Von Erwin Javor
Immer, wenn das neue NU gerade erschienen ist, läutet mein Telefon Sturm, meine Mailbox bricht unter der Last zusammen und Freunde, Bekannte und Leser schicken mir SMS, um mir mitzuteilen, dass ihre Mails mit der Fehlermeldung zurück kommen, dass meine Mailbox über dem Speicherlimit sei. Inhaltlich betrachtet fallen diese intensiven Mitteilungsbedürfnisse meist in zwei Basis-Kategorien, vor allem für diese Kolumne. Entweder werde ich über den grünen Klee gelobt – für meine Weisheit, mein Wissen, meinen Humor und den unerschöpflichen Vorrat an Geschichten, die ich zum Besten gebe. Diese Leser haben natürlich recht, aber ich bin ja bescheiden und erwähne das nicht weiter. Oder es kommen Reaktionen von bösartigen Ahnungslosen, denen zufolge ich nur Geschichten über Jiddischkeit zu erzählen wüsste, die, vorsichtig ausgedrückt, uralt und selbstverständlich falsch erzählt wären. Darauf folgt meistens die unvermeidliche Ezzes: „Jetzt erzähle ICH Ihnen einmal eine Masse (Geschichten). Die sollten sie schreiben!“ Dann erzählt man mir eine, die meist verdächtig nach einer klingt, die ich vor zwei bis drei NU-Nummern in genau dieser angeblich so lausigen Kolumne geschrieben habe. In aller Bescheidenheit: natürlich viel besser. Aber Sie kennen mich ja: Ich hob nischt kejn Tanes – also ich beschwer mich ja nicht. Das haben Sie doch verstanden, oder? Nein? Oj! Also ich erklär’s Ihnen an einem Beispiel:
Kommt einer zum Friseur und sagt: „Bitte, werter Figaro, schneiden Sie mir die Haare. Auf der rechten Seite ganz kurz. Dafür legen Sie einen leichten Schwungschnitt ein, wenn Sie meine Koteletten filetieren, damit sie schmal wie ein Strich und noch länger aussehen. Aber halt! Bitte nur auf der rechten Seite! Auf der linken Seite rasieren Sie mir die Kotelette ganz ab und lassen mir Haare wie sie sind, also beinahe schulterlang. Am Hinterkopf rasieren Sie mir so ein kleines Loch wie es die Gallochim (katholische Priester) haben. Weiter vorn schneiden Sie mir bitte einen fünf Zentimeter breiten Mittelscheitel, aber nicht genau in der Mitte, also auf keinen Fall gerade, mehr asymmetrisch, irgendwie quer. Gut?“ Der Friseur erstarrt und zischt zwischen zusammengepressten Lippen hervor: „Tut mir leid, aber das kann ich nicht.“ Sagt der Kunde erstaunt: „Wieso? Vor drei Wochen haben Sie mir die Haare genauso geschnitten. Aber ich hob nischt kejn Tanes!“
Mit anderen Worten, wir Juden sind Kummer gewohnt, also beschweren wir uns schon gar nicht mehr, weil die Erwartungshaltung genauso bescheiden ist, wie Sie mich kennen. Wir sagen höchstens leise kurz vorm Magengeschwür: „Ich hob nischt kejn Tanes.“ Das hab ich übrigens letzte Woche auch schon gesagt, habe ich Ihnen das erzählt?
Eigentlich hätte diese Kolumne ja diesmal nicht erscheinen sollen, weil ich war im Spital und hätte operiert werden sollen. Ich war schon im OP, wie immer ohne mich zu beklagen. Als ich kurz vor der Operation schon vom OP-Tisch aufgesprungen war und losgerannt bin, hat mich der Primar dann tatsächlich noch am Ärmel gepackt und gefragt: „Aber Herr Javor, was ist denn los mit Ihnen? Haben wir Sie nicht auf Händen getragen? Ihnen 12 Anästhesisten, 27 OP-Schwestern und 43 Operateure zur Auswahl vorgelegt, Ihnen von jedem einzelnen die genauen Qualifikationen berichtet und belegt, Sie bis jetzt gerade, kurz bevor wir Ihnen die Narkosemaske aufsetzen wollten, regelrecht gestreichelt wie ein krankes Pferd? Was ist?“ – Na dann hab ich es ihm halt erklären müssen, dem Primar: „Schauen Sie, Herr Professor. Ich hob nischt kejn Tanes. Aber gerade noch hat diese nette OP-Schwester gesagt: ‚Machen Sie sich keine Sorgen, ich hab’ das schon hundert Mal gemacht, bei so einer kleinen Operation ist Risiko ja praktisch auszuschließen. In ein paar Minuten ist die Sache erledigt und Sie können wieder gemütlich nach Hause gehen.‘“ Er hat mich natürlich nicht ausreden lassen, der Chefarzt. „Wieso sind Sie dann davon gelaufen?“ fragt er mich, also hab ich’s ihm halt erklären müssen: „Weil sie hat das ja nicht zu mir gesagt, sondern zum Chirurgen!“
Also! So war das. Aber ich hob nischt kejn Tanes…
Mammeloschn (Jiddisch): Mutterwitz; Muttersprache. Aus dem Hebräischen Loschn: Zunge, Sprache.