Der türkisch-österreichisch-jüdische Kunsthändler Davut Mizrahi hält wenig vom gängigen Identitätskonzept. Man müsse darüber diskutieren, was man mit diesem ominösen Begriff überhaupt meint.
„Es ist ja interessant: Warum brauchen die Menschen eine Religion und eine Nation für ihre Identität? Ich brauche das nicht. Das ist vielleicht das, was mich als jemand, der als jüdisches Kind in der Türkei aufgewachsen ist, am meisten geprägt hat: Ich bin nationalitätenlos. Juden leben in der ganzen Welt, jeder Jude hat Verwandte in Amerika, in Kanada, Israel, London. Und in Wien fühle ich mich nicht deshalb zu Hause, weil ich Österreicher bin, sondern weil Wien eine großartige Stadt ist.“
Davut Mizrahi wurde 1965 als Sohn sephardischer Juden in Istanbul geboren, der Vater, der Hebräisch sprach – „oder zumindest so tat, als ob“ – nahm ihn mit in die Synagoge; man feierte die jüdischen Feste, Jom Kippur, Purim, Pessach. Nur warum, wurde ihm nicht erklärt. „Er betonte immer, dass wir Juden seien. Doch er konnte mir nie die richtigen Antworten geben, was das bedeutet. Und warum wir die Feste feiern. Das begann mich zunehmend zu stören. Das Judentum war für mich wie eine leere Hülse.“
Mit seinem Vater, einem Importkaufmann, bereiste Davut schon als Kind Europa. Und mit fünfzehn wusste der abenteuerlustige junge Mann, dass er nicht in der Türkei leben wollte. Dass er Wien auserkor, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass er in Istanbul das St. Georgs-Kolleg besuchte, eine von sechs österreichischen Auslandsschulen. „Fast alle jüdischen Familien schickten ihre Kinder in ausländische Schulen. Bei den Juden war es immer schon so, dass man mehrere Sprachen können muss. Vielleicht liegt das ja auch daran, dass wir nirgends wirklich sesshaft werden können, und sehr oft das Land, in dem wir leben, wieder verlassen müssen.“
1984, mit 19 Jahren, kam Davut Mizrahi tatsächlich aus der Türkei nach Wien. Hier, das war schnell klar, sah man ihn als Türken. Und das, obwohl er sich selbst in der Türkei nicht wirklich als Türke, sondern eher als Jude wahrgenommen hatte. Seine Eltern legten zwar großen Wert auf einwandfreie Beherrschung des Türkischen, aber das nur, um etwaiger Diskriminierung vorzubeugen. Ob er nach so vielen Jahren ein Österreicher ist, das kann Mizrahi gar nicht sagen: „Da müssten wir erst drüber reden: Was oder wer ist ein Österreicher? Klar, wenn man Mizrahi heißt, ist man ja irgendwie stigmatisiert. Aber bin ich automatisch Jude? Ich gehe nicht in die Synagoge, alle drei Frauen, mit denen ich Kinder habe, sind Nichtjüdinnen.“
Als er nach Wien kam, spürte er rasch, dass der Großteil dessen, was man als Identität empfindet, das ist, was von außen auf einen projiziert, was einem übergestülpt wird: „Wenn ich sage, ich bin Türke, denken fast alle, ich bin Moslem. Dann sage ich, ich habe jüdische Wurzeln. Dann kommt meist: Ah, wir haben auch nette Juden als Nachbarn gehabt. Identität ist, was die anderen in dir sehen wollen.“
Sessel mit Seele
Vor zwanzig Jahren eröffnete er sein Geschäft Mizrahi Fine Arts auf der Seilerstätte 28 in Wiens erstem Bezirk. Er handelt mit schönen Dingen, mit Kunst(-handwerk) und Textilien, mit antiken Kelims, mit Schmuck, mit zeitgenössischer und außereuropäischer Kunst aus Afrika, Südamerika, Usbekistan. Seine Spezialität ist die Restaurierung und Neugestaltung von Sitzmöbeln, Biedermeiersessel überzieht er mit orientalisch anmutenden Bezügen und haucht ihnen so quasi eine neue Seele, wenn man so will, eine neue Identität ein.
Aber wer oder was ist er nun wirklich: Jude? Österreicher? Wiener? Türke? „Ich bin Davut Mizrahi, das muss genügen.“ Er umgebe sich nur mit Menschen, denen diese religiösen und nationalen Identitätszuordnungen schnurzegal sind; das, sagt er, sei der Vorteil seines Berufs im kulturellen Bereich.
Identität werde sowieso immer falsch verstanden, vor allem in einem Land wie der Türkei, „da wird durch Bauprojekte das ganze Land zerstört, östlich von Çanakkale rodet eine kanadische Firma hunderte Hektar Wald und hat bereits 140.000 Bäume gefällt, weil sie Gold gewinnen will. Das ist den Leuten offenbar egal, die demonstrieren ihre Heimattreue mit einer völlig vertrottelten Liebe zur Fahne.“ In Wien, glaubt er, ginge die ganze Stadt auf die Barrikaden, würde sich eine Baufirma erdreisten und ein Hotel oder ein Wohnhaus mitten in den Prater hineinbauen.
Als wäre seine Vorgeschichte nicht ohnehin schon durchmischt genug, entschied sich der Türke/Jude/Österreicher Davut, sich dem Buddhismus als Lebensphilosophie zuzuwenden. Denn Spiritualität, das brauche man schon, aber erst wenn man sich selbst bewusst dafür entscheiden könne. Das Judentum, überhaupt die monotheistischen Religionen, interessieren ihn nicht, „von allen ist viel Blut gekommen“.
Israel, Sehnsuchtsort aller Diasporajuden, sei übrigens auch nie sein Wunschzielland gewesen, trotz des zionistischen Vaters. Und trotz des Großvaters, der in der Haganah kämpfte und fiel. Er spreche die Sprache nicht und außerdem sei der zweijährige Militärdienst nicht wirklich verlockend. „Als ich nach Wien kam, war ich zwei Jahre bei Haschomer. Alle träumten davon, nach Israel zu gehen, viele taten es auch – aber neunzig Prozent kamen zurück. Wenn du in Wien aufwächst, wirst du dich vielleicht nicht wirklich wohl fühlen in Israel. Aber klar, wenn Juden unbedingt in einem Land im Nahen Osten leben wollen, dann sicher in Israel und nicht in einem arabischen Land.“ Er selber würde nie in einem muslimischen Land leben wollen: „Ich glaube, das bekommt mir nicht.“
Überall leben
Er hat Verwandte im Heiligen Land, deshalb erschüttert es ihn, wenn wieder Raketen auf Israel fliegen. Als Mensch mit jüdischen Wurzeln kann einen das nicht kalt lassen, sagt er. Denn auch wenn er sich nicht als Jude oder Türke (sowie auch nicht als Österreicher) wahrnimmt, sondern als nationalitätenloser Weltbürger, so ist ihm durchaus bewusst, dass Rassisten und Antisemiten diese Einordnung sehr wohl vornehmen. Schade findet er das, man könne ja eigentlich überall leben und an alles glauben.
Wer sich mit dem mit arabischer, afrikanischer, südamerikanischer Kunst handelnden, österreichische Sessel in orientalische Throne verwandelnden, moderne Künstler ausstellenden, buddhistisch meditierenden, Schnitzel essenden, türkischen Tee trinkenden, in Istanbul bei jüdischen Eltern aufgewachsenen, mit drei Frauen aus drei Nationen (Österreich, Belgien, Türkei) drei Kinder habenden Menschen namens Davut Mizrahi auseinandersetzt, wird sich kaum wundern, dass die Antwort auf die Frage, wer oder was er denn eigentlich sei, die Antwort letztlich nur eine sein kann: „Ist mir scheißegal. Ist mir völlig scheißegal, wie man mich bezeichnet.“