Die Ausstellung „Auf Linie“ im Wien Museum MUSA setzt sich mit der Geschichte des Wiener NS-Kunstbetriebs auseinander. Zwei Ansichten.
Wiener Kunst von Goebbels’ Gnaden
Von Anne-Catherine Simon
Direkt neben dem Wien Museum MUSA, im Rathaus, befand sich einst das Kulturamt der Stadt Wien. Dort wurden im Nationalsozialismus Künstler gefördert, Auftragsarbeiten verteilt, Wettbewerbe ausgeschrieben. Was in Wien zu sehen sein sollte an Heldenstatuen, arischen Familienidyllen oder hakenkreuzgeschmückten Stadtbildern, wurde hier gesteuert. Stilistisch war trotz enger Grenzen so einiges vertreten. Doch eines hatten all diese unterschiedlichen Künstler gemeinsam: Sie waren Mitglieder in der von Goebbels gegründeten Reichskammer der bildenden Künste – genauer, ihrer Wiener Dependance mit Standort im Künstlerhaus. Nur wer hier aufgenommen wurde, durfte seinen Beruf öffentlich ausüben.
„Wegen jüdischer Versippung abgelehnt.“ – „Der Genannte bietet nach seinem bisherigen politischen Verhalten nicht die Gewähr dafür, dass er jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintreten wird.“ – „Die politische Unbedenklichkeit des Mannes kann nicht ausgesprochen werden.“ So lauten nur einige Beurteilungen, die man in der Ausstellung Auf Linie. NS-Kunstpolitik in Wien sehen kann.
Doch um die abgelehnten, die verdrängten, verfemten und vertriebenen Künstler geht es in dieser Schau nur am Rande. Etwas anderes lang Verdrängtes wird hier präsentiert: die Kunstpolitik im Wien der NS-Zeit und die Kunst, die damals entstand. Sie verstaubte bisher weitgehend in den Sammlungen von Wiener Museen und Archiven.
Der Schau zugrunde liegen aber gar nicht so sehr diese Bilder (auch wenn eine Auswahl davon zu sehen ist), sondern Papiere über Papiere, entdeckt und zum ersten Mal aufgearbeitet, aus der Wiener Dependance der Reichskammer. Es sind 3000 Mitgliederakten, die Aufschluss darüber geben, wie Künstler sich beworben haben, wie in der Kammer künstlerisch, politisch und „rassisch“ über sie geurteilt und beraten wurde.
Dazu gehört auch eine intensive Korrespondenz zwischen Wien und Berlin; denn die Letztentscheidung über Aufnahmen, Ablehnungen oder auch Ausnahmeregelungen traf die Goebbels unterstellte Berliner Zentrale. Deren Akten sind weitgehend verloren, deswegen sind die Wiener Bestände auch für die deutsche Forschung eine Entdeckung.
Sie fanden sich im Archiv der Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs, die sie mit Kriegsende übernommen hatte. Deren Leiter, Karl Novak, hat sie alle geordnet und mittels digitaler Datenbank erschlossen. Auf Grundlage dieses Materials schrieben die Kunsthistorikerinnen Ingrid Holzschuh und Sabine Plakolm-Forsthuber ihr Buch Auf Linie. NS-Kunstpolitik in Wien. Auf dieser Forschungsarbeit wiederum beruht die Ausstellung.
Einzelne Künstlerbiografien findet man hier, anders als im Buch, nur wenige. Die Schau konzentriert sich sinnvollerweise darauf, die wichtigsten Züge, Mechanismen und Akteure des Wiener NS-Kunstbetriebes intellektuell und zugleich sinnlich lebendig zu veranschaulichen. In einem teils depotartig bunt vollgeräumten Ambiente gelingt ihr das auch. So schlimm wie aus heutiger Perspektive bizarr, was man hier alles zu sehen bekommt: die Fragebögen über (un)arische Großeltern oder (un)arische Kinder, ideologische Reinheitsbeteuerungen und Denunziationen, fast schon mittelalterlich aussehende Gobelins mit NS-Slogans, hünenhafte Sportler, Pferde, Adler …
Es beginnt mit einer doppelten Entrée: einerseits zur Oskar-Kokoschka-Ausstellung, die zunächst von der – bereits vor dem „Anschluss“ nazifreundlichen – Secession hintertrieben wurde, bevor sie 1937 doch noch stattfand. Andererseits der Kunstwettbewerb der Olympischen Sommerspiele in Berlin, bei dem Österreich hinter Deutschland auf Platz zwei landete. Gleich danach der Ölschinken Sinkende Nacht vom Secessions-Präsidenten Rudolf H. Eisenmenger, mit dem er 1936 auf der Biennale in Venedig reüssierte. Unter ihm wurde das mit der Secession fusionierte Künstlerhaus nach dem „Anschluss“ zu einem zentralen Ort der Propaganda-Ausstellungen.
Oswald Haerdtl, Gustinus Ambrosi, Richard Teschner, Carl Auböck – auch diese klingenden Namen tauchen hier auf. Österreichische Künstler aus Hitlers und Goebbels’ „Gottbegnadeten“-Liste werden ebenso vorgestellt wie Personen aus der Sonderliste der „unersetzlichen“ Künstler. Und gezeigt wird auch, wie einige ins NS-System verstrickte Künstler nach Kriegsende relativ nahtlos zu Staatskünstlern wurden.
Der Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung der Tageszeitung „Die Presse“.
G’schamig, aber dreist
Von Thomas Trenkler
Der Untertitel zur Ausstellung Auf Linie klingt spröde: Das Wien Museum beschäftigt sich im Ausweichquartier MUSA mit der NS-Kunstpolitik beziehungsweise der Reichskammer der bildenden Künste. Die MA7, die Kulturabteilung, ist schließlich eine Gründung der Nationalsozialisten: Ein halbes Jahr nach dem „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich war das neue Kulturamt unter der Leitung von Hanns Blaschke für die Museen, Archive, Theater, Büchereien usw. zuständig.
Blaschke hatte sich 1934 als NSDAP-Mitglied am erfolglosen Juliputsch beteiligt, er „arisierte“ 1938 eine Villa in Hietzing, wurde 1943 Bürgermeister und 1944 SS-Brigadeführer. Wiewohl 1948 wegen Hochverrats zu sechs Jahren Haft verurteilt, kam er bereits 1949 wieder frei. Ein typisch österreichisches NS-Täterschicksal also.
Das Wien Museum verknüpft die ideologische Arbeit des Kulturamts (darunter die Ausrichtung von Wettbewerben) mit den Aktivitäten der Reichskammer der bildenden Künste. Die Mitgliedschaft war Voraussetzung für jede künstlerische Berufsausbildung in der „Ostmark“ – und über jeden Künstler wurde eine Akte angelegt.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs übergab man diese der Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs zur treuhänderischen Verwahrung. Der im Mai 2020 gestorbene Bildhauer Karl Novak digitalisierte als Präsident der Berufsvereinigung den Bestand und erschloss ihn für die Forschung, wie Ingrid Holzschuh und Sabine Plakolm-Forsthuber im Katalog schreiben.
Matti Bunzl, der Direktor des Wien Museums, spricht nun von einem „unglaublichen Fund“, den die beiden Kuratorinnen gemacht hätten. Doch was offenbaren die Akten Erstaunliches? Dass „Volljuden“ von der Mitgliedschaft ausgeschlossen waren? Dass die Antragsteller den „Ariernachweis“ zu erbringen hatten? Dass die „politische Zuverlässigkeit“ überprüft, dass unliebsamen Künstlern die Aufnahme verweigert wurde? Dass sich andere anbiederten, um weiterarbeiten zu können?
Das Wien Museum peppt den Papierkram – die beiden Kuratorinnen präsentieren anhand von Dokumenten und Aktennotizen diverse Einzelschicksale – daher ordentlich auf. Mit Nazi-Kunst. Oder Kunst, die den Nazis gefiel (etwa aus der „Systemzeit“). Im MUSA sieht man viele Hakenkreuze wie künstlerisch Unerhebliches.
Matti Bunzl verknüpft mit der Präsentation die Frage, wieso die öffentliche Hand die Bewahrung der Objekte auch heute noch finanzieren soll. Dass in der NS-Zeit „gefällige Ideologie-Kunst ihren Weg in die Bestände des Wien Museums fand“, sei nicht weiter verwunderlich, schreibt Bunzl. Aber müsste es nicht einen „Denkmalsturm“ geben? Denn die Erhaltung der Objekte „kostet Geld“, er spricht sogar von „einem Vermögen“, auch wenn er den Betrag nicht zu beziffern vermag.
Anzumerken ist, dass es gerade einmal 1000 Objekte aus der NS-Zeit im Wien Museum gibt – sie machen weniger als ein Promille des Gesamtbestandes aus. So what? Die Lagerkosten können daher nicht weiter ins Gewicht fallen. Sich bloß mit einem Digitalisat zu begnügen, wie Bunzl vorschlägt, kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Denn wer mag heute zu beurteilen, welche Fragestellungen sich in der Zukunft ergeben?
Noch mehr erstaunt, dass man sich sogar Leihgaben beschafft hat (etwa aus dem MAK und dem Stadtmuseum St. Pölten), damit die Ausstellung richtig fährt. Man tut also g’schamig, setzt aber bewusst die Aura des Originals ein. Wäre es wirklich nur darum gegangen, die Strategien der Reichskulturkammer beziehungsweise des Kulturamtes zu analysieren, hätten auch Illustrationen oder Faksimiles gereicht. Die Ausstellung ist daher spekulativ, ja dreist.
Natürlich nicht ganz ungebrochen. Die Inszenierung vermittelt, dass man sich nicht die Hände schmutzig machen will. Die NS-Kunstwerke bleiben daher in den Transportkisten aus Holz. Doch in die Deckel wurden Glasscheiben eingepasst. Und auf den Kisten, zu Schreinen geworden, steht „FRAGILE“: Die Kunst, in diesem Falle die NS-Kunst, solle sorgsam behandelt werden („handle with care“). Man erreicht mit dem Ausstellungsdisplay also genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich wollte.
Der Katalog zur NS-Kunst(politik) wurde übrigens in einer Tragtasche des Wien Museums überreicht. Auf ihr steht: „Die Vergangenheit war noch nie so schön wie heute.“ Ob das zynisch gemeint war?
Dieser Text erschien erstmals im „Kurier“ und wurde für „NU“ leicht adaptiert.
„Auf Linie. NS-Kunstpolitik in Wien“
Wien Museum MUSA
Bis 24. 4. 2022