Das Sisi-Museum in der Hofburg übt selbst auf Peter Morgan eine gewisse Faszination aus. Dabei könnte man meinen, dass der prominente Drehbuchautor und Produzent (u.a. The Queen, Rush, Last King of Scotland) mit diesem Thema ganz locker umgeht. Ist er doch beruflich wie privat in der Hocharistokratie quasi zu Hause.
VON DANIELLE SPERA (TEXT) UND
MILAGROS MARTÍNEZ-FLENER (FOTOS)
Mit dem NU-Team lernte er nun erstmals das Sisi- Museum kennen und konnte nicht umhin, Handy- Fotos der ausladenden Roben von Kaiserin Elisabeth zu knipsen. Nach den vielen Jahren seiner Beschäftigung mit der britischen Königin liegt die Frage auf der Hand, ob nicht auch die schwierige Persönlichkeit der vorletzten österreichischen Kaiserin für ihn reizvoll wäre? Theoretisch ja, meint Peter Morgan. Allerdings schreibe er derzeit an einer großen Serie über Queen Elizabeth für Netflix, die ihn seit fast einem Jahr Tag und Nacht beschäftige.
„Ich glaube, wenn ich mit dieser Serie fertig bin, werde ich nie wieder über Königshäuser schreiben. Ab dann werden für mich nur noch Antimonarchisten, Räuber oder Mörder Thema sein. Dann will ich nie wieder das Wort Prinzessin hören!“ Allerdings betrachtet er seine Arbeit für Netflix als große Herausforderung. Die neue Serie ist nach House of Cards der größte Auftrag, den der neue Internet-TV-Sender je vergeben hat. Die Arbeit für Netflix hat auch sein Leben verändert. Weil der Sender 180 Millionen USDollar in die Serie investiert hat, steht Peter Morgan unter ständiger Beobachtung. Alle paar Monate muss er sich ins Spital begeben, wo Untersuchungen auf dem Niveau von Gesundheitschecks für Staatspräsidenten durchgeführt werden. Man will sichergehen, dass der Drehbuchautor nicht während der Entwicklung der Serie durch Krankheit ausfällt. Immerhin wird Morgans Serie in 190 Ländern gleichzeitig starten und soll in fast ebenso viele Sprachen übersetzt werden.
Ein Helfer Simon Wiesenthals
Mit Sprache an sich und verschiedenen Sprachen ist Peter Morgan aufgewachsen. Seine Eltern waren nach Großbritannien geflüchtet. Sein Vater Arthur Morgenthau kam 1933 als 18-Jähriger mit seiner Großmutter aus Dresden, seine Mutter war eine polnische Katholikin aus Schlesien. Der Vater stammte aus einer wohlhabenden, die Mutter aus einer einfachen Familie. Ausbildung – vor allem an einer Universität – sei das Allerwichtigste im Leben, das kann einem niemand nehmen, sei das Credo seines Vaters gewesen. „Damit bin ich aufgewachsen, mit dieser Mentalität. Ich glaube schon, dass mein Workaholismus damit zu tun hat, ich kämpfe förmlich darum, dass ich etwas Bleibendes herstelle, sei es eine DVD oder Ähnliches. Ich glaube, das ist schon eine ererbte Neurose.“
Seine Eltern bezeichnet er als stolze britische Staatsbürger, die Englisch mit einem stark deutschen Akzent sprachen. „Mein Vater hatte einen großen Freundeskreis, ausschließlich deutsche Emigranten. Bis auf seinen Kompagnon haben sich alle von ihren jüdisch klingenden Namen verabschiedet und umbenannt.“ Morgans Vater kehrte nach dem Krieg immer wieder nach Deutschland zurück und half Simon Wiesenthal bei seinen Recherchen über Kriegsverbrecher. Er arbeitete viel, lebte nicht gerade gesund und starb mit 59 Jahren, als Peter gerade einmal neun Jahre alt war. „Dadurch konnte ich ihn so vieles, was ich heute gerne wissen möchte, nicht mehr fragen“, bedauert Peter Morgan. Rafael Scharf, der Kompagnon des Vaters, übernimmt eine wichtige Funktion. Nicht nur fordert er Peter immer wieder auf, sich den Namen Morgenthau zurückzuerobern (er sagte immer: „Morgenthau klingt doch zehnmal schöner als Morgan“), sondern nimmt ihn auch mehrmals pro Woche mit ins Theater – Besuche, die den jungen Peter Morgan, der den Rat der Namensrückführung, wie wir wissen, nicht annahm, für sein Leben prägen.
Erzogen wird er von seiner Mutter allein. Zunächst besucht er die fortschrittliche Londoner Schule St. Paul´s, durch die er eine weitere Prägung erfährt. 60 Prozent seiner Mitschüler sind Juden, doch dann entscheidet sich seine Mutter für ein katholisches Internat. „Das war ein ziemlicher Kulturschock, von der sehr urbanen, jüdisch geprägten Kultur plötzlich in die aristokratische englische Gesellschaft zu wechseln. Das ist eine Kultur – auch wenn meine Frau aus dieser Gesellschaft stammt – in der ich mich nicht zu Hause fühle, mit der ich eigentlich nichts tun habe.“
Seine geistige Heimat ist der jüdisch geprägte Freundeskreis in London. Auch in Wien kommen die Menschen, mit denen er sich gern umgibt, hauptsächlich aus der Gruppe der Wiener Jüdinnen und Juden. „Ich spüre da eine Wärme, kann aber nicht erklären, warum das so ist, es ist sicherlich keine bewusste Entscheidung.“
Denn in seiner Familie hat Peter Morgan vom Judentum nicht viel mitbekommen. Wenn Religion praktiziert wurde, dann eher das Katholische. Allerdings gab es keinerlei religiöse Symbole in der Wohnung. „Mein Vater war komplett ungläubig. Ich würde ihn als ,faulen Juden‘ bezeichnen, was seine Religiosität betrifft. Mein Vater hatte alle Vorurteile: Wir sind clever, wir streben immer zum Besseren. Das war bei uns immer in der Luft. Gleichzeitig aber auch die Neurosen von Flüchtlingen: das Schuldgefühl, überlebt zu haben. Damit bin ich aufgewachsen.“
Theater als große Faszination
Die große Faszination, die sich durch Peter Morgans Leben zieht, ist das Theater. Als junger Mann versucht er sich als Schauspieler. „Ich war unbegabt und undiszipliniert.“ Ein kurzes Intermezzo. Als Regisseur möchte er einen Film drehen und bei einem Festival in Edinburgh einreichen. Allerdings kosten die Rechte für das Stück, das Morgan verfilmen will, ein kleines Vermögen. So schreibt er ein eigenes Stück, und gewinnt dafür mit 21 Jahren seinen ersten Preis.
Seitdem hat ihn das Schreiben nicht mehr losgelassen. Der britische Komiker John Cleese wird auf Peter Morgan aufmerksam und engagiert ihn für ein Projekt, das ganz und gar nichts mit seinem späteren Erfolgen wie Monty Python zu tun hat. Cleese produziert zu diesem Zeitpunkt Trainingsfilme für Verkäufer, in denen er selbst mitspielte. „Es waren sehr komische Szenen – wie mache es ich am besten garantiert falsch. Jedenfalls habe ich damit mein erstes Geld verdient. Cleese hat mir meine erste Bahnfahrt bezahlt. Ich fühlte mich wie ein Millionär.“ Dennoch blieben die ersten Jahre schwierig. Morgan lebt bescheiden, es ist eine harte, aber lehrreiche Zeit. „Meine Stimme beim Schreiben habe ich erst mit 38 Jahren gefunden. Es ist vollkommen egal, ob man Erfolg hat, man darf nur nicht aufhören. Glücklicherweise hatte ich immer den ganzen Tag, um zu schreiben. Vor allem in der Früh.“ Wie das mit den fünf Kindern, die er mit seiner Frau Lila Schwarzenberg hat, vereinbar ist? „Ich bin ein zurückgezogener Vater. Eigentlich wollte ich nur ein Kind, meine Frau dagegen eine Großfamilie. Ich fürchtete mich vor der großen Verantwortung. Außerdem hassen die Kinder meine Drehbücher. Immer sagen sie: schon wieder so ein fader Film. Mach doch lieber einen James Bond…“
Sein vorletztes Projekt Die verlorene Ehre des Christopher Jeffries kommt dem schon recht nahe. Morgan schrieb das Skript einer wahren Geschichte über einen pensionierten Lehrer, der unschuldig unter Mordverdacht geriet und ein Opfer der Vorverurteilung durch die Boulevardpresse wurde. „Diese Geschichte musste ich schreiben, meistens kommen die Geschichten zu mir. Wie der Stoff für Rush (über den Konkurrenzkampf in der Formel 1 zwischen Niki Lauda und James Hunt), den ich erst in Wien entdeckt hatte, nachdem ich durch meine Frau Niki Lauda kennengelernt hatte. Niki hat mich beeindruckt, weil er so uneitel ist und vor allem, weil er mir blind vertraute. Das ist für mich sehr wichtig. Das hätte ich auch der Queen gesagt: Sie sind kalt, Sie sind engstirnig, Sie sind arrogant, Sie sind verloren und genau das werde ich beschreiben.“ Obwohl er sich seit Jahren mit ihr beschäftigt, hat Peter Morgan keine Lust, Königin Elizabeth kennenzulernen. „Die meisten Menschen, über die ich schreibe, sind unmöglich. Über einfache, nette Menschen kann ich nicht schreiben. Da wüsste ich nicht einmal, wie ich anfangen sollte.“
„Ich gebe Wien noch eine zweite Chance“
Wie Romy Schneider mit Sisi wird nun auch Helen Mirren mit der Queen identifiziert. Besonders in den USA, da machen selbst erwachsene, gebildete Menschen vor ihr einen Knicks, weil sie nicht mehr unterscheiden können, berichtet Morgan. Sein großartiges Stück The Audience, in dem Morgan die monatlichen Treffen der Queen mit den britischen Premierministern im Lauf der Jahrzehnte Revue passieren lässt, lief mit großem Erfolg in London, New York, Prag und Moskau. Warum nicht in Wien? Das Volkstheater habe es abgelehnt. Und das Burgtheater? „Richtig“, sagt Morgan augenzwinkernd, „ich gebe Wien noch eine zweite Chance.“ Für Politik interessiert er sich nur „in seinem eigenen Tiergarten“, also der britischen Innenpolitik. Nach dem überraschenden Erdrutschsieg von David Cameron vor wenigen Wochen, musste er die letzten Szenen für seine Netflix-Serie über die Queen komplett umschreiben, da er mit diesem Wahlausgang nicht gerechnet hatte.
Die Entwicklung u. a. von Netflix, das große Aufkommen und den Erfolg von Serien betrachtet Morgan als zweischneidig. „Das Kino ist jetzt am Aussterben. Man hört nie mehr ,I love cinema‘, sondern vielleicht noch manchmal ,I like the movies‘. Und es wird immer schwieriger, interessante Filme zu machen. Die Menschen sitzen lieber zu Hause vor einem riesigen Bildschirm, wo die Tonqualität besonders gut ist. Da wird man nicht gestört von Leuten, die missverstanden haben, dass ein Kino kein Restaurant ist, Leuten, die mit dem ganzen Abendessen da ankommen, dann quatschen und telefonieren, texten und SMS senden. Das ist eigentlich schade. Ein Kino zu besuchen, war eine schöne Sache. Das hat sich in den letzten Jahren so verändert, und es wird sich immer schneller und immer mehr ändern. Das Kino ist zu einem ,Filmpark-Erlebnis‘ wie Disney World geworden. Das ist sehr bedauerlich.“ Dennoch genießt er gleichzeitig seine neue Rolle als Drehbuchautor einer umfassenden Serie. Es entspricht seinem Antrieb, Charaktere herauszuarbeiten, ins Detail zu gehen, einen großen Roman zu verfassen. „Die Menschen, die sich die Serie ansehen, wollen keinen lärmigen Blockbuster sehen. Ich schätze, es werden 30- bis 40-Jährige sein, die gehaltvolle Unterhaltung suchen.“
Sein nächstes Projekt hat er schon im Kopf, es geht wieder einmal um zwei starke, schwierige Charaktere, zwei Wissenschaftler und deren Auseinandersetzung über die Frage nach der Existenz Gottes. Dass sein Antrieb, ständig etwas Neues zu schaffen, dem jüdischen Grundsatz, sein Leben immer zu verbessern, entsprechen würde, verneint Peter Morgan. Er sei unbewusst eher von Furcht getrieben. „Wenn man aus einem Haus kommt, wo beide Eltern Flüchtlinge sind, die alles verloren haben, dann denkt man immer, dass morgen alles weg sein kann. Ich meine das nicht nur materiell. Ich meine alles! Die ganze Welt ist weg. Und deswegen will man zeigen oder beweisen, dass man da war. Bei meinen Kindern ist das ganz anders, die haben überhaupt keinen Sinn dafür. Gott sei Dank! Es ist nicht besonders gesund, das würde ich ihnen nicht gerne vererben. Ich glaube, mein Leben ist von diesen Schatten der Geschichte geprägt. Von traurigen Sachen. Eigentlich hatte ich mich anfangs gefragt, warum ein Interview mit mir in einer jüdischen Zeitschrift erscheinen soll. Ich bin kein gläubiger Jude, aber man hätte mich in der Nazi-Zeit umgebracht. Deswegen gehöre ich dazu. Und jetzt verstehe ich das auch.“