Der EU-Abgeordnete Peter Sichrovsky über das Wegbrechen des „liberalen Flügels“ der FPÖ, die „dramatische Veränderung“ Jörg Haiders und das Fehlen von Juden in der österreichischen Politik.
Von Peter Menasse und Petra Stuiber
NU: Herr Sichrovsky, Sie haben Ihre Part e ifunktionen nach dem Rücktritt Riess-Passers zurückgelegt – was war der Grund?
Sichrovsky: Ich habe in dieser Partei aus enger Verbundenheit mit der Person Riess-Passers gearbeitet. Sie war die treibende Kraft, ein liberales Segment in Österreich für die FPÖ zu gewinnen. Das Ziel war die Beendigung der sozialdemokratischen Kanzlerschaft mit Hilfe des liberalen Lagers in und außerhalb der Partei. Damals wurden auch andere Persönlichkeiten angesprochen: Professor Hager vom OGH, der ORF-Journalist Kro n b e rg e r, der Sportlehrer Franz Linser. Zu unser aller Erstaunen hat damals der Rest – die Basis der Partei – diese Erweiterung zur Mitte hin akzeptiert.
NU: Nach außen hat Ihr Engagement anders gewirkt – als sei es Jörg Haider gewesen, der Sie umworben hat. Er hat Sie ja als Erster in der FPÖ auch anerkennend als „kritischen Zeitgeist“ bezeichnet, mit dem er seit vielen J a h ren in freundschaftlichem Kontakt gestanden sei…
Sichrovsky: Über die Sache mit der angeblichen Freundschaft habe ich mich immer – auch in Interviews – lustig gemacht. We n n mich Leute fragten, ob ich mit Haider befre u ndet sei, sagte ich: „Bergsteigen geht er mit jemand anderem.“ Begonnen hat alles 89/90, als ich einen Brief an Jörg Haider schrieb. Darin meinte ich, es sei tragisch, dass die politische Situation in Österreich nur durch eine neue, dritte Partei verändert werden könnte, die FPÖ aber leider für liberale Leute wie mich nicht wählbar sei, wegen ihrer rechtsextremen Ausritte. Wir trafen uns dann und er sagte mir, sein Ziel sei es, die Partei aus diesem Eck heraus zu holen. Wir haben uns danach re g e lmäßig einmal im Jahr getro ffen – da war immer schon Riess-Passer dabei. Ich nehme an, es ging vor allem von ihr aus, den Kontakt zu mir aufrecht zu halten. Ich glaube heute, dass die Idee von ihr kam und Haider seine Zustimmung gab.
NU: Und jetzt, da Riess-Passer weg ist, hat sich auch Ihre Mitgliedschaft erübrigt?
Sichrovsky: Nein, man kann das nicht an einer Person festmachen, das ist ja kein Familienunternehmen. Man muss sich im Detail ansehen, wie sich die FPÖ Mitte der 90er- J a h re positiv entwickelt und nun, in den vergangenen eineinhalb Jahren, wieder zurück verändert hat. In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre gab es eine interessante Wandlung – auch bei Jörg Haider. Versuche von mir und anderen, ihm zu erklären, dass ein notwendiger Prozess in Richtung Regierungsfähigkeit darin liege, dass einerseits Leute aus der Partei entfernt werden müssten, die in den Rahmen der Demokratie nicht hineinpassten, und er andererseits selbst einen Schlussstrich unter seine politische Vergangenheit ziehen müsste, sind durchaus auf fruchtbaren Boden gefallen.
NU: Wie passen Auftritte wie in Krumpendorf vor SS-Veteranen in dieses Bild?
Sichrovsky: Erstens war das vor meinem Eintritt 1996, zweitens habe ich mir das genau angesehen. Haider hat eine Ansprache vor 200 Leuten gehalten, von denen einige einmal bei der SS – und als solche auch nicht erkennbar – w a ren. Zwar haben klare Wo rte gegenüber der Ve rgangenheit gefehlt. Aber er hat die Leute nicht persönlich als Ex-SS-Mitglieder anges p rochen und ihnen gesagt,: „Ihr könnt stolz auf Eure Vergangenheit sein“. Ich bin da sehr empfindlich, wenn es um die österreichische Nachkriegspolitik geht. Hier gibt es eine gemeinsame Verantwortung aller Parteien. Genau diese Angriffe gegen Haider ware n immer ein Befreiungsschlag für SPÖ und ÖVP. Keiner redet heute mehr über die Aussagen von Mock über die „Ostküste der USA“ oder über die Waldheim-Affäre – beides schwere Rückschläge in der Aufarbeitungsgeschichte. Keiner redet mehr über die Wiedergutmachungs-Verweigerung der Sozialdemokraten, keiner redet mehr über einen SPÖ-Altlandeshauptmann Leopold Wagner, der gesagt hat, dass er stolz war, dass er bei der HJ war. Das ist plötzlich alles verg e ssen, weil in dieser fatalen österreichischen Unschuldsperversion alle Anschuldigungen immer nur auf die FPÖ konzentriert wurden.
NU: In SPÖ und ÖVP gab es so etwas wie eine selbst auferlegte Hygiene, bestimmte Tabus nicht zu brechen. Haider hat die Tabus immer gebrochen.
Sichrovsky: Ja, da ist ein Unterschied, das stimmt. Aber dieser Unterschied ist nicht so g roß und mir auch nicht wichtig genug, um die einen von ihrer Schuld freizusprechen und den anderen zu verdammen. Denken Sie an Kreisky, den ich sehr verehrt habe: Er hat ein Kabinett mit lauter Ex-Nazis zusammengestellt, das ist nicht zu entschuldigen – ob er nun jüdisch war oder nicht. Seine Argumentation fand ich freilich immer interessant: dass nämlich die Integration dieser Leute mehr bringt als ihre Ausgrenzung. Das war Kreiskys Strategie.
NU: Wo liegt dann heute der Unterschied für Sie zwischen der FPÖ und den andere n Parteien?
Sichrovsky: Hauptsächlich in der Zuwanderungs-, Integrations- und Minderheitenpolitik. Da gibt es eine Radikalität, wie sie typisch ist für europäische Rechtsparteien. Seit neuestem allerdings auch in der Interpretation historischer Realitäten.
NU: Sie haben also den Schluss gezogen, Sie engagieren sich für die FPÖ, weil sie nicht anders sei in Sachen Vergangenheitsbewältigung als alle anderen Parteien auch. Sie hätten auch den Schluss ziehen können, sich ü b e rhaupt fernzuhalten von allem Politischen. Warum haben Sie das nicht getan?
Sichrovsky: Das ist eine völlig berechtigte Frage. Fern gehalten habe ich mich ja ohnehin die meiste Zeit meines Lebens. Ich war ja zumeist im Ausland. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich engagiere mich oder ich halte mich fern von der Politik, wie es die meisten Juden in Österreich tun – es gibt kaum Juden im österreichischen Parlament und sie hätten wohl auch politisch wenig Chancen. Da weiß ich heute, dass ich einen Fehler gemacht habe. Heute glaube ich wirklich, es ist besser für Juden in Österreich, sich zurück zu halten. Auch, weil die Entwicklung in Österreich off e nbar noch nicht so weit ist, dass wir anerkannte P a rtner mit einer anderen Religion sind. Die Juden bleiben hierzulande immer die Juden, egal, was sie tun. Entweder man nimmt uns in der Politik, weil wir Juden sind, oder man nimmt uns nicht, weil wir Juden sind. Man kommt aus diesem Eck nicht heraus. 1996 habe ich mir freilich gedacht, warum soll man es nicht einmal versuchen.
NU: Glauben Sie, dass Haider Sie in der FPÖ haben wollte, weil Sie Jude sind?
Sichrovsky: Das war mir eigentlich egal. Das war mir immer egal. Ich glaube, dass zwei Komponenten für ihn gleich wichtig waren: Das eine war mein Judentum, aber das andere war der gesamte kulturelle Bereich, wo die FPÖ ja ein Riesen-Defizit hatte. Meine Eigenständigkeit, meine totale Außenseiterrolle in der FPÖ war ja zum Teil durch mein künstlerisches Image begründet – aber gleichzeitig ü b e r l a g e rt durch den Juden, dem man ohnehin misstraute. Denn wie wir alle wissen, haben wir Juden ja sowieso immer ein Ve rr äter-Image.
NU: Viele Kommentatoren meinen, mit der Wahl Reichholds sei es gelungen, einen Ausgleich zu schaffen zwischen den Knittelfelder Putschisten und dem liberalen Flügel der FPÖ. Sehen Sie das auch so?
Sichrovsky : Nein, das ist sicher so nicht. Weil die führenden Figuren der Liberalität nicht mehr dabei sind. Peter Westenthaler war ein klassischer Vertreter des konservativ-liberalen Lagers. Er hat nie eine falsche Bemerkung über das dritte Reich gemacht. Grasser war eher ein L i b e r a l e r, der zur Mitte tendierte – also auch das liberale Lager hatte ja ein Spektrum. Dieses Spektrum hat sich nun zurückgezogen oder hat die Partei verlassen.
NU: Wo steht Mathias Reichhold(*)?
S i c h ro v s k y : Er ist vielleicht einer der letzten, der noch versucht, die Brücke zu schlagen. Er steht mit dem Kopf eher auf der We s t e n t h a l e r-Seite, steckt aber auch knöcheltief in der Tradition der Kärntner Partei. Er hat sich fre i l i c h immer herausgehalten – ob ihm nun der Brückenschlag gelingt, weiß ich nicht. So lange Haider der Landeshauptmann von Kärnten ist, w i rd er die dominierende Figur in der Part e i bleiben. Haider ist ja so etwas wie ein politischer Zelig (**). Er wird immer zu dem, was seine Umgebung von ihm erw a rtet. Er kann in Knittelfeld eine rechtsradikale Revolution o rg a n i s i e ren und er kann einen Tag später in New York eine intellektuelle Diskussion über den Dialog der Religionen führen, dass alle b e g e i s t e rt von ihm sind. Das ist eben seine Begabung. Was da allerdings persönlich mit ihm passiert ist, wissen wir alle nicht. Sicher ist nur eines: Dieser Mann hat sich in den letzten eineinhalb Jahren dramatisch verändert. Persönlich und auch in seiner politischen Arbeit. Seine geniale Fähigkeit, sich der jeweiligen Situation anzupassen und sie politisch für sich zu nützen, funktioniert plötzlich nicht mehr.
NU: Wie eng war denn Ihr Kontakt zu Haider in der letzten Zeit?
S i c h ro v s k y : Ich war eigentlich immer bei den entscheidenden Sitzungen der Parteilspitze – ob bei Böhmdorfer zu Hause bis vier Uhr früh, ob im Plaza-Hotel bis sechs Uhr früh, ich war mit ihm alleine zusammen in Klagenfurt. Bis vor etwa einem Jahr war es immer verschiedenen Personen in der Partei möglich, Konflikte durc h ein längeres persönliches Gespräch mit ihm zu lösen. Irgendwann ging das nicht mehr – das hat sehr viel zu tun mit dieser Irak-Reise und mit seinem Rückzug aus Amerika. Man darf nicht vergessen, er war vor nicht allzu langer Zeit ein echter Amerika-Fan, der im Sommer dort auf der Schulbank saß. Plötzlich wurde er zum Kritiker Amerikas. Derselbe Mann, der gesagt hat, wie wichtig die Wi e d e rg u t m achung ist, die er auch im Regieru n g s ü b e re i nkommen unterschrieben hat, der hat plötzlich in jeder zweiten Rede gemeint, was man den Juden jetzt alles in den Rachen stopfe, sollten doch besser die Sudetendeutschen bekommen. Mir kam das alles vor wie eine verbittert e A b rechnung. Denn er hat ja seiner Meinung nach mit seinen Entschuldigungen für die f r ü h e ren Aussagen über die Nazizeit einen Kniefall vor der kritischen Welt gemacht – und niemand, vor allem nicht die jüdischen Organisationen, haben ihm den honoriert. Daraus re s u l t i e rt auch sein Ärger über Gianfranco Fini, der diesen Weg erf o l g reich gegangen ist, und jetzt sogar nach Israel eingeladen w u rde. Haider wirft Fini vor, sich vor den Juden „auf den Bauch gelegt“ zu haben, wozu er selbst niemals bereit wäre.
NU: Und Sie sagen nun, so lange Haider die dominierende Figur in der FPÖ ist, w i rd das nichts mehr mit der Regierungsfähigkeit dieser Partei?
Sichrovsky : Man kann es nicht nur auf ihn allein beschränken. Das ist schon ein Umfeld des nationaloppositionellen Flügels der FPÖ, der das Gefühl hat, dass die Erweiterung der Partei zur Mitte hin und die Regieru ngsbeteiligung an ihnen vorbei gegangen ist.
NU: Aber Leute wie beispielsweise Ewald Stadler hat es immer gegeben in der FPÖ – die gab es auch 1996, als Sie für die FPÖ in das Europaparlament einzogen. Auch Riess-Passer hat sich mit diesen Leuten der „alten“ FPÖ ganz gut arrangiert. Wo ist also der Unterschied zu jetzt?
Sichrovsky: Riess-Passer hat Stadler politisch kalt gestellt, das war ja nicht leicht bei seiner Verankerung in der FPÖ. Das muss man anerkennen, dass diese Gruppe um sie versucht hat, Schritt für Schritt vorsichtig einen eigenen Weg zu gehen – ohne einen internen Krieg auszulösen. Die Vizekanzlerin hat ja auch als einzige die richtigen Wo rte zum Jahrestag der Befreiung gefunden – das war ja in allen internationalen Medien. Oder ich erinnere nur an i h ren historischen Besuch in Israel – als erste Vorsitzende in der Geschichte der FPÖ.
NU: Letztlich hat aber Stadler Riess-Passer kalt gestellt…
Sichrovsky: Das ist jetzt leider das Ergebnis. Ich persönlich habe das Gefühl, dass sowohl ich als auch die anderen, die dieses Projekt vorhatten, gescheitert sind. In dieser Situation heute hat Herr Stadler gewonnen. Er mit seinen Kumpanen und dem klammheimlichen Schweigen Haiders, der weder etwas dafür noch dagegen unternommen hat, hat diese Regierung gestürzt. Das muss man zur Kenntnis nehmen.
NU: Gehört Thomas Prinzhorn für Sie auch zu den Putschisten?
Sichrovsky: Prinzhorn hat sich auf seltsame Weise völlig auf die andere Seite geschlagen – meiner Meinung nach auch aus persönlicher Eifersucht, weil er nicht in der Regierung war und sich auch sonst nicht durchsetzen konnte. Er wollte ja unbedingt die Partei jetzt übernehmen, das ist nur durch große Kraftanstrengung des Reichhold verhindert worden.
NU: Heißt das, Reichhold ist jetzt in der Geiselhaft der Prinzhorns, Stadlers und Co?
Sichrovsky: Er ist nicht in Geiselhaft Prinzhorns, er hat eine normale, demokratische Wahl gewonnen und damit Prinzhorn verhindert. Mathias Reichhold ist ein bisschen eine Don Quixote-Figur, der aus ehrenwerten Motiven gegen Windmühlen kämpft.
NU: Wer ist sein Sancho Panza?
Sichrovsky:Wahrscheinlich der Herr Schweitzer.
NU: Wird Haider die FPÖ jetzt einmal verlieren lassen, um nach der Wahl wieder in Glanz und Gloria die Macht in der Partei zu übernehmen?
Sichrovsky: Ich glaube nicht, dass Haider psychisch und physisch im Stande ist, die FPÖ je wieder zu übernehmen – auch nach der Wahl nicht. Diese Niederlage der letzten Jahre, dass er die FPÖ in die Regierung geführt, sich zurückgezogen, dann den Sturz geförd e rt oder zumindest nicht verhindert hat – das hat auch bei ihm zu schweren Folgen geführt. So etwas geht ihm extrem zu Herzen und ich glaube, es geht ihm nicht gut derzeit. Nicht, dass ich Mitleid hätte – ich stelle das nur fest.
NU: Wie ist nun Ihr persönliches Resumee? Sind Sie gescheitert an der FPÖ?
Sichrovsky: Ich bin gescheitert, das muss ich offen zugeben. Ich bin mit einem Projekt, das ich unterstützt habe, gemeinsam mit andere n , die das gleiche vorhatten wie ich, gescheitert. Ich glaube dennoch, dass es wert war, es zu versuchen. Man muss aber auch wissen, wann man gehen soll. Die jüngsten Veränderungen in der Partei kann ich nicht mehr mittragen. Wenn zum Beispiel Frau Bleckmann sagt, es w ä re ihr unmöglich, die politischen Unterschiede von vor und nach 1945 zu beschreiben, oder Stadler die Naziverbrechen mit der Besatzungszeit gleichstellt, sind das für mich unerträgliche Aussagen.
NU: Und jetzt sitzen Sie persönlich zwischen allen Sesseln?
Sichrovsky: Das hat mich noch nie gestört. Wenn ich mir meine persönliche Geschichte mit der Wiener jüdischen Gemeinde ansehe, das war immer sehr problematisch. Ich werde nie vergessen, wie mein Vater das Buch über unsere Familie geschrieben und die Gemeinde ersucht hatte, ob er das Buch präsentieren dürfe. Das wurde damals von Hodik (Amtsdirektor der Kultusgemeinde) und Grosz (früherer Präsident der Kultusgemeinde) abgelehnt, weil sie meinten, so etwas bräuchten sie nicht in der Gemeinde. Er hat dann die Präsentation in einem Kaffeehaus gemacht und alle eingeladen. Die gesamte Spitze der Gemeinde ist nicht gekommen, obwohl es in diesem Buch um die wahrscheinlich wichtigste, heute noch in Wien lebende jüdische Familie überhaupt gegangen ist. Unsere Vorfahren sind ja schon 1780 nach Österreich gekommen, Heinrich Sichrovsky war der erste Jude, der das Bürgerrecht in Wien bekam und geadelt wurde, weil er die Nordbahn gebaut hat. Er war auch einer der Mitbegründer des heutigen Tempels. Ja, es steht sogar eine Büste von ihm im Technischen Museum. Diese Familie hat so viel getan für das Wiener Judentum. Und nie hat die Leitung, auch schon vor Grosz, etwas mit dieser Familie zu tun haben wollen.
NU: Warum nicht?
Sichrovsky: Eifersucht. Die nach dem Krieg zugewanderten Juden, die sich hier eine Basis aufgebaut haben und schon immer gegen die österreichischen Juden eine unglaubliche Abneigung verspürten. Das war auch das ganze Problem in der Wiedergutmachungsdiskussion. Die Jüdische Gemeinde hat ja die Wiedergutmachung nie unterstützt, das war schon in den 50er- und 60er-Jahren so. Weil die, die etwas zu reden gehabt haben in der Gemeinde, hätten sowieso nichts zurück bekommen. Mein Vater hat sehr unter dieser Ablehnung seiner Familie gelitten, besonders, als er älter war. Diese Ablehnung hat sich fort gepflanzt. Als ich das Buch „Schuldig geboren“ geschrieben hatte, hat der Arzt Dr. Friedman abgelehnt, dass das Buch in der Gemeinde vorgestellt wird. Ich habe es dann in der B’nai B’rith vorgestellt. Deshalb hat mich auch die Reaktion der Gemeinde auf meine politische Entscheidung nicht interessiert.
NU: Sie haben speziell mit Ariel Muzicant einen Strauß ausgefochten – da sind sehr massive Worte gegen ihn gefallen, zum Beispiel auch in einem Interview für die slowenische Zeitung „Delo“, da nannten Sie ihn einen „intelligenten Idioten“, der „unglaublich geldgierig“ sei…
Sichrovsky: Nein, ich bleibe dabei, diese Worte sind so nicht gefallen. Der Journalist konnte ja auch keine entsprechenden Aufzeichnungen auf seinem Tonband vorweisen. Inhaltlich bleibe ich freilich bei meiner Kritik: Diese unglaubliche Kommerzialisierung der Gemeinde ist eine Katastrophe. Wenn ch die Web-Page einer Religionsgemeinschaft aufmache und die erste Seite ist „Immobilien“, dann finde ich das lächerlich und peinlich.
NU: Wenn man den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde so massiv angreift wie Sie, besteht doch die große Gefahr, dass Sie damit allen Antisemiten in die Hände spielen, die ihre Vorurteile gegen das Judentum durch Ihre Vorwürfe bestätigt sehen.
Sichrovsky: Ich habe damit nicht begonnen. Im Gegenteil: Ich bin vor meiner Wahl zu Grosz gegangen und habe ihm angekündigt, dass ich für die FPÖ kandidieren werde. Ich sagte ihm damals, ich wolle nicht, dass das ein jüdisches Problem wird und ich ersuchte ihn, sich zurückzuhalten – dann würde auch ich mich zurückhalten. Dann kamen aber die massivsten Angriffe von Muzicant – „Hofjude, Alibi-Jude, Hausjude“ – das hat er begonnen und darauf habe ich dann reagiert.
NU: Sie sehen auch jetzt keinen Grund, die Gräben zu Präsident Muzicant zuzuschütten?
Sichrovsky: Ich habe persönlich nichts gegen ihn, wir reden auch ganz normal miteinander. Ich habe ihm immer gesagt, ich akzeptiere ihn, er ist mein demokratisch gewählter Präsident. Ich kritisiere ihn politisch, aber menschlich finde ich ihn genauso viel oder wenig sympathisch wie vorher. Man muss doch einmal unterscheiden können zwischen dem, wie jemand menschlich ist und was er politisch denkt – das ist doch eine der Grundvoraussetzungen der Demokratie.
NU: Kommen wir zurück zur aktuellen Innenpolitik: ÖVP-Klubobmann Andreas Khol hat die Aufgabe der Vetodrohung gegen Tschechien als Bedingung für eine weitere Zusammenarbeit mit der FPÖ genannt. Wie stehen die Möglichkeiten, dass die FPÖ ihre Knittelfelder Beschlüsse für eine Regierungszusammenarbeit mit der ÖVP über Bord wirft?
Sichrovsky: In der Person Reichholds sehe ich eine minimale Chance. Wer sich populistisch hervortut, ist besonders die Kärntner Partei und jene, die ihr nachlaufen. Die Frage ist offen, die Problematik eine andere: So lange Jörg Haider eine politische Funktion hat, werden immer wieder Leute auftreten, um die Arbeit der Partei in der Regierung zu kritisieren oder auch die Regierung zu stürzen, weil sie glauben, in seinem Auftrag zu handeln. Es hängt dann immer davon ab, ob er sie stoppt oder nicht stoppt. Das ist die schwierigere Frage für die ÖVP. Ein Regierungsteam mit der FPÖ bekommt man immer zustande – die Frage ist, ob es auch arbeitsfähig ist. Darauf sage ich: Nein – nicht, so lange Haider Landeshauptmann ist. Mein Rat an die ÖVP wäre: in Kärnten schon jetzt vorzeitige Neuwahlen vom Zaun brechen und Haider abwählen. Nur so kann man eine Koalition auf Bundesebene absichern – das ist das einzige, was funktionieren kann. Mit Haider in einer politischen Funktion geht es nicht. Nicht so sehr wegen seiner politischen Ansichten, sondern wegen seiner Unberechenbarkeit – derzeit weiß man nie, was der Mann in der nächsten Woche vorhat.
NU: Wäre eine schwarz-blaue Regierung unter den jetzigen Umständen nicht extrem instabil?
Sichrovsky: Wenn die ÖVP stark zugewinnt, also innerhalb der Koalition deutlich gestärkt wäre, und das dann kleine blaue Regierungsteam ohne „Zwischenrufe und Störmanöver“ arbeiten kann, schon. Wenn nicht, droht auch dieser Regierung der Kollaps.
NU: Noch einmal abschließend: Könnte man sagen, Sie wollten die FPÖ für Ihre politischen Ziele nützen, und die FPÖ hat Sie benutzt, um in Kreise vorzudringen, die ihnen bisher verschlossen waren?
S i c h ro v s k y : Ja, das kann man so sagen. Und man kann auch sagen, beide Teile sind gescheitert.
INFO
Peter Sichrovsky -Ein unsteter Grenzgaenger
Sichrovskys Bruch mit Joerg Haider und den Fre iheitlichen ist im Spiegel seiner eigenen Geschichte nur eine von zahlreichen, radikalen Wenden. Sichrovsky war und ist begnadeter Selbstdarsteller, radikaler Provokateur und brillant in der Faehigkeit, die fuer sein Fortkommen wichtigen Kontakte zum richtigen Zeitpunkt zu knuepfen. (Das war im uebrigen auch das wirklich verbindende Element zwischen Haider und ihm: Beide benuetzten sich wechselseitig, solange der Aufwind der FP. anhielt.)
Sichrovsky stiess 1996 zu den Freiheitlichen. Im EU-Wahlkampf wurde er vom damaligen FP.-Chef Joerg Haider ueberraschend als Quereinsteiger fuer den z weiten Listenplatz (hinter dem Ti roler Franz Linser) praesentiert. Seit 1996 ist Sichrovsky Mitglied des Europaeischen Parlaments.
Peter Sichrovsky wurde am 5. September 1947 in Wien geboren. Er studierte Chemie und Physik und war Mitte der 70er- J a h re kurz als Mittelschullehrer t.tig. Anschliessend wechselte er in die Pharma-Industrie, eher er sich als Journalist und Schriftsteller etablieren konnte. Als Journalist lebte er zunaechst in Berlin und Muenchen, uebersiedelte dann von 1988 bis 1991 als Mitbegruender des „Standard“ nach Wien, war dort Mitglied der Chefredaktion und Ressortleiter Kultur, Album und Aussenpolitik, spaeter als Korrespondent der „Sueddeutschen Zeitung“ und des „Stern“ in Asien. Es hielt ihn nirgendwo lange. Unter dem Pseudonym Paul Werner war Sichrovsky Co-Autor der Bestseller „Gesunde Geschaefte“ und „Bittere Pillen“ Anfang der 80er-Jahre. Mit seinen Buechern zu Rechtsextremismus und den Naziverbrechen sorgte er fuer internationales Aufsehen. Das 1987 erschienene „Schuldig geboren“, Gespraeche mit Kindern von Nazis, wurde weltweit aufgefuehrt, ebenso “ Wir wissen nicht…“ und „Unheilbar Deutsch“. Es folgten Kinderb.cher („Die Kobrafalle“ 1994 und „Das Bild des Roten Drachen“ 1995). 1996 erschien die von Sichrovsky erfasste offizielle Biografie des mittlerweile verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis. Die Zusammenarbeit mit Bubis endete wie so viele: Sichrovsky schied im Unfrieden und Bruch mit Bubis. Auch raeumlich wechselte er Wohnsitze wie seine Jobs: Von 1985 bis 1998 lebte er in Chicago, seit 1998 in Los Angeles. Nach seiner Bestellung zum FPOE-Generalsekretaer uebersiedelte er wieder nach Wien, pendelte seither zwischen Wien, Strassburg und Bruessel und den USA. Ueber Sichrovskys Motive, ausgerechnet die FPOE zu unterstuetzen, ist viel spekuliert worden. Neben der Aussicht auf ein fixes Einkommen als EU-Mandatar war wohl eine gehoerige Portion Profilierungssucht und Provokation dabei, als er 1996 ueberraschend als Quereinsteiger zur FPOE stiess. Er hatte sich schon immer lustvoll als Kaempfer gegen die „political correctness“ geriert, als Freund des Unkonventionellen. Die Reaktion von Menschen, die ihn kannten: Kopfschuetteln, voelliges Unverstaendnis und bei vielen Wut darueber, gemeinsame Anliegen verraten zu haben. Als ‚Haiders Hofjude“ wurde er bezeichnet und es schien oft so, als ob er diese Rolle genoss.
Und Haider? „Ich glaube“, sagt Sichrovsky ueber die Motivation Haiders, ihn zu nominieren, heute: „Es gab zwei Komponenten: Das eine war mein Judentum, das andere war der kulturelle Bereich, wo die FPOE ein Riesen-Defizit hatte“.
Doch das Doppel-Geschaeft ging nicht auf: Nachdem es Haider ganz offensichtlich trotz Schuetzenhilfe seines juedischen Eu ropakandidaten nicht gelang, in die Jewish Community vorzudringen, geschweige denn auf staatspolitischer Ebene den Kontakt zu Israel zu verbessern, forcierte Haider stattdessen seine Kontakte zur arabischen Welt. Hoehepunkt war der Besuch beim irakischen Diktator Saddam Hussein. Dieser Besuch war nicht nur FPOE-intern eine der entscheidenden Bruchstellen zwischen der Haider- FPOE und der Regierungsfraktion rund um Susanne Riess-Passer, sondern wohl auch fuer Sichrovsky ein entscheidender Einschnitt in seiner Beziehung zu Haider und der Freiheitlichen Partei. Ab diesem Zeitpunkt begann die Loyalitaet des Aussenseiters Sichrovsky zur Partei zu broeckeln.
In seinem Lebenslauf hat Sichrovsky sein urspruengliches Engagement fuer die FPOE durch zwei Motivationen begruendet: „eine anziehende und eine abstossende“.
Sichrovsky: „Angezogen fuehle ich mich von der Begeisterung, dem Engagement, den politischen Zielen und der politischen Konsequenz der Freiheitlichen. Anstossend war fuer mich das elitaere Verhalten von SPOE und OEVP, die zwar in den Jahren nach dem Krieg ein demokratisches Oesterreich aufbauten, jedoch danach den Anschluss an ein modernes Demokratieverstaendnis verloren.“ Die Begeisterung ueber die politischen Ziele der FPOE sind ihm wohl verloren gegangen, das „moderne Demokratieverstaendnis“ dieser Pa rtei hat er aber ohnehin nicht gefunden.