Hakenkreuze auf dem Christbaum

Die „Hochschule für Welthandel“ hat ihre kompromittierende Nazi-Vergangenheit nur schleppend aufgearbeitet – bis heute verhält sich die Forschung zurückhaltend.
Von Petra Stuiber

Erst schauten alle weg – wie immer. Dann schauten plötzlich alle hin. Und sahen nur ihn, den einen Fall, den besonders schlimmen – und damit war der Blick wieder verstellt auf das große, ganze, das grausam „Normale“ und Übliche. Das „Übliche“ war, dass an der „Hochschule für Welthandel“, der heutigen Wirtschaftsuniversität Wien, während der NS-Zeit eine Lehre Einzug hielt, die vor allem auf die Legitimation der verbrecherischen Expansions-Ziele des Regimes ausgerichtet war, dass im Lehrkörper personelle „Säuberungen“ stattfanden, die zahlreiche jüdische und „politische“ Opfer nach sich zogen, und unter den Professoren Leute waren, die noch nach dem Zweiten Weltkrieg mit autoritärem und antisemitischem Gedankengut sympathisierten. Die „Welthandel“ konstituierte sich nach Kriegsende neu – doch die Wunden von damals, die eigene, teils unrühmliche Vergangenheit, griff man lieber nicht an. Die Öffentlichkeit biss sich ohnehin nur am „Fall Borodajkewycz“ fest. So sollte es bis zum Jahr 1999 dauern, bis der WU-Professor Peter Berger den ersten – und bis dato letzten – umfassenden Artikel über „Die Wiener Hochschule für Welthandel und ihre Professoren 1938–1945“ publizierte. Der ist freilich detailliert, genau, interessant geschrieben – und aufschlussreich obendrein. Er zeigt ein Klima des Verdrängens, Verleugnens, einen „Prozess des kollektiven Vergessens“, den auch Albert Müller in seiner Studie über die gesamte Universität Wien im Dritten Reich konstatierte, und der die „Welthandel“ bis weit in die 1960er Jahre prägte. Der „Fall Borodajkewycz“ Am 31. März 1965 starb der 67-jährige ehemalige KZ-Häftling Ernst Kirchweger – auf einer Demonstration gegen den damals an der Hochschule für Welthandel lehrenden Sozial- und Wirtschaftshistoriker Taras Borodajkewycz. Kirchweger wurde von einem rechtsradikalen Gegendemonstranten namens Günter Kümel, Mitglied der später verbotenen Burschenschaft Olympia, so schwer attackiert, dass er zwei Tage später an den Folgen starb. Dann redeten alle plötzlich vom „Fall Borodajkewycz“. Der Mann war wiederholte Male durch antisemitische Äußerungen und sein stolzes Bekenntnis zu seiner nationalsozialistischen Vergangenheit aufgefallen. 1962 hatte ein Student namens Ferdinand Lacina die Affäre ins Rollen gebracht. Er hatte mitgeschrieben, was Borodajkewycz so sagte in seinen Vorlesungen. Etwa, dass „das Römische Reich deshalb unterging, weil der römische Pflug nicht so weit in den Boden dringt wie der germanische“. Lacinas Studienkollege und Freund Heinz Fischer veröffentlichte die Mitschriften Lacinas in der SPÖ-Zeitschrift „Zukunft“ und in der AZ im Rahmen eines Artikels über Rechtsradikalismus an den österreichischen Hochschulen. Borodajkewycz klagte Fischer, und der weigerte sich wiederum, seinen Informanten preiszugeben – Lacina war mit seinem Studium noch nicht fertig, er hatte Repressalien auf der „Welthandel“ zu befürchten. Fischer wurde in erster Instanz verurteilt – und erst Ende 1965, nach Lacinas Abschluss, gewann Fischer in letzter Instanz den Prozess. Wenige Monate nach diesem Prozess wurde der Fall Borodajkewycz wieder akut. Auslöser war ein Artikel, den er für die deutsche Wochenzeitung „Das Parlament“ geschrieben hatte. Unter dem Titel „Gedanken zum 1. September 1939 und seine Folgen“ schrieb Borodajkewycz unter anderem: „Es ist nur ein Teil der gesamtdeutschen Katastrophe, dass wir deutschen Österreicher zum zweiten Mal innerhalb einer Generation das größere Vaterland verloren haben.“ SPÖ-Abgeordnete drängten daraufhin ÖVP-Unterrichtsminister Theodor Piffl-Percevic, gegen den Welthandel-Professor ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Doch der zögerte, und Borodajkewycz nahm die Sache selbst und selbstherrlich in die Hand. In einer Pressekonferenz, die das Fernsehen in Ausschnitten sendete, bezeichnete er die österreichische Nation als „Geflunker“ und bekannte sich offen zu seiner NS-Vergangenheit: Der NSDAP sei er freiwillig beigetreten und dafür schäme er sich auch überhaupt nicht. Erst danach brach ein Sturm des Protestes los und der Geschichtsprofessor war endlich Geschichte. Lacina beschrieb 40 Jahre später gegenüber dem „Standard“ das geistige Klima an der „Welthandel“ als „sehr eindeutig ausgerichtet“: „Von autoritär bis faschistisch.“ Und er berichtete von Borodajkewycz’ „personellem Umfeld“, das ihm damals die Stange gehalten habe – junge, militante Gruppen, die daheim „Hakenkreuze auf den Christbaum gehängt“ hätten. Problematisches geistiges Klima Das „geistige“ Klima war vor allem vom damaligen Rektor Walter Heinrich geprägt, der einer der führenden Intellektuellen des Ständestaats gewesen war. Er hatte den „Korneuburger Eid“ verfasst. Heinrich verehrte das Gedankengut des Nationalökonomen, Soziologen und Philosophen Othmar Spann, des geistigen Wegbereiters des Ständestaats und Gegners von Rationalismus, Liberalismus, Materialismus und Marxismus. Lacina beschuldigte zudem den Uni-Professor Helfried Pfeifer, jenen Mann, der die juristische Fundamentierung des Anschlusses ausgearbeitet hatte, „im Hintergrund die Fäden gezogen“ zu haben – so lange, bis es zur Gewalteskalation und zum Tode Kirchwegers kam. Was die „Säuberung“ des Personals der „Welthandel“ von Juden und politisch Missliebigen betrifft, kamen den Nazis „die Verhältnisse, die ihre Vorgänger geschaffen hatten, zweifellos entgegen“, schreibt Berger. Im Professorenkollegium der Hochschule (damals am Währinger Park) war schon während der ganzen Zwischenkriegszeit kein Jude vertreten gewesen, und die fünf Extraordinarii, die nach dem „Anschluss“ aus sonstigen Gründen beurlaubt und später entlassen oder pensioniert wurden, stellten nur einen relativ kleinen Prozentsatz der Lehrenden an der „Welthandel“ dar. Die „Ständestaatler“ hatten das Sagen – Leute wie Heinrich oder Richard Kerschagl, der gerne seine ständestaatlich opportune „Abstammung aus einem alten Kärntner Bauerngeschlecht“ betonte und sich nach dem Zweiten Weltkrieg sogar als „Widerstandskämpfer“ bezeichnete. Das begründete er damit, dass er, ebenso wie Heinrich, von den Nazis aus dem Dienst entfernt wurde. Tatsächlich gab es zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ nur einen jüdischen Hochschulangestellten – den Kanzleileiter Fritz Grossmann, der sofort beurlaubt, wenig später gekündigt wurde. Für jüdische Studierende wurde ein „Numerus clausus“ eingeführt, der zum De-facto-Ausschluss vom Studium führte – dabei hatten 1920 noch knapp 53 Prozent aller Hörer als Religionsbekenntnis „jüdisch“ angegeben. Der inhaltliche Schwerpunkt der Lehre wurde „bedingungslos in den Dienst der nationalsozialistischen Großraumpolitik gestellt“ (Berger) – in Form eines „Südosteuropa“-Schwerpunkts im Studienangebot und in dem Versuch des Nazi-Rektors Kurt Knoll, ein als „Amerikakunde-Institut“ getarntes Zentrum des deutschen Auslandsnachrichtendienstes einzurichten – ein Versuch, der übrigens scheiterte. Einige der neuen fanatischen Nazi-Professoren – frühere Assistenten, die schon im Ständestaat „Illegale“ gewesen waren – „halfen“, quasi nebenberuflich, tatkräftig bei der „Arisierung“ wichtiger Unternehmen mit. Etwa Ernst Hatheyer, der den Textilkonzern Bunzl & Biach „arisierte“, oder Max Stadler, der gar mit der „Betreuung eines Sektors der Entjudungen in der Ostmark beauftragt“ war, wie es in einem amtlichen Erläuterungsschreiben aus Berlin an den damaligen Rektor der „Welthandel“ hieß. Prorektor Karl Oberparleiter, den Zeitgenossen freilich nicht als „überzeugten Nazi“ bezeichneten, organisierte den einstmals roten Paradebetrieb „Ankerbrot“ neu – nachdem dieser so gründlich „arisiert“ worden war, dass niemand mehr aus dem Unternehmen übrig war, der es sonst hätte können. Die anfängliche Begeisterung der österreichischen Nazis für die „großdeutsche Idee“ kühlte merkbar ab, als der Reichserziehungsminister ernsthaft erwog, die „Welthandel“ zu schließen – eigenständige „kulturelle Traditionen“, von denen die „Ostmark-Nazis“ träumten und die sie im ganzen „Reich“ zu verteilen trachteten, interessierten die Machthaber in Berlin wenig. Im Kriegsjahr 1943/44 brach gar ein ernsthafter Streit darüber aus, ob zu viele ausländische Studenten aus Ungarn und Tschechien das Südost-europa-Studium frequentierten. So käme es zu einer „Vermischung“ mit der Ostmark-Bevölkerung, welche die Nazis sofort unterbinden wollten. Der Grund: Die Studenten berichteten in ihren Briefen nach Hause von „Missständen im Dritten Reich“ – und das gehe nicht an. Doch dieser Konflikt blieb unausgeräumt – im nächsten Studienjahr, 1944/45, wurden sowieso alle Unis geschlossen. Gleich nach dem Krieg, schreibt Berger, habe es so ausgesehen, als wollte die „Welthandel“ mit der beeindruckenden Zahl von 59 dienstsuspendierten Professoren, Dozenten und Lehrbeauftragten „einen klaren Schlussstrich unter die kompromittierende Episode des Nationalsozialismus“ ziehen. Damit war es, spätestens ab dem „Amnestiejahr“ 1948, vorbei, aber auch schon vorher ging man Kompromisse ein. Mit Franz Dörfel wurde im ersten Friedensjahr gegen den Protest der amerikanischen Besatzungsmacht ein Mann zum Rektor gewählt, der dies schon zu Zeiten Dollfuß’ und Schuschniggs gewesen war, später als Prorektor über den Anschluss hinaus gewirkt und immerhin eine provisorische Mitgliedsnummer der NSDAP gehabt hatte. Borodajkewycz erhielt dieLehrkanzel für Wirtschaftsgeschichteausgerechnet in Nachfolge des prononcierten Nazi-Gegners Arnold Winkler – und Othmar Spanns „Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre“, ein Werk, welches, laut Berger, „das universalistische Credo des Ständestaats untermauern half“, blieb noch bis in die 1970er Jahre für Hörer aller Studienrichtungen Pflichtlektüre. All dies sowie die Verstrickungen zwischen autoritär denkenden „Ständestaatlern“ und Nazis böte Stoff genug für Studien, Artikel oder ganze Bücher. Dennoch befürchtet WU-Professor Berger, „dass mein Artikel aus 1999 der aktuellste zu diesem Thema ist“. Recherchen im Institut für Staatsgeschichte und auf der Zeitgeschichte scheinen seine Befürchtungen zu bestätigen. Die Forscherin Brigitte Lichtenberger-Fenz hat eine Erklärung für die magere Publikationslage zur „Welthandel“: „Was wir an Vergangenheitsbewältigungs-Arbeit haben, ist zumeist auf die Initiative der Unis selbst zurückzuführen.“ Das sei hiermit wärmstens empfohlen. WEB-TIPP: www.wu-wien.ac.at

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