Der Vorarlberger FPÖ-Chef Dieter Egger hat den Beweis erbracht: Mit unverhohlenem Antisemitismus lassen sich in Österreich noch immer Wahlen gewinnen. Nun könnte er gar Bürgermeister der historischen Judenstadt Hohenems werden.
Von Steffen Arora (Text) und Andreas Uher (Fotos)
Hohenems hat schon bessere Zeiten erlebt. Darin sind sich die beiden Herren, Ende fünfzig, die gemeinsam die Bauarbeiten am Ufer des Emsbaches beobachten, einig. Wie fast immer an solchen Herbsttagen, liegt dichter Nebel über der Kleinstadt im Vorarlberger Rheintal. Die Sonne, die irgendwo über dieser feuchtkalten Suppe strahlt, taucht den Ort in diffuses, gelbgraues Licht. Ab und zu reißt die Nebeldecke kurz auf und gewährt einen Blick auf den majestätischen Schlossberg. Zu seinen schroffen Füßen, im Stadtzentrum, liegt der Schlossplatz. Die dortige Baustelle am Ufer des Emsbaches dient Männern fortgeschrittenen Alters als beliebter Treffpunkt. Rund um die Gitterzäune stehen Herren, meist mit Hut und in Kleingruppen, um zu tratschen. Meistens geht es dabei um Politik, denn im März soll ein neuer Bürgermeister gewählt werden. Mit ihrem jetzigen, ÖVPStadtoberhaupt Richard Amann, sind viele, selbst eingefleischte Schwarze, unzufrieden. Die Kleinstadt ist fast pleite, 36 Millionen Euro Schulden lasten auf der Gemeindekasse. Statt etwas für die Allgemeinheit zu tun, so der Vorwurf, verwirkliche sich der Bürgermeister lieber mit sinnlosen Großprojekten selbst.
Auch der rundlichere der beiden Herren am Bauzaun ist unzufrieden: „Der Egger wäre schon gut für Hohenems. Auf jeden Fall besser als der jetzige Bürgermeister. Und ich bin normalerweise ein alter ÖVPler.“ Die Rede ist von Dieter Egger, „Emser“ und Landesparteiobmann der Vorarlberger FPÖ, der im Sommer als Antisemit mit einem Schlag österreichweite Bekanntheit erlangte und sich nun mit dem Gedanken spielt, Bürgermeister von Hohenems, Vorarlbergs einstigem jüdischen Zentrum, zu werden. Wenngleich er sich offiziell noch nicht festlegen will: „Das hat Zeit. Meine Entscheidung, ob ich für das Amt des Hohenemser Bürgermeisters kandidieren werde, gebe ich in den kommenden Wochen bekannt.“
Es war im August: Beim Auftakt zum Landtagswahlkampf der Vorarlberger FPÖ in seiner Heimatstadt greift Spitzenkandidat Dieter Egger bei einer Verbalattacke gegen den Direktor des hiesigen Jüdischen Museums, Hanno Loewy, tief in die Antisemitismuskiste. Der „Exil-Jude aus Amerika in seinem hochsubventionierten Museum“ habe sich nicht in die Vorarlberger Innenpolitik einzumischen. Loewy hatte zuvor in einem offenen Brief die polemischen Wahlplakate der FPÖ mit dem Slogan „Elterngeld für heimische Familien“ kritisiert. Die Aufregung ob Eggers antisemitischer Replik war groß. Plötzlich war der bis dato unscheinbare FPÖ-Chef weit über die Grenzen des Ländle hinaus bekannt. Als Antisemit zwar, aber immerhin. Die zweifelhafte neue Berühmtheit gereichte Egger in seiner alemannischen Heimat zu einem veritablen Wahlerfolg im September: zweitstärkste Partei mit über einem Viertel der Stimmen. Ihr bestes Ergebnis erzielten die Freiheitlichen in Eggers und Loewys Heimatstadt Hohenems. Ausgerechnet in Vorarlbergs ehemals jüdischem Zentrum hielt offener Antisemitismus 37,98 Prozent der Wähler nicht davon ab, Egger ihre Stimme zu geben. Zugleich fuhr die ÖVP mit 39,78 Prozent in ihrer einstigen Hochburg Hohenems das schlechteste Landesergebnis ein. Doch der Triumph wurde zum Pyrrhussieg. Denn VP-Landeshauptmann Herbert Sausgruber kündigte seinem langjährigen Koalitionspartner FPÖ wegen Eggers Aussage und seiner Weigerung, sich dafür zu entschuldigen, die Zusammenarbeit auf. Der ehemalige FP-Landesrat fristet mit seiner Fraktion seither das wenig erquickende Dasein auf der Oppositionsbank.
Viele Emser, so auch die beiden Herren am Bauzaun, würden „ihren Dieter“ lieber auf dem Bürgermeistersessel sehen. „Das wurde doch alles nur von den Medien aufgebauscht“, wiegeln sie Fragen zum Antisemitismus-Vorwurf gegen Egger ab. 80 Prozent der Emser würden die Meinung des FP-Chefs teilen, sagen sie: „Nur traut es sich niemand zu sagen.“ Der Dieter sei schließlich „einer der Unsrigen“. Für Mitbürger Loewy haben sie weniger Sympathien übrig: „Der ist im Ort unbeliebt. Und überhaupt ist der nicht von hier, ein Exil-Jude eben.“ Das sei im Übrigen kein Schimpfwort, erklärt der rundlichere der beiden Herren am Bauzaun: „Das ist so, wie wenn ich ‚Scheiß-Steirer‘ sage. Da würde niemand so beleidigt tun.“ Ein dritter Herr stößt zur Runde dazu. „Die sind ohnehin viel zu empfindlich. Wo es denen doch eh so gut geht.“ Mit seinen behandschuhten Händen deutet er in Richtung des alten jüdischen Viertels, wo noch die prachtvollen Bürgervillen stehen, in denen die einst lebten. Dass seit der Naziherrschaft vor gut 70 Jahren keine Juden mehr in Hohenems leben, lassen die Herren am Bauzaun unerwähnt. „Für Antisemitismus braucht es aber auch keine Juden“, erklärt dazu der Innsbrucker Politologe Reinhold Gärtner. Diese Ressentiments haben hierzulande eine derart lange Tradition, dass sie auch ohne direktes Feindbild funktionieren. Im Falle von Hohenems genügten einige gut erhaltene Prunkvillen, die im Kontrast zum sonst tristen Ortsbild stehen, sowie ein erfolgreicher Museumsdirektor, um den alten Hass aufflammen zu lassen. Gärtner glaubt, dass Eggers Angriff auf Loewy durchaus von Kalkül geleitet war: „Weil mit Antisemitismus in Österreich immer noch Wählerstimmen zu gewinnen sind.“
Zugleich relativiert er aber: „Der Wahlerfolg der FPÖ in Vorarlberg ist sicher nicht allein dieser Aussage zuzuschreiben. Die Blauen hatten bei den Wahlen 2004 einen Tiefpunkt erreicht und zu einem gewissen Teil einfach nur ihre alte Stärke wiedererlangt.“ Eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte sei nach wie vor überfällig, so Gärtner. Hanno Loewy, seit gut fünf Jahren Hohenems‘ einziger jüdischer Bürger, rauft sich schon beim Gedanken an einen möglichen Bürgermeister Dieter Egger die wuschelige Mähne: „Was für ein Horrorszenario …“ Denn mit der Tirade des FP-Chefs gegen seine Person und dessen sturen Beharren auf derselben wurde Antisemitismus in Vorarlberg wieder ein Stück weit gesellschaftsfähig. Und das ausgerechnet in Hohenems, dessen einst 600 Mitglieder umfassende jüdische Gemeinde zwischen 1617 und 1938 eine der bedeutendsten im süddeutschen Sprachraum war. Für den Leiter des Jüdischen Museums steht fest: „Es wäre besser gewesen, Egger hätte das nie gesagt.“
In der bürgerlichen Gesellschaft gebiete die Höflichkeit, sich nicht immer zu sagen, was man von einander hält: „Mir ist ein Antisemit, der die Klappe hält, immer noch lieber als einer, der sie aufreißt.“ Er wolle gar nicht wissen, was all die Leute wirklich denken. Mit seiner verbalen Grenzüberschreitung habe Egger der politischen Kultur im Land großen Schaden zugefügt. „Er hat unter seinen Anhängern die Hemmschwelle, was man öffentlich sagen kann, ohne sich zum völligen Idioten zu machen, deutlich erhöht.“ Loewy hätte sich von Egger eine Entschuldigung erwartet. Dafür sei es zwar schon zu spät, aber dennoch: „Er könnte sich wenigstens hinstellen und sagen: ‚Scheiße, so etwas hätte ich nicht sagen dürfen.‘“
Doch Dieter Egger denkt nicht im Traum daran, sich zu entschuldigen. „Ich war und bin immer der Paradeliberale der Vorarlberger Freiheitlichen gewesen. Wer mich kennt, weiß, dass ich mit Antisemitismus nichts am Hut habe.“
Warum er Hanno Loewy dann aufgrund dessen Religionsbekenntnisses angegriffen habe? „Loewy hat mich und meine Partei zuerst angegriffen, und zwar in seiner Funktion als Direktor des Jüdischen Museums. Diesen offenen Brief hat er auf dem Papier des Jüdischen Museums geschrieben und er hat damit seine jüdische Herkunft als Verstärkung seiner Argumente eingesetzt. Ich habe mich nur verteidigt.“ Er, Egger, erwarte sich daher eine Entschuldigung von Hanno Loewy.
Antisemitismus wurde in Österreich nie mittels Vernunft besiegt. Im Gegenteil, die über Jahrhunderte tradierten Vorurteile gegen Juden sind noch immer Teil der österreichischen Seele. Wie Egger eindrucksvoll bewiesen hat, lässt sich mit einer Portion Judenhass sogar gewinnbringend Politik machen. In Hohenems, wo Egger bald Bürgermeister werden könnte, stößt sich kaum jemand daran. Hinter vorgehaltener Hand pflichten ihm die meisten sogar bei. Nur eine Ladenbesitzerin unweit des Jüdischen Museums gerät ob der Sympathien ihrer Mitbürger für Dieter Egger in Rage. „Ja spinnen die denn?! Es ist zum Schämen!“, echauffiert sich die blonde Dame wild gestikulierend. Es sei der pure Neid, schimpft sie, der die Emser auf Eggers Seite gebracht habe: „Weil der Hanno halt geschickt ist im Geld lukrieren und das Museum gut läuft.“ Ob Egger Chancen auf den Bürgermeistersessel habe? „Ja, ich befürchte schon“, sagt die Mittvierzigerin und seufzt dabei. Am Ende des Gespräches, nachdem der Ärger der resoluten Dame wieder abgeflaut ist, senkt sie den Kopf und blickt etwas verlegen über ihre Brille hinweg. „Nur eine Bitte hätte ich. Erwähnen Sie meinen Namen nicht, wenn Sie darüber schreiben. Ich habe ein Geschäft hier und bin auf die Kundschaft angewiesen.“