„Vielleicht ist es Torschlusspanik“

Ein Gespräch mit Lord Weidenfeld anlässlich seines 96. Geburtstags. Als Georg Weidenfeld am 13. September 1919 in Wien in eine jüdische Familie geboren wird, kann niemand ahnen, dass er einst zu einer internationalen Berühmtheit werden wird. Heute, zu Beginn seines 97. Lebensjahrs, blickt er zurück auf ein Leben, das ihm Bekanntund Freundschaften mit Chaim Weizmann, Charles de Gaulle, Helmut Kohl und Papst Johannes Paul II. bescherte. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel sucht und schätzt seinen Rat, und bis heute schreibt er eine Kolumne in der Tageszeitung Die Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete er den Verlag Weidenfeld & Nicolson, und bis heute kommt er täglich zur Arbeit. Auch sonst ist er weiter höchst aktiv: Sein „Institute for Strategic Dialogue” sucht Antworten auf globale Herausforderungen unserer Zeit, und mit einer Hilfsaktion bemüht er sich gerade um die Rettung von 10.000 Christen aus Syrien. NU: Sie wurden 1919 in Wien geboren und machten erste politische Erfahrungen in der Sozialdemokratie. Warum haben Sie sich später von der Linken abgewendet? Lord Weidenfeld: Wir waren alle für die Sozialdemokraten damals, ich war ein Roter Falke und im Bund Sozialistscher Mittelschüler. Die Sozialdemokratie war die einzige nicht-antisemitische politische Bewegung. Dann kam 1934 Dollfuß, und die Sozialdemokratie wurde verboten. Da wurde ich gekeilt von den Zionisten und bin mein Leben lang Zionist geblieben. Was war dafür ausschlaggebend? Ich erlebte einen Auftritt von Zeev Jabotinsky im Wiener Konzerthaus. Als wir kamen, standen hunderte Nazis am Eingang und haben uns angepöbelt und eingeschüchtert. Beim Hinausgehen waren wieder die Nazis da und schrien „Juda, verrecke!“ Da hat einer von uns, der sich beim Betreten der Halle noch hinter mir versteckt hatte, die Faust geballt und einem Nazi die Zähne ausgeschlagen. und kein bloßer Zyniker ist, wird sich immer um Verbesserung bemühen. Doch der Westen ist heute vollkommen demoralisiert. Obama ist eine tragische Figur, eine Mischung aus Dummheit, Unerfahrenheit und moralischer Schwäche. Als ich ein junger Mann war, haben sich die Menschen eingesetzt und ihr Leben gegeben. Ich habe es noch erlebt, dass Ideale die Menschen formten und anfeuerten. Ich sehe das heute nicht mehr, und das macht mir Sorgen. Das gilt aber nicht für die Dschihadisten… Als Jude habe ich den Trost, dass es Israel gibt und es für uns als Zuflucht besteht. Aber ich habe Angst um die Nicht-Juden, wenn sich der gewalttätige Islam weiter ausbreitet. Wenn es mehr Terror gibt, wird es auch zu einer Reaktion kommen. Es wird Menschen geben, die nach einem neuen Hitler rufen, denn Hitler war der letzte weiße Mann, vor dem die Welt zitterte. Was ist schiefgegangen? Schlechte Führung. Das Problem fängt mit dem Ende des Kalten Kriegs an, als man dachte, die Mission sei erfüllt und die Hände in den Schoß legte. Kohl und Gorbatschow, das war der letzte große Moment politischer Führung, von da an ist es nur mehr bergab gegangen. Die Londoner Times vermerkt in ihrer amtlichen Chronik für den 18. Juni 2015: „The Prince of Wales this afternoon received Sir Ronald Harwood and the Lord Weidenfeld.“ Müssen Sie sich manchmal noch zwicken, wenn Sie auf Ihren Lebensweg zurückblicken? Zwicken nicht, dafür habe ich mich zu lange an all das gewöhnen dürfen. Ich würde nicht sagen, dass ich im Königshaus ein- und ausgehe. Die Queen habe ich vielleicht ein paar Mal gesehen. Ihr Mann, Prinz Philip, ist ein sehr umgänglicher und vielseitig interessierter Mann. Und Prinz Charles, der Thronfolger, ist hochintelligent und umfassend gebildet. Sie werden am 13. September 96 Jahre alt, doch Sie sind immer noch höchst aktiv. Was treibt Sie an? Vielleicht ist es Torschlusspanik. Im Ernst: Ich würde gerne noch ein paar Projekte, die mir am Herzen liegen, zu Ende bringen. Dazu gehört es, die Möglichkeiten zu schaffen, grenzübergreifende Lösungen für globale Probleme vorzustellen. Je älter man wird, umso mehr möchte man etwas für andere erreichen. Was bedeutet es Ihnen, Jude zu sein? Es bedeutet mir sehr, sehr viel. Ich bin sehr stolz auf meine Herkunft und auf meine Familie. Ich bin und bleibe ein überzeugter Zionist. Meine Frau und ich haben schon vorgesorgt, dass wir auf dem Herzl-Berg in Jerusalem unsere Ruhe finden werden.

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