Auch in ländlichen Gefilden wagen sich Historiker inzwischen an örtliche NS-Aufarbeitungsversuche heran. Deren Perspektiven liegen zwischen Scheitern und Zittern, zeigt ein Vergleich der Projekte in den beiden Waldviertler Orten Hadersdorf und Droß.
Von Irene Brickner
„Die Gschicht ist doch seit Monaten erledigt“, wundert sich der Mann am Telefon im Hadersdorfer Rathaus. In der Welt der realen Dinge entspricht diese Aussage der Wahrheit: Im Ortsbild der 1.976-Einwohner-Gemeinde am Unterlauf des Kamps befindet sich nach wie vor kein Gedenkweg. Auch ist immer noch keine zentral angebrachte Gedenktafel an die 61 politischen Gefangenen, die in den letzten Tagen der Hitlerherrschaft an der Friedhofsmauer von lokalen Nazi-Anhängern und einer Gruppe SSler erschossen worden sind, vorhanden. Die Exekutierten waren nur Stunden früher aus dem Gefängnis Krems-Stein entlassen worden: Griechen, Jugoslawen, österreichische Nazi-Gegner sowie eine Reihe Unbekannter. Ebenso ist der Kreidestaub schon lange den Kamp hinuntergeflossen, der vergangenen April von der Feuerwehrjugend im Auftrag von Bürgermeister Bernd Toms (VP) weggespritzt worden war: Mitglieder des von der Tochter eines Erschossenen gegründeten Vereins Gedenkstätte Hadersdorf hatten die Namen der Opfer aus Protest über die Entfernung einer von ihnen angefertigten provisorischen Gedenktafel aufs Pflaster geschrieben. Toms hatte die Spritzerei damals mit notwendiger Säuberung der Straßen in Hinblick auf den bevorstehenden Palmumzug begründet. Die Pflasterwaschaktion mit ihrem historischen Zitat-Charakter hatte Proteste und harsche mediale Reaktionen zur Folge gehabt. Für eine Stellungnahme zum jetzigen Zeitpunkt war der Ortschef nicht erreichbar. Der Konflikt geht weiter Inzwischen sind die lauten Stimmen verklungen, doch im Stillen – hinter den Fassaden der Gemeinde –schwelt der Konflikt weiter: Nachkommen der Opfer und der Täter leben nach wie vor im Ort und die provisorische Gedenktafel steht seit ihrer Abmontierung durch die Gemeinde im Feuerwehrhaus. Vor wenigen Wochen forderte das Rathaus den Verein schriftlich auf, die Tafel abzuholen. Widrigenfalls werde man sie per Spedition zustellen – und dafür, ebenso wie für ihre Lagerung, Geld verlangen. Also wird der Verein die Tafel wohl der Gemeinde schenken, sagt Robert Streibel, der sich seit Mitte der 1990er Jahre beim Hadersdorfer NS-Aufarbeitungsversuch engagiert. In den Jahrzehnten davor hatte sich vor allem die KPÖ mit der „Kremser Hasenjagd“ beschäftigt. Mit Bedauern quittiert der Historiker das Scheitern des Plans, einen Gedenkweg an die Ermordeten quer durch den Ort zu errichten. Auch die politischen Verhärtungen, das Abdriften des Projekts zum grimmigen Schrebergartenstreit sind Streibel höchst zuwider. Die positiven Ansätze zur Bearbeitung lokaler Zeitgeschichte – immerhin waren 2005 eineArbeitsgruppe unter Beteiligung von Vizebürgermeisterin Lieselotte Golda (VP) gebildet und eine öffentliche Veranstaltung mit 120 Teilnehmern durchgeführt worden – sind laut Streibel in Hadersdorf großteils gestorben. Doch er wisse: Für eine solche Arbeit braucht man einen guten Magen. Droßer Projekt Zehn Kilometer weiter östlich, in Droß, ist von Scheitern nicht die Rede. Noch nicht, betont der Künstler und Lehrer Gregor Kremser, der sich in der 778-Einwohner-Gemeinde gemeinsam mit einem Berufskollegen und Streibel um kollektive Erinnerungsarbeit an ein Lager für jüdische Zwangsarbeiter aus Ungarn bemüht. Dieses hatte in den Jahren 1944 und 1945 mitten im Ort bestanden. 38 Männer, Frauen und Kinder waren damals in einem Wirtschaftsgebäude nahe des Dorfgasthauses interniert. Das Gebäude steht heute noch, selbst eine von Nazis auf die Vorderfront gemalte Parole ist noch in Ansätzen entzifferbar. Doch ob der Satz „Der Feige nur verzagt“ oder „Der Feige nur verreckt“ lautet, weiß im Dorf heute offenbar niemand mehr. Die Zwangsarbeiter wurden von einem Partieführer, dem früheren Knecht Severin Worel, täglich in den Wald gebracht, der sich zwischen Droß und Krems erstreckt. Dort mussten sie Bäume fällen, Lichtungen roden, Straßenfundamente anlegen. Knochenharte Arbeit, doch während in den Nazi-Vernichtungslagern binnen- weniger Monate hunderttausende ungarische Juden ermordet wurden, kam in dem Waldviertler Ort kein einziger der Juden ums Leben. Worel habe sich korrekt verhalten, habe keine Gewalt ausgeübt und die Arbeitskraft der Verschleppten, nachdem SS-Männer eines Tages von baldiger Erschießung sprachen, als für den Führer unverzichtbar dargestellt. Das habe er bis zur Befreiung durch die Russen mehrfach wiederholt, schilderte 1997 Moshe Wohlberg im Gespräch mit Streibel. Der in Israel lebende Mann war als Elfjähriger mit seinen Eltern, seiner Tante und deren Familie aus der kleinen ungarischen Stadt Hajdúhadház bei Debrecen nach Droß deportiert worden. Für Streibel waren die Interviews mit Wohlberg und dessen Cousine Magda Ellenbogen der Anlass, um die Ereignisse vor Ort aufzuarbeiten. Im Rahmen des von nieder-österreichischen Landesgeldern finanzierten Waldviertel-Festivals wurde der Plan neun Jahre später umgesetzt. Immerhin, so betont Projekt-Hauptverantwortlicher Kremser, handle es sich in Droß um eine wahre, positive Geschichte, eine von nicht allzu vielen aus der Nazi-Zeit. Zähe Gedenkarbeit Im Unterschied zu Hadersdorf, so Kremser, gehe es in Droß eben nicht um Generationen übergreifende Delegierung von offenen Rechnungen und Schuld. Doch trotz dieses vermeintlichen Vorteils entpuppte sich die Gedenkarbeit auch in Droß als äußerst zäh: Im April sprach sich der Gemeinderat geschlossen gegen das Projekt aus und gab auf diese Art die gesamte Verantwortung an den Geldgeber Land ab. Ein bereits angemieteter Saal im Ortsgasthaus war von einem Tag auf den anderen für eine Veranstaltung nicht mehr frei. Nur hartnäckige Vorsprachen bei Bürgermeister Andreas Neuwirth (VP) bewegten diesen schließlich doch, einen Raum im Gemeindeamt zur Verfügung zu stellen. Auch Ortschef Neuwirth war für eine Stellungnahme zu diesem Artikel nicht zu erreichen. Zeitzeugen wie der alte Dorflehrer und insgesamt an die 60 Interessierte aus Ort und Umgebung seien zu dem ersten sowie zu einem zweiten Projekttreffen im heurigen Sommer erschienen, schildert Kremser. Aus den Reihen der Kommunalpolitik habe sich niemand blicken lassen, mit einer Ausnahme: Die FP-Gemeinderätin kam, war erst alarmiert; dann brachte sie sich ein und blieb. Bei Treffen Nummer zwei entstand der Plan, einen Gedenkweg quer durch Droß anzulegen – überall dorthin, wo die ungarischen Juden gelebt und gelitten haben. Vier Tafeln sollen insgesamt angebracht werden, zwei an Orten, die sich auf Grundstücken der Bundesforste, zwei weitere, die sich auf Grundstücken der Gemeinde befinden. Die Bundesforste hätten sofort ja gesagt und angeboten, die Tafeln zu finanzieren, schildert der Projektkoordinator. Anders die Gemeinde: „Ich habe Dutzende Male bei Neuwirth vorgesprochen. Er legte sich bisher nicht fest. Er hat große Angst, dass das Droßer Projekt polarisiert, so wie in Hadersdorf.“ Gedenkweg Geradezu gebetsmühlenartig habe Neuwirth die Hadersdorfer Negativentwicklung beschworen, oftmals mit dem Beisatz: Noch dazu jetzt, vor den Nationalratswahlen. Den Gedenkweg will Kremser trotzdem am 9. September 2006 um 14 Uhr im Rahmen einer öffentlichen Begehung eröffnen. Für drei Tage davor, am 6. September, hat ihm Neuwirth einen Beschluss des Gemeinderats in Aussicht gestellt: „Wenn die Gemeinde nicht mitspielt, müssen wir eben improvisieren“, sagt Kremser.Was man aus den Hadersdorfer und Droßer Erfahrungen lernen könne? Je weniger Parteipolitik und Interessenvertretungen in ein NS-Aufarbeitungsprojekt involviert seien, umso besser, fasst Streibel seine inzwischen bereits mehrfachen Erfahrungen zusammen. Projektinteressierte täten gut daran, nur auf persönliche Kontakte und Gespräche mit Interessierten in der Bevölkerung zu setzen, denn gerade in solchen Bereichen sei das Persönliche politisch. Immer noch würden in Österreich Vorkommnisse aus der Nazi-Zeit großteils tabuisiert und der Antisemitismus sei keineswegs überwunden. Doch im Vergleich zu früheren Jahrzehnten sei es inzwischen zumindest möglich, über diese Zeit zu reden, im Unterschied etwa zu den baltischen Staaten oder Polen. Obwohl es auch bei ihm daheim noch keine 15 oder 20 Jahre her sei (Streibel ist gebürtiger Kremser), dass man sich drei Mal umgedreht habe, bevor man das Wort Jude aussprach. Um sicher zu sein, dass keiner zuhört. WEB-TIPPS: www.judeninkrems.at www.gedenkstaette-hadersdorf.at Irene Brickner ist Redakteurin beim „Standard“, wo sie unter anderem die Niederösterreich-Berichterstattung innehat. Für ihre Artikel und Reportagen über Asyl- und Flüchtlingsfragen hat die gebürtige Wienerin im Jahr 2005 den Concordia-Journalistenpreis in der Kategorie Menschenrechte erhalten.