Erika Padan Freeman ist als Psychoanalytikerin die Vertraute vieler Hollywood- Stars. Als 13-Jährige vor den Nazis in die USA geflüchtet, hat sie dort eine steile Karriere gemacht. Jetzt war sie – wie zuletzt oft – auf Besuch in Österreich und hat einen gemütlichen Nachmittag im Burgenland verbracht. Peter Menasse hat ihre Erzählungen aufgezeichnet.
Wissbegieriger, schaust du in Wikipedia, so findest du unter „Erika“ so manches, das für Erika Padan Freeman erfunden sein könnte. Eine Art der Herzkirsche heißt so. Und unsere Erika könnte nicht besser charakterisiert werden als durch diese Frucht. Mit ihren 88 Jahren kommt sie daher wie ein Teenager, mit knalligen Sneakers, die aus der Kollektion von Twiggy stammen, rundum jugendlich gekleidet und mit einem roten Kussmund, der an Hollywood-Größen vergangener Jahrzehnte erinnert. Am meisten ähnelt sie der unangepassten und unkonventionellen Bette Davis, von der das amerikanische Magazin Photoplay im Jahr 1936 schrieb: „Ihre Wimpern sind so hell und charmant wie ihre Konversation.“ Ja, das gilt in der Tat auch für Erika.
Aber es gab im Jahr 1997 auch einen Tornado, dem dieser Name gegeben wurde. Er richtete zwar keinen großen Schaden an, aber er tobte durch die Welt, schnell, präsent und kraftvoll. Auch das ist Erika. Und dann erinnert sie auch ein wenig an den „Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand“. Sie hat wie er über Jahrzehnte mit allen Größen dieser Welt geluncht, sie für ihre humanitären Anliegen begeistert und ihre Handlungen beeinflusst. Ohne Erika wäre der Lauf der Welt vielleicht ein wenig anders vor sich gegangen und hätte mancher Hollywood-Star nicht sein psychisches Gleichgewicht gefunden.
Erika ist eine begnadete Erzählerin. Sie schüttelt eine Geschichte nach der anderen heraus, Namen über Namen aus der großen Politik und dem Showbusiness säumen den Weg ihrer Storys, und immer ist sie dabei, wenn die großen Entscheidungen gefällt werden. Noch hat niemand das Buch über Erika Freemans Leben geschrieben – und das ist schade, schlägt doch die Lebendigkeit ihres Erzählens Menschen über Stunden in ihren Bann.
Wer also ist diese Erika Padan Freeman? Ihr Lebenslauf ähnelt zu Beginn dem vieler jüdischer Kinder, die der Schoa entkommen konnten. Sie wurde im Juli 1927 in Wien geboren und wuchs bis 1938 wohlbehütet auf. 1940 gelang der noch nicht 13-Jährigen mit einem „Affidavit“ die Flucht in die USA.
Erikas Mutter
Die Mutter blieb in Wien, überlebte fast den ganzen Krieg in verschiedenen Verstecken und kam dann doch auf tragische Weise ums Leben. Sie wurde Opfer des letzten Bombenangriffs auf Wien – just am 13. März 1945, auf den Tag genau sieben Jahre nach Hitlers Einmarsch.
Noch heute ist Erika stolz auf ihre Mutter Rachel „Sie war die erste Frau, die Hebräisch lernte. Sie kam aus dem Städtl Kuty, nahe bei Kolomea. Hebräisch zu lernen, war Mädchen damals nicht erlaubt. Ihre Mutter hat sie unterstützt. Sie hat sie neben einen Koffer gesetzt. Wenn der Vater nach Hause kam, verschwand das Buch blitzschnell im Koffer. Eines Tages wurde im Ort Joseph und seine Brüder aufgeführt. Damals nahmen viele Familien einen armen Schüler ins Haus, um ihm zu ermöglichen, den Talmud zu studieren. Nach der Aufführung geht mein Großvater zum Rabbiner und sagt: ‚Rabbi, den Buben, der den Joseph gespielt hat, will ich in meinem Haus aufnehmen.‘ Sagt der Rabbi: ‚Den hast du schon im Haus. Der Bub Joseph ist deine Tochter Rachel.‘ Das war die Vorlage, nach der Isaac Bashevis Singer die Kurzgeschichte Jentl geschrieben hat. Das war die wirkliche Geschichte, was er daraus machte, war etwas anderes.“
Erikas Vater
Erikas Vater war ein „Politischer“. Wegen seines Widerstands gegen die Nationalsozialisten wurde er verhaftet und in der „Kleinen Festung“ des KZ Theresienstadt eingesperrt. Ihm jedoch war das Glück hold, das der Mutter verwehrt blieb, wie Erika erzählt: „Die Geschichte war so, dass ein schwedischer Diplomat mit seinem Auto nach Theresienstadt kam. Er hatte seine kleine, blonde Tochter dabei. Das Mädchen lief weg, öffnete eine Tür und lief zu den Gefangenen. Mein Vater, der gerade dort stand, nahm sie auf und trug sie zurück. Die Wachen wollten daraufhin auf ihn losgehen, aber der Diplomat sagte, sie mögen ihn in Ruhe lassen, er sei Schwede. Die Nazis haben das geglaubt. Es waren auch tatsächlich zwei Schweden dort eingesperrt und man hat dann alle drei freigelassen.“
Erika lebte in den USA anfangs bei sehr entfernten Verwandten, einer Art Gastfamilie, bei der sie todunglücklich war, später dann in verschiedenen Waisenheimen. Eines Tages tauchte ihre Tante Ruth aus Palästina in New York auf. „Gerade noch war ich Flüchtlingskind – und plötzlich Cinderella beim Lunch mit Mrs. Roosevelt und anderen bedeutenden Menschen.“
Tante Ruth
Tante Ruth Klüger ist eine Heldin der israelischen Geschichte. Ben Gurion gab ihr nach der Staatsgründung Israels den Namen Aliav – zu deutsch etwa: Einfahren, Aufgehen. Sie war der Kopf der Aliya Bet am Hauptsitz in Paris. Diese Organisation schmuggelte nach dem Zweiten Weltkrieg Juden aus Europa nach Palästina. Ruth Klüger fand für die Flüchtlinge – die meisten kamen aus dem KZ –, Fluchtrouten und trieb Schiffe, Mannschaften und Geld auf. Heute würde man sagen: „Für die Illegalen! Die Engländer als Besatzungsmacht in Palästina haben sich gegen die Flüchtlinge ja gewehrt“, ergänzt Erika.
Mit den Erzählungen von Tante Ruth kommt gleich auch die große Weltgeschichte ins Spiel: „Ruth ging 1948 nach Südamerika, um Geld für die Haganah, die damals illegale Armee der Juden, aufzutreiben. Für alles, was schwierig bis unmöglich war, hat man sie eingesetzt. Damals war noch Perón der große Macher. Sie hat viele Leute kennengelernt, darunter auch einen kleinen Leutnant der Marine. Die jüdische Gemeinde wollte sie davon abhalten, mit ihm zu reden, weil er ein Anti-Peronist war. Sie hatten Angst, dass dieser Kontakt nicht nur Ruth, sondern der gesamten jüdischen Gemeinde schaden könnte, aber Ruth ließ sich nicht beirren. 1955 schickte man sie dann wieder nach Argentinien, um die Schiffsrouten für den Handel zu eröffnen. Gerade zu diesem Zeitpunkt wurde Perón gestürzt, alles war zu Ende, aber nicht für Ruth. Sie traf den kleinen Leutnant. Er war der neue Präsident von Argentinien.“
Auch der Vater kam schließlich in die USA. Er hatte geglaubt, dass seine Tochter tot wäre, sie dasselbe von ihm. Dann begegnete Erikas Onkel dem Vater in New York zufällig auf der Straße und nahm ihn mit nach Hause. Auf die Frage, wie diese erste Begegnung mit dem Vater abgelaufen sei, sagt Erika: „Er fragte mich: ‚Putzika, was liest du gerade?‘ Und als ich antwortete, ‚Die Göttliche Komödie von Dante‘, schüttelte er den Kopf: ‚Dante, dieser Pessimist. Hör auf damit, versprich es, ich gebe dir die Gedichte von Michelangelo.‘ So war er. Nach dem Krieg, nach schrecklichen Erlebnissen, war er immer noch auf der Seite der Optimisten.“
Erika erzählt, oder: „Vom Hundertsten ins Tausendste“
Erika konnte studieren, wurde Psychoanalytikerin, behandelte bald viele große Stars und war in freundschaftlichem Kontakt mit Menschen wie Woody Allen, Liv Ullmann, Marilyn Monroe, Marlon Brando, Paul Newman oder Burt Lancaster. Bei ihren Erzählungen hält sie sich strikt daran, nur jene zu nennen, die selbst über die Analyse bei ihr öffentlich gesprochen haben, und sie verrät, wie es die Regeln ihres Berufes verlangen, keine Geheimnisse über die Inhalte der Analysen. Später setzte sie ihren Ruhm ein, um in Frauennetzwerken, karitativen Organisationen und in NGOs zur Unterstützung Israels einen Beitrag zu leisten.
Jetzt sitzt sie vergnügt im Burgenland, erzählt und erzählt, keiner will sie unterbrechen, die Weltgeschichte zieht in vergnüglicher Weise vorbei. Hören wir ihr also einfach zu, wenn sie die berühmten Menschen und die Jahrzehnte vorübergleiten lässt:
Der Eisprinzessinnen-Blick
„Zubin Mehta dirigierte einmal in New York das Israel Philharmonic Orchestra. Bei der anschließenden Party in der Wohnung des israelischen Botschafters sehe ich einen kleinen, sehr hübschen, dunklen jungen Mann. Er hat mich angeschaut, als ob er mich fressen wollte. Da habe ich ihm den ‚Eisprinzessinnen-Blick‘ gegeben und mich umgedreht. Zwei Minuten später kam eine Freundin und fragte mich, ob ich Zubin Mehta kenne. Ich drehte mich um, und es war der schöne Mann. Sein Blick aber sagte: ‚Vor zwei Minuten hast du dich von mir abgewendet, aber jetzt, wo du weißt, dass ich Zubin Mehta bin, willst du mit mir reden. Vergiss es.‘“
Golda Meir und Richard Nixon
„Ich war eine Zeitlang Golda Meirs persönliche Beraterin. Eines Tages besuchte sie Nixon, um Waffen für Israel zu beschaffen. Sie rief mich vor dem Gespräch an. Alle rundherum würden ihr sagen, dass Nixon eine Ratte sei, ein Antisemit, ein schrecklicher Mann. Sie erwarte rein gar nichts und werde sich daher auch nicht enttäuschen lassen. Ich aber widersprach: ‚Er wird dir geben, was immer du forderst. Erwarte alles und du wirst es kriegen.‘
Ich hatte einen guten Grund für meinen Optimismus, den ich ihr auch verriet: ‚Nixon ist ein nachtragender Mensch, er vergisst nie. Wenn du ihm etwas Schlechtes antust, merkt er sich das. Aber wenn du ihm Gutes tust ebenfalls. Er hat zuerst die Präsidentschaftswahlen verloren, dann die Wahlen in Kalifornien. Jeder dachte damals, dass seine politische Karriere zu Ende sei. In allen Ländern, die er anschließend bei einer privaten Weltreise besuchte, wurde er ignoriert. Israel jedoch hat ihn wie einen König behandelt. Ich verspreche dir, er wird dir geben, was du willst. Er hat das nicht vergessen.‘
Golda fuhr nach Washington, kämpfte voll Optimismus, und ihre Wünsche wurden tatsächlich erfüllt. Die Leute sagten dann zu ihr, das wäre ihr Charme gewesen.“
Verzeiht uns Jesus Christus
„Ich war auch persönliche Beraterin von Kardinal König bei seinen Kontakten zur Jugend hinter dem Eisernen Vorhang. Eines Tages sagte er: ‚Ich bekomme von dieser Frau mehr Beratung an einem Tag, als von meinen offiziellen Beratern in einem Jahr.‘ Da wurde ich richtig übermütig und sagte zu ihm: ‚Eminenz, wenn wir Juden euch versprechen würden, niemals wieder einen Jesus Christus auf die Welt zu bringen, würdet ihr uns dann endlich den ersten verzeihen?‘ Die Umstehenden waren entsetzt, König hingegen schaute mich an, er hatte so Lachwinkel um die Augen und sagte: ‚Eine gefährliche Frau‘ … Er hatte einfach Sinn für Humor.“
Hillary Clinton
„Hillary Clinton ist eine herrliche Frau. Ich bin bei einer Gruppe von ,wichtigen Weibern‘, genannt ‚Women’s Forum‘, einem Netzwerk, das wir gegründet haben, um anderen Frauen zu helfen. Einmal wurden wir von Hillary Clinton, damals ‚First Lady‘, ins Weiße Haus eingeladen. Sie sagte bei ihrer Rede unter anderem: ‚Als ich Anwältin in Arkansas war, konnte ich nicht in solche Netzwerke einsteigen, weil ich einfach nicht wichtig genug war. Schön, dass ich jetzt bei euch sein darf.‘ Ich fand es wunderbar, dass sie so offen darüber reden konnte. Sie ist eine bodenständige, eine wirklich bemerkenswerte Frau. Ich hoffe sehr, dass sie die erste weibliche Präsidentin der USA wird.“
Donald und Ivana
Von Donald Trump, der in New York in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft lebt, hält sie hingegen weniger: „Er ist ein Idiot, ein brillanter Idiot, der sich mit PR auskennt. Seine Ausführungen zeigen von Hybris. Aber er hatte eine hübsche, wunderbare Frau aus der Tschechoslowakei namens Ivana. Sie war eine sportliche Frau. Sie lernte ihn in Kanada bei den Olympischen Spielen kennen. Die beiden heirateten und sie arbeitete wie ein Pferd.
Ich war Vorsitzende einer Organisation namens Akim, die geistig behinderte Kinder in Israel unterstützt. Wir haben immer wieder prominente Sponsoren geehrt. Einmal schlug ich vor, Ivana Trump auszuwählen und die Ehrung im Plaza Hotel abzuhalten. Ein Hotel, das sie berühmt gemacht hat. Und sie war damals ja auch selbst eine Berühmtheit. Es kamen dreimal so viele Leute zum Lunch, wie bei den vorhergegangen Fundraising-Partys. So kamen wir zu Geld, das wir für die Kinder brauchten. Sie ist ein einfacher Mensch. Sie sagte zum Beispiel: ‚Wissen Sie, Amerika ist ein wunderbares Land. Sie können hier alles erreichen, wenn sie nur fleißig arbeiten.‘ Leichter ist es freilich, wenn man einen reichen Kerl heiratet, der viel von PR versteht. Jedenfalls hat sie das Hotel zum Erfolg geführt.“
Wie Jimmy Carter zu den Menschenrechten kam
„Während der ersten UNO-Weltfrauenkonferenz, die 1975 in Mexiko stattfand, geschah etwas Unfassbares. Die Frauen beschlossen eine Resolution, die im großen Plenum der UNO vorher immer abgelehnt worden war, nämlich dass Zionismus gleichbedeutend mit Rassismus sei. Um das zu bekämpfen, gründete ich das ‚Internationale Komitee Frauen für Frauenrechte‘. Ich nannte es so, weil Mrs. Roosevelt das ‚Komitee für Menschenrechte der UNO‘ leitete. Viele berühmte Frauen unterschrieben daraufhin eine Petition gegen diese Resolution. Bei einem Lunch begegnete ich Rosalynn Carter, deren Mann gerade für die Präsidentschaft kandidierte. Sie fragte, ob sie die Petition auch unterschreiben und ihrem Mann Jimmy geben dürfe. Das geschah dann auch. Und Carter machte später die Menschenrechte zu einem der Themen seiner Präsidentschaft. So passieren Dinge. Mir sagte einmal jemand: ‚Du kannst die Welt lenken, wenn es dir egal ist, wer die Ehre einheimst.‘“
Vier Mal 22 Jahre
Auf das Alter will Erika nicht so gerne angesprochen werden. Sie sei vier Mal 22 Jahre alt und werde weiterhin arbeiten: „Man studiert hundert Jahre und ich soll aufhören?“
Etwas aber hat sich für Erika geändert. Die Erinnerungen an die Kindheit beginnen zu schmerzen: „Als ich ein kleines Kind war, war ich wie alle Kinder. Du tust einfach, du gehst, du folgst. Man folgt und man lernt. Das andere blendet man aus. Aber jetzt ist es anders. Vermutlich, weil die Kräfte zur Verdrängung nicht so stark sind wie die Muskeln. Jetzt bin ich manchmal traurig über Ereignisse, von denen ich nie wusste, dass sie mich traurig gemacht hatten. Als wir die Frau in Gold im Kino sahen und das Marschieren und die Fahnen, die Musik, musste ich auf einmal zu weinen beginnen. Es wieder zu sehen, machte mich etwas fühlen, was ich die ganze Zeit nie gefühlt hatte.“
Erika sitzt im Burgenland, auch nach vier Stunden intensiven Erzählens immer noch topfit und vergnügt. Ihre Visite ist zu Ende. Dabei haben wir noch gar nicht über Theodore Bikel, Elie Wiesel, Lee Strasberg, Frederic Morton und all die anderen gesprochen, die ihren Weg gekreuzt haben. Aber dazu haben wir ja noch viel Zeit, nicht wahr, Erika? – Sie lacht: „Bis 127, so alt wurde nämlich die Frau von Abraham.“