts verhaftet und nach Guantanamo gebracht worden war. Als Unschuldiger. Dresen ist nicht nur Mitglied der Oscar-Academy, sondern zählt auch zu den Gründungsmitgliedern der deutschen Film-Akademie. Sein soziales Gewissen formte sich, als er nach einem Vorschlag der Partei „Die Linke“ über 10 Jahre (bis zum Jahr 2022) als Laienrichter am Verfassungsgericht in Potsdam tätig war. Neben dem Film gehört seine Leidenschaft der Oper, er hat unter anderem in Basel, Berlin, Dresden oder der bayerischen Staatsoper inszeniert. Sein Vater Adolf Dresen war in den 1980er und -90er Jahren immer wieder als Regisseur an der Wiener Staatsoper tätig.
Ob es ihm wichtig war, eine Frau als Widerstandskämpferin zu porträtieren, fragte ich Andreas Dresen. „Meistens sind ja die Männer im Widerstand bekannt. Bei der sogenannten Roten Kapelle gab es sehr viele tapfere Frauen, die da nicht nur Kaffee gekocht haben. Heldentum und Anstand sind nicht geschlechtsspezifisch. Ich wollte zeigen, dass hinter den Widerstandskämpfern keine „Heroen“ stecken, sondern ganz normale Menschen. Gleiches gilt für die Vertreter des NS-Systems, die hier nicht herumschreien, um Schreckliches anzurichten. Manche verhalten sich sogar recht freundlich. Mir war es wichtig, Nazideutschland so zu zeigen, wie man es kaum je auf der Leinwand dargestellt gesehen hat. Ganz ohne Hakenkreuze und Uniformen, was – meiner Ansicht nach – die gnadenlose, durchorganisierte Menschenfeindlichkeit noch erschütternder macht. Das macht das, was am Ende dabei herauskommt, nicht weniger furchtbar. Vielleicht werden damit die Parallelen zu heutigen Entwicklungen deutlicher, weil man merkt, dass ein System vom alltäglichen Mitläufertum getragen wird, vom alltäglichen Opportunismus“, sagt der Regisseur.
Hilde Coppi, geboren 1909 in Berlin, war eine deutsche Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus. Als Mitglieder der Gruppe „Rote Kapelle“ verteilten sie und ihr Mann Hans Klebezettel und Flugblätter, beschafften Quartiere für Verfolgte und gaben heimlich abgehörte Radionachrichten weiter. Sie war schwanger, als sie 1942 verhaftet wurde, und brachte ihren Sohn im Gefängnis zur Welt. 1943 wurde sie in Plötzensee hingerichtet, knapp acht Monate nach ihrem Mann. Ihr Sohn Hans wurde Historiker und engagiert sich seit Jahrzehnten für die Gedenkstätte Deutscher Widerstand und die Stärkung der Demokratie.
Die Coppis gelten im Osten als Helden, im Westen dagegen als kommunistische Verräter. Und wie ordnet Andreas Dresen die Figuren ein? „Die Geschichte der sogenannten „Roten Kapelle“ wurde völlig unterschiedlich bewertet. Ich sage „sogenannt“, weil es die Gestapo war, die der Gruppe diesen Namen gegeben hat. Sie hofften, einen großen Spionagering zerschlagen zu haben, den es aber gar nicht gab. Im Osten wurden daraus die kommunistischen Widerstandskämpfer, und im Westen wurden sie tatsächlich über lange Zeit als „Vaterlandsverräter“ gesehen, weil einige von ihnen Spionage zugunsten der Sowjetunion betrieben haben sollen. Jedenfalls wurden die Urteile gegen die Mitglieder der „Roten Kapelle“ erst 2009 aufgehoben. Der Staatsanwalt, der das Todesurteil gegen Hilde Coppi erwirkte, Manfred Roeder, war noch in den 1960er-Jahren in Hessen als Kommunalpolitiker tätig. Das ist schon krass.“
Und zum Bezug zu heute meint Andreas Dresen: „Diese Gruppe war ein Querschnitt der ganzen Gesellschaft: Da gab es Wissenschaftler und Künstler, aber auch eine Schülerin oder Proletarier wie Hilde und Hans Coppi- er war Dreher und sie ärztliche Assistentin. Alle hatten aber ein Ziel: Sie wollten Widerstand gegen ein unmenschliches Regime leisten.“ Den Zuschauern möchte er mit auf den Weg geben, dass Widerstand nicht ein Wert an sich ist. Was zählt, ist eine empathische Haltung – möglichst allen Menschen gegenüber. Haltung sei etwas, das man tagtäglich, auf der Straße oder im Privatleben, immer wieder neu für sich finden muss.
Er sei aufgeregt, meinte Andreas Dresen vor dem Kino-Start seines Films: „Es wird sich jetzt zeigen, ob wir mit dieser Geschichte die Herzen und Köpfe der Menschen erreichen.“ Nach den zeitgleichen Kinopremieren in Österreich und Deutschland wird die Geschichte von Hilde und Hans Coppi in zahlreichen anderen Ländern zu sehen sein. Schon jetzt ist klar: Der Film hat sich im Ausland gut verkauft und somit kann der Film, den Dresen als ein Ausrufezeichen für den Kampf gegen das neuerliche Erstarken des Rechtsextremismus sehen will, weltweit seine Wirkung entfalten. Hoffentlich.