Wellness als Vergangenheitsbewältigung: Wo früher Adolf Hitlers Berghof stand, genießen nun Touristen die Annehmlichkeiten des Inter Continental Berchtesgaden. Problematisch findet das kaum einer.
Von Rainer Nowak
Bestellt wird er zwar so gut wie nie, aber die paar vorrätigen Flaschen nehmen im großen Weinkeller zum Glück ohnehin wenig Platz ein. Und irgendwie ist es doch ein schönes kleines Symbol: Auf der Weinkarte des des Restaurants Le Ciel im Inter Continental Berchtesgaden stehen auch zwei koschere Weine, ein weißer und ein roter. Falls einmal jüdische Gäste kommen sollten, in das Hotel, das genau an der Stelle des alten Berghofs steht. Das dank des beliebten „Zitierens“ in der Top-(Wellness)-Architektur zumindest bei Details wie den Stein-Wänden dem alten Gebäude so unähnlich nicht ist. Und Eva Braun vermutlich besser gefallen hätte als dem einstigen Hausherren und Abstinenzler Adolf Hitler: das mit Abstand beste Restaurant mit Meeresfrüchten weitum, die angeblich größte Whiskey-Sammlung Deutschlands, ein Spa, das so manches Thermalbad zieren würde, und eine kleine Bierstube für den kleinen Hunger und Durst zwischendurch. Kein Wunder also, dass das Inter Continental heute im nahen München so beliebt ist: Pärchen verbringen hier ebenso romantische Wochenenden wie eine junge Braut mit ihren aufgekratzten Freundinnen, um die letzten Tage ohne Ehemann zu feiern. Sie alle liegen zum Sonnen am und im Pool. Nur um die Liegen muss man eben notfalls frühmorgens mit Handtuch kämpfen, um die Bergkulisse, die die lokalen Fremden-führer gerne als „imposant“ bezeichnen, bewundern zu können. Die hatte schon Hitler und seinen zahlreichen Gästen gut gefallen, und vor denen angeblich schon unzähligen Touristen, die keine Nazis gewesen seien, wie der Tourismusverband Berchtesgaden nicht müde wird, zu verkünden. Schon Jahrzehnte vor dem Österreicher Hitler und seinen Bewunderern habe es hier nämlich einen boomenden Fremdenverkehr gegeben, sogar Sigmund Freud sei auf Sommerfrische da gewesen. Womit also einer der besten Freunde Berchtesgadens Jude gewesen ist …
Weil Freud heute vermutlich in rein beruflicher Mission vorbeischauen würde, in Sachen zwanghafter Verdrängung nämlich. Wenn etwa die Hotelführung drauf besteht, ihre Gäste nicht mit Vergangenheit belästigen zu wollen und in der Bibliothek keine Fachliteratur zu finden ist. Die liege in jedem Zimmer, im Nachtkästchen wurde statt der Bibel das Buch „Die tödliche Utopie“ über die Geschichte des Berghofs, der NS-Zeit und des Holocaust deponiert. Wie oft es zur Hand genommen wird, ist nicht dokumentiert. Auch nicht wie viele Gäste dem nahen Dokumentationszentrum über Hitler, seinen Zweitwohnsitz und den NSWahn, der in Berchtesgaden eben in Tracht auftrat, einen Besuch abstatteten.
Dieses Mini-Museum ist technische sicher state of the art, vor allem Filme und Hörbeispiele geben einen schnellen Überblick über das sogenannte Dritte Reich und den braunen Massenmord. Wirklich Platz gibt es dort ebenso wenig wie spektakuläre Ausstellungsstücke, beeindruckend sind nur die ausgedehnten höhlenartigen Bunkeranlagen. Dort, vor den zahlreichen Souvenirläden, den überdimensionalen Bus-Parkplätzen und vor allem beim Kehlsteinhaus spürt man das eigentliche Berchtesgadener Problem: Für die Amerikaner war der Obersalzberg auch immer eine Walt Disney-Landschaft der Zweite-Weltkriegs-Erinnerung. Die Russen hatten Berlin als symbolträchtigen Ort ihres Sieges, die Amerikaner – und bis zu einem gewissen Maß auch die Engländer – hatten den Obersalzberg, wo die Krauts kapituliert hatten. Wo noch heute Broschüren über die Geschichte des Bauwunders Kehlsteinhaus mit schwarz-rot-goldenem Rahmen verkauft werden.
So gesehen ist ein Luxus-Hotel mit alpinem Badevergnügen für die planschenden Polter-Girls aus München und den gut gelaunten Versicherungsvertreter wirklich kein zusätzliches Problem. Die Süddeutsche rang sich in ihrem Reiseteil sogar zu einer kleinen politischen Lobpreisung durch: „Das hätte sich der alte Reichsmarschall nicht gedacht, dass auf seinem Hügel einmal das Kosmopolitentum einkehren würde. Dass hier junge Leute Urlaub machen, die zu seiner Zeit am Berg vielleicht als Arbeitssklaven geschuftet hätten.“ Wie man solche potenziellen Arbeitssklaven und Kosmopoliten unter den Gästen 2007 auf den ersten Blick erkennen kann und sollte, verrät der PR-Text übrigens leider nicht. Aber um bei diesem krausen Bild zu bleiben: Der Weinkeller hätte ihm gefallen … Eben abgesehen vom koscheren Wein.