Da steht sie mitten im Wurstelprater, ein kalter Märzwind bläst und interviewt einen alten, zahnlosen Sandler, der gegen ein, zwei Viertel Rot die Hunde der Budenbesitzer Gassi führt. Wird rehen eine Alltagsgeschichte, „Denn Hundeherzen schlagen treu“ wird sie heissen. Die Herrln und Frauerln und ihre Hunderln: ein herrliches Thema für die Toni, denn wann schon öffnet der Österreicher seine Mördergrube so bereitwillig, als wenn es um seine Viecher geht. Der Sandler gibt träge Antworten, was hat er vom Leben noch zu erwarten? Die Hunderln, najoo, die helfen ihm beim Spiegeltrinken. Da fragt die Toni: „Was ist Ihr Traum vom Paradies?“ Er kriegt glänzende Augen und antwortet wie aus der Pistole geschossen: „A Reise nach Acapulco und a reiche Frau.“
von Helene Maimann
Das war vor fast zwölf Jahren, ich war auf dem Weg ins Fernsehen und ich bin damals fast umgefallen über die Frage und die Antwort. Unvergesslich. Die Toni war nicht gerade mütterlich, hat mir kaum etwas erklärt, hat mich einfach mitmachen und zuschauen lassen bei ihrer Arbeit. Damals hab ich gelernt, worauf es beim Dokumentarfilm wirklich ankommt: Abwarten, die richtigen Fragen stellen, zuhören, filmen. Nichts kommentieren, möglichst wenig inszenieren, den Geschehnissen ihren Lauf lassen. Und dann im Schneideraum mutig und konsequent die Schere schwingen, alles Schnörkelhafte und Überflüssige – weg damit!
„Ich habe keine Ahnung, warum mir die Leut alles erzählen. Aber natürlich gibt es die Magie der richtigen Frage. Einfach soll sie sein und in den Gegensatz gefragt werden. Wenn der alte Sandler auf die Frage nach seinem Traum vom Paradies so eine spontane Antwort parat hat, dann finde ich das schön, fast poetisch, denn das heißt, dass da noch was sehr Lebendiges in ihm ist. Die Hälfte der Leute sagt, sie träume nichts, was ich traurig finde. Ich bin geil auf Geschichten und die Leute spüren das und e rzählen gerne, denn endlich ist da jemand, der ihnen zuhört. Gleichzeitig bestehe ich auf Distanz: Ich mag keine Nähe, ich bin keine von ihnen und mach ihnen das auch nicht vor. Ich bin die Frau Doktor vom Fernsehen, und das schätzen sie, weil ich höflich und neugierig bin und weil ich ihnen endlich die Gelegenheit gebe, ihre Meinung in die Kamera zu sagen. Und dann das auch so auf Sendung bringe.
Das regt natürlich auf. Und ich kriege heftige Vorwürfe, dass ich die Österreicher dauernd als Nazis und Ausländerfeinde denunziere.
Einmal, bei den Dreharbeiten zum Mallorca-Film, habe ich einen urlaubenden Österreicher, einen pensionierten Polizisten, der mich beschimpft hat, gesagt: Also bitte, die Kamera läuft und Sie haben jetzt die Möglichkeit, das Bild der Österreicher zurecht zurücken. Wie gefällt Ihnen Mallorca? Sagt er: Viel zuviele Ausländer.“
Im Schrebergarten
Sie haben ja schon viele Regime erlebt, sagt die Toni. Na sowieso, sagt Herr Alois. Wie waren Sie denn politisch? Herr Alois: Politisch – eben. I bin immer, wia ma sogt, obn gschwumma, i bin net rot gwesn, net schwoaz, net blau gwesn. I bin scho, wia ma sogt, mit’n Haufn mitgrennt, net. Darauf die Toni: Waren ie Mitglied einer Partei? Herr Alois: Na eigentlich jo, woar i schon, oba nur papiermäßig. Bei welcher waren Sie denn? fragt sie. Sagt er: I hob schwoaz und rot ghobt, ha, ha, ha, ha … Und die Nazis? Jo, die … sagt er. Do woa i a dabei. Darauf die Toni: Hat es sich wenigstens ausgezahlt?
„Ich bin im Prinzip ein höchst unanständiger Mensch, nihilistisch, und ganz tief im Herzen hab ich immer geahnt, dass nichts veränderbar ist. Eigentlich mag ich dieses Land überhaupt nicht und die Leut auch nicht, die meisten zumindest. Aber ich muß mich mit ihnen auseinandersetzen. Ich möchte wissen, was geht in diesen Köpfen vor? Und es gehört keinesfalls zu meinen Aufgaben, die Leute zu verändern. Ich zeige dieses Land und seine Menschen so her, wie ich es auffinde. Oder, wenn man will: aufspüre. Rieche ich ‘was Angebräuntes, kriege ich richtiges Jagdfieber, wie ein Hund schnüffel ich die Spur und belle dann wadlbeißend. Dabei habe ich auch Angst.
Einen g roßen Nazibären im dunklen Wald zu jagen und den dann zur Strecke, das heißt: zum Reden zu bringen, das ist ein richtiges Match. Wobei ich ja nicht auf Bekenntnisse aus bin, aber durchaus auf verräterische Sätze stehe. Dabei habe ich meine eigene Technik entwickelt: Ich stelle mich blöd, denn einer Frau traut man sowieso keinen Grips zu, bin sehr freundlich, weiß zwar alles, zeige aber nichts davon her, und stelle mit naivem Augenaufschlag ziemlich hinterfotzige Fragen. Das Komische ist, dass ich damit Erfolg habe – je mehr man die Österreicher in natura herzeigt, umso mehr lieben sie dich, sie haben ja einen Hang zum Masochismus. Die Nazis sind sowieso seit langem mein Stammpublikum. Von keinem krieg ich solche Lobeshymnen wie von ihnen, weil sie sich freuen, dass endlich jemand so mutig ist, sie auftreten und sprechen zulassen. Die Nazis haben mich immer interessiert, alle – die alten und die jungen.“
Elizabeth T. Spira und die Österreicher – das ist ein Thema, über das sich der Boulevard, vor allem der kleinformatige, gerne aufregt, besonders seitdem sie damit ein großer Star mit Millionenpublikum geworden ist. Den scharfen Blick, mit dem sie dem Volk aufs Maul und ins Herz schaut, hat sie sich in einer Familie erworben, die vor dem NS-Regime nach England geflüchtet war und in der die Politik zum täglichen Brot gehörte. Und in der über die ganze Welt – die ganze und nicht nur die kleine österreichische, in die die Spiras 1946 zurückkehrten – geredet wurde.
„Ich bin ein Geburtslinke und unter lauter Weltveränderern aufgewachsen, die fast alle Juden waren. Die meisten hatten die Nazizeit i rgendwie widerständig und kämpferisch überlebt. Es war eine tolle und sehr seltsame Welt, in die ich hineingeboren bin, eine totale Gegenwelt zu jenem Österreich der vierziger und fünfziger Jahre. Mit gescheiten Männern und witzigen Menschen und mitten drin meine sehr kluge, sehr ironische Mutter, die mir Bosheit beigebracht hat. Diese Welt hat mich geprägt, aber es war dann auch notwendig, zu ihr auf Distanz zu gehen. Ich hab einen Blick gekriegt für die Ungerechtigkeit und auch einen Respekt vor den so genannten kleinen Leuten, denn mit denen wollte man ja die Weltverändern. Das war das ständige Thema: Wohin geht diese Welt und wie kommen wir zum Sozialismus? Mir ist das mit der Zeit ziemlich langweilig geworden. Und mir ist das Obergescheite auf die Nerven gegangen, das Messianische, das Besserwisserische. Alle haben mich ständig belehrt und alle wußten, wo es lang geht. Meine Großmutter, eine knochenharte, magersüchtige Kommunistin, hat einmal gesagt: Die Toni ist nicht aus dem richtigen Holz geschnitzt, aus der wird nie eine Kommunistin. Darauf sag ich: Weißt was, ich pfeif dir auf die Kommunisten. Damit war das Thema erledigt. Mein Welt ist nicht Karl Marx, sondern Woody Allen und Joseph Roth. “
Der Vater, Leopold Spira, saß fast ein Jahr unter den Austrofaschisten im Gefängnis und hatte im Spanischen Bürgerkrieg bei den Internationalen Brigaden gekämpft, sein engster Freund, Franz Marek, schrieb an die Wand seiner Todeszelle im Pariser Gefängnis Fresnes be reits seine Abschiedszeilen, als der Abzug der Deutschen die bereits festgesetzte Hinrichtung kassierte. Beide Männer bestimmten das intellektuelle Klima der Spiras, aber auch die We h rh a f t i g k e i t kam nicht zu kurz: „Eines hat man uns nachhaltig beigebracht: Lass dir nix gefallen! Wehr dich! Man lässt sich nicht zum Opfer machen! Mich wird niemand weinen sehen! Und wenn nötig, schlag zurück! Ich bin ja feig und hab Angst vor tätlichen Auseinandersetzungen.
Aber einmal, ein einziges Mal hab auch ich zugeschlagen, mit 16. Ich war mit Freunden auf einer Berghütte und wie das damals halt üblich war, saßen da die strammen Jungs vom Alpenverein herum. Die haben rasch spitzgekriegt, dass wir erstens aus der Stadt und zweitens nicht arisch waren. Lauter schwarzhaarige Exoten. Und schon haben sie zu stänkern angefangen und unsere Burschen provoziert und dann ist eben gerauft worden. Ein blonder Hüne hat irgendeine Sauerei über Juden gebrüllt und da hab ich einen Sessel genommen und ihm den ins Gesicht geschmissen. Er hat geblutet wie ein Schwein, denn ich hab ihm die Nase gebrochen. Diese gebrochene Nase ist bis heute mein größter Stolz, die kommt noch vor allen Preisen und Auszeichnungen. Der Typ mußte runter ins Tal und dann war Ruhe auf der Hütte. Und ich mußte mir nie mehr ‘was beweisen, denn ich wußte: We n n ’s darauf ankommt, kannst du dich wehren.“
Wir sitzen in ihrem Esszimmer, trinken Tee, essen englische Kekse, rauchen und reden über Männer. Sie hat, wie über alles, feste Meinungen auch über die amourösen Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden.
„ Toni, dein Mann ist kein Jude und auch sonst kann ich mich nicht erinnern, dass du je mit jüdischen Männern zusammen warst …“
„Das ist kein Zufall. Ich habe mich schon lange vor meiner Ehe für nichtjüdische Männer interessiert und für die, die mit Politik nichts am Hut hatten. Endlich keine Kommunisten! Die waren mir schon schrecklich fad. Ich wollte Kaffeehaus, Kunst, Theater, Film, Jazz. Und endlich keine Welterklärungen, sondern spannende neue Geschichten aus einer Welt, die ich nicht kannte.“
„Mit den jüdischen Männern kocht man ja lebenslang in einem Topf …“
„Ja, und deren Geschichten kenn ich auswendig. Der Holocaust ist familienimmanent und wer will ununterbrochen an Mord und Totschlag erinnert werden? Außerdem bin ich süchtig nach Bewunderung, und die habe ich nie von den Juden bekommen, weil die selbst bewundert werden wollen.“
„Aber die großen Blonden …“
„Die haben mich verehrt. Die sahen in mir die Exotin, die Andere, die Frau mit den herumirrenden und herumeilenden Gedanken, mit der man nächtelang im Kaffeehaus reden, klären, diskutieren kann. Außerdem hab ich keinen Kochlöffel angerührt, und das fanden die toll.“ Als schicksalstüchtiger Mensch mag die Toni natürlich die Leute, die ihr die besten Geschichten erzählen – und das sind die, die am Rand stehen: Strizzis, alte Pro s t i t u i e rt e , Untüchtige, fast Gescheiterte, die sich gerade noch über Wasser halten. „Die sind oft viel lebensklüger und phantasievoller als Durc hschnittstypen oder gar Bürgerliche. Und ich bin sprachsüchtig. Ich mag die Vo r s t a d t s p r ache, ich bin ja eine eingefleischte Wienerin, die sich über Wien ärgert und sich woanders nicht zu Hause fühlt. Heimat ist kein warmer Mutterkuchen, man muss nicht glücklich sein dort, wo man herkommt. Glück und Geborgenheit ist nicht mein Lebensprogramm. Ich stehe mit der Heimat, und das ist Wien, in einem Lebenskonflikt, in einem Dauerstreit – das treibt mich an. Ich muss keine teuren Reisen nach Afrika machen, mir reichen schon Meidling oder Favoriten, um in mir exotische Gefühle zu wecken. Klar, ich bin relativ erbarm u n g s l o s , wenn es um bestimmte Inhalte geht. Wenn die Leute über Ausländer oder Zigeuner oder Juden zu schimpfen anfangen, da zeig ich her, was für erbärmliche Figuren sie sind.“
Eine weitere unvergessliche Szene: Der Nackttänzer aus dem Film „Im Waschsalon“, der seine Reizwäsche mit dem kleinen braunen Strich hinten an der Hose aus dem Wäschesackerl holt, sie anzieht und der Toni, dem Kamerateam und den alten Frauen, die grad da sind, einen Schönheitstanz am helllichten Tag vorführt: Den sucht man nicht, den findet man, der wird ihr einfach vor die Füße geweht. „Ich forcier gar nix, aber ich erlebe solche Dinge viel eher als andere Reporter. Vielleicht, weil ich durch meine Herkunft selbst ein Loch in der Seele habe, finde ich das Seelenloch bei anderen Menschen ziemlich rasch. Man muss gelebt und erlebt haben, um etwas aufspüren zu können.“
Zwar könnte sich die Toni irgendwie vorstellen, als Psychoanalytikerin in New York zu leben, aber zu mehr als einer flüchtigen Phantasie reicht es nicht. „Ich hab wirklich Glück mit diesem Land, denn die Nazis sterben nicht aus. Zu meinem großen Ärger und zu meinem Glück kann ich nicht woanders leben. Ich brauche meine Wut und meine Angst ebenso wie meine Neugier oder meine Bosheit. Ich frag mich, was den Menschen geschehen ist, wo ihre Brüche sind, wenn sie aus Nazifamilien kommen und manchmal auch Opfer sind, nicht nur Täter. Deswegen habe ich aber noch lange kein Erbarmen mit ihnen, denn dass es einem nicht gut geht, ist noch lange keine Ausrede dafür, dass man sich wie ein Schwein aufführt und am liebsten auf anderen herumtrampeln möchte.“
In Deutschland, sagt sie, wäre ihre Arbeit viel schwieriger. Die Deutschen sind ja zumeist Protestanten und damit sachlich, analytisch, anständig, aufrichtig und grüblerisch – aber sie haben keinen Sinn für Neben- und Untertöne, keinen Schmäh. „Und sie haben eine Bekennerwut, die mir auf die Nerven geht. Wenn mir einer sagt: Mein Vater war ein Schwein, weil er ein Nazi gewesen ist, dann krieg ich schon das Speiben.“
Ihre Besessenheit, sich mit Nazis und anderen problematischen Zeitgenossen auseinanderzusetzen, hat eng mit ihrer Jüdischkeit zu tun, auch wenn ihr die Religion nicht interessant ist. Die Shoah ist immer präsent, ebenso wie die geistige Tradition, das Hinterfragen. Sie ist sehr skeptisch, was die Normalität von Juden in dieser Welt anlangt, weil wir sie immer daran erinnern, was man uns angetan hat. Aber sie ist sich über den Sonderstatus der Ecke, aus der sie kommt, vollkommen im Klaren. Die jüdische Nachkriegsgeneration, deren Eltern die Nazizeit nicht als Opfer, sondern als Widerständige durchgestanden hatten, hatte gegenüber den gleichaltrigen Nichtjuden eine ebenso seltsames wie unausgesprochenes Privileg, weil sie zu den Siegern gehörte und ihre Väter kein Blut an den Händen hatten. „Darum spielen auch viele Nichtjuden so gerne Juden, hängen sich einen Davidstern um den Hals, nennen ihre Kinder Sarah und Daniel, schreiben Bücher über Juden, schlüpfen in ihre Identität, weil sie eben auch gerne zu den Siegern gehören und zu den Opfern zählen wollen. Und sich dabei nicht mit den eigenen Nazivätern auseinandersetzen müssen. Und sie haben große Flausen im Kopf, wenn sie von Juden sprechen. Dass man ausgerechnet von den Juden erwartet, dass sie edle Menschen sind, hat mich immer schon aufgeregt, und ich w ü rde wahnsinnig gerne einmal einen Film über gar nicht nette Juden machen – aber ich fürchte, das wird nicht zugelassen werden.“
Am 24. Dezember – ausgerechnet! – hat die Toni Geburtstag. Sechzig wird sie heuer, man möchte es nicht glauben. Sie ist noch lange nicht fertig mit ihren Geschichten und plant, einen großen Heimatfilm zu drehen, am liebsten eine Trilogie. Darauf freuen wir uns heute schon.
Mazeltov, Toni, alles Gute, bis hundertundzwanzig!
Wer mehr über Elizabeth T. Spira und ihre Familie erfahren möchte, sei auf zwei Bücher verwiesen: Alltagsgeschichten. Hrsg. von Elisabeth T. Spira und Peter Kasperak. Verlag Christian Brandstätter, Wien 1996.
Leopold Spira: Das Jahrhundert der Widersprüche. Eine Wiener-jüdische Familienchronik. Mit einem Nachwort von Elizabeth T. Spira. Böhlau-Verlag, Wien-Köln-Weimar 1996.