„Ich rebelliere“

Marina Weisband – als Mädchen aus der Piratenpartei ist sie bekannt geworden, im Ukraine- Konflikt hat sie sich zu Wort gemeldet, alles, was mit Internet zu tun hat, ist ihr Metier. Und ihre Religion? Das ist Rebellion, sagt die in Kiew geborene Jüdin.
VON EVA KONZETT

NU: Menschen in der Öffentlichkeit werden oft zu einer Kategorie gemacht: Ursula von der Leyen ist die Mutter, Cem Özdemir das erfolgreiche Einwandererkind. In welche Schublade hat man Sie gesteckt?

Marina Weisband: Ich laufe bei der Bild-Zeitung unter „die schöne Piratin“. Und die Bild ist in Deutschland dafür zuständig, diese Labels zu verteilen.

Hätten Sie lieber ein anderes gehabt?

Wer kann nicht damit leben, schön genannt zu werden? Ich versuche die Öffentlichkeit aber nach Kräften zu verwirren, indem ich möglichst viele Labels habe.

Wenn man sich die deutsche Presse anschaut, kommt immer das Attribut „charismatisch“.

Es gibt schlimmere Sachen, die an einem kleben können, Scheiße zum Beispiel.

Marina Weisband sitzt gut gelaunt im Radiokulturhaus in Wien und nippt am Espresso. Eine zierliche Person mit hochgesteckten Haaren und selbstbewusstem Lächeln. Durchs Fenster drücken Sonnenstrahlen den Herbst herein. Gleich wird der deutsche „Spiegel“ anrufen. Interviews? Für Weisband längst Fingerübungen. „Fragen Sie nur, fragen Sie!“ Sie werde auf alles antworten, sagt sie und warnt grinsend: „Vielleicht sind dann aber auch dumme Antworten dabei!“

Sie sind sehr offen, wenn es um Ihren jüdischen Glauben geht. Fühlen Sie sich als das junge Gesicht des deutschen Judentums? Schreibt man Ihnen das auch zu?

Ich fürchte ja. Das ist keine Rolle, die ich gerne habe. Aber weil es in Deutschland einfach so wenige sichtbare Juden gibt, gerät man zwangsläufig in diese Rolle. Ich muss das nicht richtig finden, aber es wäre dumm, sich dagegen zu wehren. Ich kann immer nur betonen, dass ich nicht die Standardjüdin bin. Auch wenn jeder immer wissen will, welche Meinung ich, als Jüdin, zu Israel habe. Das ist meine Lieblingsfrage. Als würde sich jeder Christ eine Meinung zu Holland bilden! Ich möchte auch nicht immer für die israelische Politik geradestehen müssen.

Sie wohnen in Münster, in einer Stadt mit einer alteingesessenen jüdischen Gemeinde. Haben Sie sich deswegen für Münster entschieden?

Die Münsteraner Universität hat einen sehr guten Ruf für das Fach Psychologie. Deshalb bin ich dort hingezogen. Inzwischen wohne ich aus ganz anderen Gründen da. Wenn Sie mich zur jüdischen Gemeinde fragen: Die ist zwar auf dem Papier alteingesessen, de facto machen heute aber zu 90 Prozent russischsprachige Einwanderer aus den 1990er Jahren die Gemeinde aus. Gerade erst werden wieder Strukturen aufgebaut, wie ein aktives Jugendleben beispielsweise. Vor ein paar Jahren habe ich versucht, einen Stammtisch für junge Leute zu machen. Der Erfolg war überschaubar. Heute gibt es das. Ich hoffe, dass es sich irgendwann zu einer Normalität verwächst, dass man jüdisch sein kann, ohne die ganze Zeit auf den Holocaust reduziert zu werden, was bei uns immer noch der Fall ist.

Das nervt?

Das nervt sehr, ja. Ich möchte auch ein bisschen leben, nicht nur Nachfahre sein.

Die Wiener Gemeinde ist ebenfalls vor allem durch den Zuzug aus dem Osten in den vergangenen Jahren gewachsen. Auch Sie sind in der Ukraine geboren. Doch wer weggeht, lässt auch einen Platz zurück. Fehlen die Menschen jetzt dort?

Das kann ich so nicht einschätzen. Natürlich sind Juden massenweise aus Kiew weggegangen, was die Kiewer auch so verdient haben (lacht). Ich war in Kiew in einer progressiven Gemeinde, die auch zahlenmäßig gut aufgestellt war und gemeinsam auf den Maidan gegangen ist. Da hat man nicht das Gefühl, dass da etwas stirbt.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Ukraine?

Ich war auch vor dem Maidan regelmäßig in der Ukraine, das hat nur damals niemanden interessiert. Ich habe beispielsweise die Gründung der Piratenpartei in der Ukraine begleitet. In den alten Machtstrukturen war da politisch aber nicht viel zu machen. Der Maidan hat ein kurzes Fenster geöffnet, in dem ich sinnvoll aktiv sein konnte. Das ist inzwischen nicht mehr so. Ich bin aber froh, dass sich im Land etwas tut und dass ich etwas beitragen kann.

Etwa die ukrainischen Piraten?

Ja genau. Nur hat die Partei ihren Höhepunkt schon wieder hinter sich, glaube ich.

Wann waren Sie das letzte Mal in der Ukraine?

Im April.

Die Lage in der Ukraine hat sich verschlechtert, im Osten herrscht Krieg. Wann war für Sie im Rückblick der Moment, als die Hoffnung am größten war?

Im Februar 2014. Da wurde ich in die Ukraine eingeladen, um über das Konzept der „Politik ohne Politiker“ zu sprechen. Dort habe ich auch das Konzept der „Liquid Democracy“ vorgestellt. Wir hatten damals den Plan, Liquid Democracy auf dem Maidan einzuführen, um gemeinsam Forderungen stellen zu können und nicht so abhängig von Organisationen wie dem rechten Sektor zu sein. Alles war bereit: Wir hatten ein Konzept, ein Zelt, Computer, sogar eine Vorstellung, wie wir es ohne Computer machen könnten, und dann wurden wir gestürmt. Von den Janukowitsch- Leuten. Da ging es ums Überleben und nicht mehr um politische Konzepte. Es war dann ja auch die Sternstunde des rechten Sektors. Diese Tage haben gezeigt, dass Gewalt nicht förderlich für Demokratie, sondern nur für Radikalismus ist.

„Liquid Democracy“ ist ein zentrales Konzept der Piratenpartei. Es handelt sich dabei um eine Mischform aus indirekter und direkter Demokratie, die über virtuelle Kanäle ermöglicht wird. In der Virtualität findet ein ständiger öffentlicher Diskurs statt. Jeder kann jederzeit entscheiden, inwieweit er sich einbringen oder von Delegierten vertreten lassen will, bzw. welcher Partei er für bestimmte Themen (z. B. Schulpolitik) seine Stimme geben will. Die Wahlentscheidung passiert nicht immer nur am Ende eines Mandats, sondern ist im ständigen Fluss – also liquide.

Informationen können heute im Internet in Sekundenschnelle übertragen werden. Der physische Standort wird ins Unendliche erweitert. Wie umgehen mit diesem Internet, mit dieser Möglichkeit? Müssen wir unsere Kommunikation neu aufbauen? Überfordert es uns auch manchmal?

Ja, wir müssen die Kommunikation neu strukturieren. Wir begegnen uns im Internet oft sehr feindlich und verletzen einander. Das hängt stark damit zusammen, dass wir das Gesicht des Gegenübers nicht sehen und keine emotionale Reaktion empfangen. Wir haben keine Ursache-Effekt-Wirkung mehr und werden sehr ungezügelt in unserer Kommunikation. Ich denke, dass wir gerade in einer Zwischenphase stecken. Je mehr wir uns an das Internet gewöhnen, desto adäquater werden wir damit umgehen. Alte Menschen beispielsweise schreien ins Telefon, Junge tun das längst nicht mehr. Man lernt, mit einem Kommunikationsmittel umzugehen. Das Internet ist aber eine riesige historische Chance insofern, als es den Raum überwunden hat. Das wird unsere Kultur langfristig mehr bereichern, als es ihr schaden wird.

Verbale Gewalt im Netz hat Weisband selbst erlebt: 2012 berichtete sie von antisemitischen Hassmails, ihr Foto wurde auf rechtsextremen Seiten veröffentlicht. Sie legte kurze Zeit danach das Amt als politische Geschäftsführerin der Piraten nieder. Als Gründe nannte sie damals die eigene Gesundheit und ihre Diplomarbeit.

Wir müssen am Internet noch ein bisschen wachsen?

Ja, genauso wie wir an der globalisierten Welt wachsen müssen. Wir entwickeln uns technisch so schnell weiter, dass wir kaum hinterherkommen.

Sie haben mehr als 54.000 Follower auf Twitter, das schaffen in Österreich nicht viele. Sie wurden aber auch beschimpft und angefeindet. Wie geht man damit um?

Ich habe einen geheimen Twitter- Account, wo ich nur Schimpfworte poste. So reagiere ich mich ab. Für mich sind die Beleidigungen aber zu einem Hintergrundlärm geworden. Da rauscht irgendwas. Nicht mehr. Antisemitische Anfeindungen, wie kürzlich gegen meinen Mann, mache ich öffentlich, auch wenn ich damit die Leute mit Aufmerksamkeit belohne. Und das ist die Währung des Internets.

Sie stehen in der Öffentlichkeit als Gesicht für die progressiven Möglichkeiten des Internets. Auf der anderen Seite haben Sie geheiratet und bekennen sich offen zu Ihrer Religion, also eher zu traditionellen Werten …

Nein, das stimmt nicht. Ich rebelliere. Ich komme aus einer atheistischen Familie und bin überhaupt die erste, die in die Synagoge geht. Ich bin also ohne die religiöse Tradition aufgewachsen. Und außerdem vertrete ich die sehr radikale Meinung, dass man lieben kann, wen man will, und ich liebe zufällig meinen Mann. Und den liebe ich so radikal, dass ich mir gesagt habe, dass ich gar keine Lust mehr habe, in meinem Leben einen anderen zu lieben. Ich finde das schön.

Haben Sie in der Synagoge geheiratet?

Nein, aber der Rabbi war da.

Krieg und Frieden ist ihr Lieblingsbuch, Sie sagten einmal, dass Sie davon bis heute zehren. Haben Sie es auf Russisch oder auf Deutsch gelesen?

Beides.

Man sagt ja, dass der Ausländer, der Russland verstehen will, die russische Literatur lesen muss.

Ja. Das stimmt.

Gilt das umgekehrt auch für Deutschland? Und welchen Autor würden Sie dann empfehlen?

Wenn man die Deutschen verstehen will, muss man Bedienungsanleitungen lesen. Oder EU-Verordnungen.

 

Marina Weisband wurde 1987 in Kiew geboren und kam 1994 mit ihrer Familie nach Deutschland. Weisband engagierte sich ab 2009 in der Piratenpartei und wurde schnell deren Aushängeschild. Sie „stand durchaus selbst für die Nerdkultur, sah aber nicht so aus“, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Will heißen: Die junge schlagfertige Frau konterkarierte das Bild des pickeligen, sozial zurückgezogen lebenden Computerspielers. Das politische Engagement hat die studierte Psychologin mittlerweile zurückgeschraubt. Marina Weisband war auf Einladung der Denkwerkstatt GLOBART in Wien.

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