Die „Identitäre Bewegung Österreich“ (IBÖ) steht vor ihrem formalen Ende – ihre Ideologie jedoch nicht, wie sich anhand der Terroranschläge von Christchurch und Hanau gezeigt hat. Über Anfang und Ende einer neofaschistischen Jugendorganisation.
Seit dem öffentlich gewordenen Skandal um die Spendenzahlung des Christchurch-Attentäters an den österreichischen Identitären-Chef Martin Sellner erlebt die neofaschistische Social-Media-Truppe eine massive Rezession: Der rechtsextreme Terrorist, der am 15. März 2019 in zwei australischen Moscheen 51 Menschen erschoss, hatte Sellner nämlich zuvor 1500 Euro gespendet.
Auf eine Hausdurchsuchung beim IBÖ-Chef, der mit 124.000 Abonnenten als rechtsextremer YouTube-Star bezeichnet werden kann, folgte eine wochenlange mediale Skandalisierung in den österreichischen Medien und schließlich eine Distanzierung der wichtigsten Geld- und Strukturgeber der jungen Neofaschisten – der FPÖ. Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass nach einer ganzen Reihe an Misserfolgen und Skandalen eine Neugründung unter dem Namen „Die Österreicher“ geplant sei. Doch woher kam die kurzlebige Bewegung und was meint „identitär“?
Internationale Nationalisten
Ungewöhnlich an den Identitären war von Beginn an ihre gesamteuropäische Ausrichtung: 2003 offiziell als „Bloc identitaire“ in Frankreich gegründet, breitete sich die Bewegung über die Jahre in zahlreichen europäischen Ländern aus. Auch die ursprünglichen Identitären in Frankreich hatten eine Neugründung hinter sich, da die Vorgängerorganisation „Unité Radicale“ aufgrund eines versuchten Mordanschlages auf den französischen Präsidenten Jacques Chirac verboten worden war.
Größere Bekanntheit in Teilen der europäischen neuen Rechten erreichten sie unter dem Namen „Génération Identitaire“ erst 2012 mit ihrer „Déclaration de guerre“, einer Kriegserklärung an die angeblich multikulturelle Gesellschaft in Form eines Videos von bemerkenswerter propagandistischer Qualität. Ebenso erreichten sie mit „aktionistischen“ Störaktionen eine nennenswerte Rezeption durch die europäische Öffentlichkeit, etwa mit der sechsstündigen Besetzung eines Moscheedaches in Poitiers.
Im selben Jahr gründete sich der von Sellner geführte Ableger in Österreich, zwei Jahre vor der „Identitären Bewegung Deutschland“. Rekrutiert wurde vor allem im rechtsextremen bis neonazistischen Milieu, dem auch Sellner selbst entsprang: 2006 hatte er in seiner Heimatstadt Baden Hakenkreuz-Aufkleber an einer Synagoge angebracht, konnte sich infolge dessen als Schützling Gottfried Küssels in der Neonaziszene etablieren, wurde Mitglied in Norbert Burgers und Martin Grafs rechtsextremer Burschenschaft „Olympia“ und versuchte schließlich mit den „Ewiggestrigen“ zu brechen, um im politischen Mainstream mitzumischen.
Ethnopluralismus?
Bemerkenswert war dabei eine ideologische Neuausrichtung innerhalb des Rechtsextremismus, der dafür den Begriff „Ethnopluralismus“ verwendet. Dieses Ideologem verwirft – vordergründig – das biologistische Konzept „Rasse“ und ersetzt es mit Begriffen wie „Kultur“, „Identität“ oder eben „Ethnie“, die dann aber wiederum innerhalb der jeweiligen Nation „reingehalten“ werden müssen und die es zugunsten der „identitären“ Gemeinschaft gegen den Verrat von innen und die Bedrohung von außen zu verteidigen gilt.
Das besagte Konzept bemüht sich dabei um eine Abgrenzung zu antisemitischen und (neo-)nazistischen Theoremen und konzentriert sich vorwiegend auf die angebliche „Islamisierung des Abendlandes“, gegen die es eine „Festung Europa“ zu verteidigen gelte. Diese Abgrenzung funktioniert in etwa so gut wie jene der FPÖ, wie sich durch Videos aus dem Undercover-Journalismus belegen lässt, auf welchen die angeblich Geläuterten beim Hitlergruß zu sehen sind. Auch die „Ordner“ auf identitären Aufmärschen sind großteils Personen aus der Neonazi-Szene.
Anders als ihre geistigen Vorläufer propagieren sie also gewissermaßen eine gesamteuropäische Identität, innerhalb derer die Teil-Identitäten sich miteinander verstehen und sich gemeinschaftlich gegen eine „muslimische Invasion“ wehren müssen. Zur historischen Identifikation halten dabei wahlweise die Spartaner oder Prinz Eugen her, nach deren Vorbild sich die YouTube-Kämpfer der Invasion aus dem Nahen Osten entgegenstellen.
Faschistische Ästhetik
Das Internet im Allgemeinen und YouTube im Besonderen sind dabei die zentralen Orte identitärer Agitation. Die Aktionen und Demonstrationen sind ob der wenigen Tausend Mitglieder in ganz Europa spärlich besucht, für die Online-Videos wird jedoch mit Flaggenmeeren und entsprechenden Kameraeinstellungen gekonnt ein Bild von massenhaftem Protest hergestellt. Faschistische Ästhetik, martialische Parolen und archaische Musik, aber mit moderner Kleidung und im Hochformat für Instagram arrangiert, mit allen chromatischen und sprachlichen Filtern einer Generation, die im Internet aufgewachsen ist.
Neben der virtuellen Verbreitung von hip inszeniertem rechtsextremem „Content“ wird vollkommen schamlos versucht, mit „Aktionismus“ mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen, wo der Proportionalität nach eigentlich keine sein sollte; etwa, als Identitäre in IS-Kämpfer-Verkleidung Enthauptungen am Stephansplatz nachstellten, als sie die Theateraufführung von Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen in der Universität Wien stürmten und die Darsteller – unter ihnen selbst Schutzbefohlene – mit Kunstblut bespritzten; oder als sie am Höhepunkt des Flüchtlingssterbens im Mittelmeer ein Boot mieteten, um die Seegrenzen zu blockieren. Von diesen „Aktionen“ wurden dann wiederum Videos produziert und in den Weiten des Internets verbreitet.
Doch noch kein Ende
Dieser „friedliche Aktionismus“ erscheint im Vergleich zu jenem der Neonazis, die Flüchtlingsheime oder Synagogen in Brand stecken, zunächst gewaltlos, ist jedoch nicht weniger menschenfeindlich – und ob der vielen belegten Fälle von körperlicher Gewalt durch Mitglieder der Identitären wenig glaubhaft. Spätestens in der Betrachtung der ideologischen Folgen erweist sich der angebliche „Aktivismus“ als brandgefährlich, wie Christchurch oder Hanau gezeigt haben. Die Täter hatten sich zuvor im Internet radikalisiert, bei Identitären und ihresgleichen, und letztlich deren Schlachtrufen Folge geleistet.
So freudig sich die Überschriften über das prospektive Ende der Identitären lesen, so sehr sollte dieses mit Vorsicht betrachtet werden, denn das Austauschen von Namen und Personen bei rechtsextremen Zusammenschlüssen hat Tradition. Überdies darf nicht übersehen werden, dass die Identitären in Österreich bis zuletzt von der FPÖ getragen wurden. Deren Ideologe Andreas Mölzer hatte bereits 2009 an wegbereitenden Zusammenkünften der französischen Vorreiter teilgenommen. Und trotz der jüngsten formalen Distanzierungen der Freiheitlichen bestehen die Kontakte zwischen parlamentarischen und außerparlamentarischen Rechtsaußen-Gruppierungen weiterhin, wie sich an den identitären Gästen des Akademikerballs 2020 gezeigt hat.