Gelobtes Land an der Seidenstraße

Rabbi und Kantor in Personalunion: Abram Borissovich Iskhakov leitet die kleine jüdische Gemeinde im usbekischen Buchara. ©Otmar Lahodynsky

Vor dreißig Jahren lebten in Buchara noch mehr als 20.000 jüdische Menschen. Nun ist die Gemeinde auf zweihundert Jüdinnen und Juden geschrumpft. Aber es kehren auch Menschen aus Israel zurück, weil sie mit dem dortigen Leben nicht zurechtkamen.

Von Otmar Lahodynsky (Buchara)

Das kleine jüdische Viertel von Buchara liegt nahe vom Zentrum „Labi Hauz“ mit Moschee, Medressen (Koranschulen) und Cafés am Teich. In der Straße nach der Werkstatt des Puppenmachers findet man den Eingang zum jüdischen Gemeindezentrum mit Synagoge. „Wir leben hier in einem islamischen Land, aber trotzdem gibt es hier eine Synagoge, eine jüdische Schule und ein koscheres Restaurant“, erzählt Abram Borissovich Iskhakov, Leiter der kleinen jüdischen Gemeinde und Rabbiner im Gespräch mit NU. „Das ist doch ein deutliches Symbol für Toleranz.“

Außer dem Schabbat werden jüdische Feste eher selten gefeiert. Die letzte Bar-Mizwa fand vor einem Jahr statt, das letzte Begräbnis vor zwei Jahren. „Es leben nur mehr etwa zweihundert Juden in Buchara. Noch vor dreißig Jahren waren wir 23.000“, sagt der 73-Jährige, der hier die Stellung hält, auch wenn seine Frau und Kinder seit Jahren in Israel leben, wo er sie regelmäßig besucht.

Der Exodus begann schon in der Sowjetunion. Über Vermittlung von Bruno Kreisky durften sowjetische Juden ab 1970 über Wien nach Israel auswandern. Die PLO versuchte dies 1973 mit einer Geiselnahme am Grenzbahnhof von Marchegg zu stoppen. Die sowjetischen Juden fuhren immer per Bahn über Bratislava weiter nach Wien, weil der Kreml direkte Flüge nach Israel oder Wien abgelehnt hatte. Der Terroranschlag verlief unblutig. Kreisky, der zu Palästinenser-Chef Arafat gute Kontakte pflegte, versprach, das Transitlager im Schloss Schönau in Niederösterreich zu schließen. Trotzdem kamen weiterhin Gruppen von Juden aus der Sowjetunion nach Wien, insgesamt 70.000. Die meisten emigrierten nach Israel, andere in die USA. 

In Usbekistan gebe es keine Anfeindungen oder Probleme, beteuert Iskhakov. „Für uns Juden ist es hier heute tausend Mal besser als in der Sowjetunion bzw. in Russland.“ Oft würden Besucher, die Buchara verlassen hätten und für einen Besuch heimkehrten, erstaunt feststellen, dass es hier so viel religiöse Toleranz gebe. Das liege vor allem an der Politik des seit 2016 regierenden und gerade wiedergewählten Staatspräsidenten, Schawkat Mirsijojew, mit dem er einen guten Kontakt pflege. Dessen Gattin sei schon hier zu Besuch gewesen.

Buchara weist imposante Moscheen und Medressen aus dem 12. bis 15. Jahrhundert auf. Auch die kleine Synagoge bewahrt zwei wertvolle, über tausend Jahre alte Torarollen, deren Texte auf Tierleder geschrieben wurden, in einem Schrank auf. Iskhakov weist darauf hin, dass hier in der UNESCO-Welterbe-Stadt an der antiken Seidenstraße schon seit dem 6. Jahrhundert v.d.Z. Juden ansässig waren. Viele von ihnen wurden damals nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem nach Babylon vertrieben und gelangten von dort weiter nach Persien und nach Buchara. Dort übten viele das Gewerbe der Geldwechsler aus, für die es einen eigenen Basar gab.

Im großen jüdischen Friedhof am Rande der Stadt sind die ältesten Gräber über tausend Jahre alt. Seit der Unabhängigkeit Usbekistans im Jahre 1991 wurden religiöse Denkmäler wieder restauriert. Der Friedhof wurde mit staatlicher Hilfe in der Höhe von 150.000 Dollar instandgesetzt. Die einige tausend Personen umfassende Wiener Buchara-Gemeinde spendete mehr als 5.000 Dollar, die Namen der Spender stehen auf einer großen Ehrentafel. Viele von ihnen kamen in den 1970er und 80er Jahren aus Israel zurück nach Wien, wo ihnen aber eine Rückkehr in die Sowjetunion verwehrt wurde. Die Kultusgemeinde unterstützte sie bei ihrem Neustart. Der Begriff „Bucharische Juden“ gilt für alle Juden aus Zentralasien.

Stolz zeigt Rabbi Iskhakov Fotos mit Prominenten aus aller Welt her. Die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright war 2001 in Buchara zu Besuch. In der jüdischen Schule sang damals ein usbekisches Mädchen, eine Muslima, ein Lied auf hebräisch für den Gast. Denn nur mehr zwanzig von vierhundert Schülerinnen und Schülern der auch bei Muslimen beliebten Bildungseinrichtung sind jüdisch. Auch Hillary Clinton kam später mit der First Lady Usbekistans hierher, oder Christine Lagarde, die heute die Europäische Zentralbank leitet.

Das jüdische Leben in Buchara ist trotz der überschaubaren Gemeinde recht aktiv. Einmal in der Woche wird koscheres Fleisch aus der Hauptstadt Taschkent herangeschafft. Das traditionelle, ungesäuerte Matze-Brot wird aus Europa importiert. Es gibt ein koscheres Restaurant. Schwierig ist es, einen Experten für die vorgeschriebene Beschneidung von männlichen Babys zu finden, doch Geburten sind in der jüdischen Gemeinde ohnehin selten. Allerdings kehrten vor einigen Jahren fünf jüdische Familien aus Israel nach Buchara zurück. Sie hätten sich mit dem Leben in Israel nicht zurechtgefunden. „Eine Rückkehrer-Familie hat hier einen Friseurladen aufgemacht, andere ein Café, manche versuchen sich in der IT-Branche“, erzählt Iskhakov.

„Jetzt möchte ich gerne einen gemeinsamen Besuch von US-Präsident Joe Biden mit Chinas Staatschef Xi Jinping organisieren“, verrät der Rabbiner von Buchara selbstbewusst, wenn auch ein wenig verschmitzt seinen wohl unrealistischen Plan. Zum Abschied singt er ein traditionelles Lied über Israel. Denn er hat noch eine weitere Funktion in der Gemeinde: Er ist auch Kantor und Chorleiter.

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