Die erste Amtsperiode von US-Präsident Barack Obama war außenpolitisch zu einem beträchtlichen Teil von nahöstlichen Themen geprägt, allen voran dem Atomstreit mit dem Iran und den Umwälzungen in der arabischen Welt. Für Aufsehen sorgte aber auch die außergewöhnlich konfliktreiche Beziehung der Obama-Administration zu Israel. Was ist von Obamas zweiter Amtszeit zu erwarten? Ein Rück- und Ausblick.
Von Florian Markl
Wann immer im US-Präsidentschaftswahlkampf vom Nahen Osten und von Israel die Rede war, war die Obama-Administration voll des Selbstlobes: Nie zuvor habe eine amerikanische Regierung so viel für die Sicherheit des jüdischen Staates getan, lautete die nicht gerade von besonderer Bescheidenheit getrübte Selbsteinschätzung. Die bisherige Kooperation in Sicherheitsfragen sei nicht bloß weitergeführt, sondern sogar verstärkt worden. Amerikanische Unterstützung habe es Israel ermöglicht, mit dem „Iron Dome“ ein Raketenabwehrsystem zu installieren, das die ständige Bedrohung durch Geschoße aus dem Libanon und dem Gazastreifen zu mildern vermag. Und nach anfänglichen Auffassungsunterschieden herrsche auch unter israelischen und amerikanischen Geheimdiensten mittlerweile weitgehend Einigkeit in der Einschätzung des iranischen Atom(waffen)programms. Je näher die Wahl rückte, umso deutlicher wurden darüber hinaus die Erklärungen des Präsidenten hinsichtlich des Iran: Die Vereinigten Staaten würden nicht auf eine Politik der Eindämmung eines nuklear bewaffneten Iran abzielen, sondern mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Macht verhindern, dass das Mullah-Regime in den Besitz der Bombe gelange. Noch wolle man auf die Wirkung der verschärften Wirtschaftsanktionen und eine Verhandlungslösung setzen, aber die Zeit für Diplomatie sei nicht unbegrenzt und die „militärische Option“ als letztes Mittel keineswegs vom Tisch.
In einem Interview bezeichnete sich Obama als „Israels engster Freund und Verbündeter“. Weshalb man ihm in Israel trotz allem mit großer Skepsis begegnet, war dem Präsidenten unverständlich. Seiner Ansicht nach gebe es keinen Grund, an seiner unverbrüchlichen Solidarität zu zweifeln. Die Israelis sehen die Sache offenbar anders. Dass Premier Netanjahu lieber einen Wahlsieg von Obamas republikanischem Kontrahenten gesehen hätte, ist ein offenes Geheimnis. Aber er war damit keineswegs allein: Die Israelis hätten mit überwältigender Mehrheit, in manchen Umfragen war von bis zu 80 Prozent die Rede, für Mitt Romney gestimmt.
Streit über Siedlungen und Jerusalem
Im Präsidentschaftswahlkampf 2008 hatte Obama angekündigt, die Wiederbelebung des ins Stocken geratenen Friedensprozesses zwischen Israelis und Palästinensern zu einem Schwerpunkt seiner Außenpolitik zu machen. Wie die Obama-Administration gedachte, dem Friedensprozess wieder Leben einzuhauchen, wurde nach ihrer Amtseinführung Anfang 2009 deutlich: Praktisch vom ersten Tage an erreichten Israel Beschwerden über den Siedlungsbau, der aus Sicht der neuen amerikanischen Regierung offenbar das Haupthindernis auf dem Weg zum Frieden darstellte. Im Mai 2009 rief Vizepräsident Biden Israel auf, den Siedlungsbau zu stoppen und Außenposten im Westjordanland zu räumen. Im Sommer erklärte Präsident Obama, er fühle sich nicht an die Zusage seines Vorgängers gebunden, dass Israel im Falle eines Friedensabkommens große Siedlungsblöcke behalten werde können. In seiner Kairoer Rede an die muslimische Welt erklärte er im Juni 2009: „Die Vereinigten Staaten betrachten den fortgesetzten Bau israelischer Siedlungen nicht als legitim. … Es ist an der Zeit, dass diese Besiedlung aufhört.“ Unter kontinuierlich wachsendem Druck verkündete Israels Premier Netanjahu schließlich im November 2009 ein zehnmonatiges Moratorium für den Siedlungsbau im Westjordanland.
Anders als von Obama gefordert, bezog sich dies jedoch nie auf Bauaktivitäten in Jerusalem. Als just während eines Besuches von Vizepräsident Biden im März 2010 der Bau von 1600 Wohnungen im Ostteil der Stadt bekannt gegeben wurde, sorgte dies für einen neuen Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen Jerusalem und Washington. Außenministerin Clinton bezeichnete das Bauprojekt in einem rüden Telefonat mit Netanjahu als Provokation und drohte mit ernsten Konsequenzen, sollte die Entscheidung nicht revidiert werden. Doch in diesem Punkt blieb Netanjahu hart. „Das jüdische Volk“, so betonte er in einer Rede, „hat vor 3000 Jahren in Jerusalem gebaut, und es baut heute in Jerusalem. Jerusalem ist keine Siedlung. Es ist unsere Hauptstadt.“
Als der israelische Premier Ende des Monats das Weiße Haus besuchte, fiel der Empfang mehr als frostig aus. Es gab keine gemeinsamen Fotos und keinen gemeinsamen Auftritt vor der Presse. In der Washington Post war zu lesen, Netanjahu sei wie der Diktator eines Dritte- Welt-Landes behandelt worden. Hinter verschlossenen Türen soll Obama seinem israelischen Gast eine Liste mit Forderungen hingeknallt haben, die Israel zu erfüllen habe, um die Situation zu deeskalieren. Michael Oren, der israelische Botschafter in den USA, sprach von der schwersten Krise der amerikanisch- israelischen Beziehungen seit 35 Jahren.
Zum nächsten Showdown kam es anlässlich einer Rede Obamas im Mai 2011, in der er die „Grenzen von 1967“ zum Ausgangspunkt von Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern machte. Nicht nur wäre ein Israel in diesen „Grenzen“, den Waffenstillstandslinien am Ende des Unabhängigkeitskrieges, nicht gegen äußere Aggression verteidigbar, sondern erneut wäre Jerusalem eine geteilte Stadt, in der sich nicht einmal die Klagemauer unter israelischer Kontrolle befinden würde. Noch im Wahlkampf 2008 hatte Obama erklärt, Jerusalem müsse die ungeteilte Hauptstadt Israels bleiben, jetzt erinnerte nichts in seiner Ansprache an die von ihm selbst einst vertretene Position. Netanjahu jedenfalls nutzte die Gelegenheit eines gemeinsamen Presseauftrittes im Weißen Haus nur wenige Tage danach, um Obama vor laufenden Kameras darüber zu belehren, weshalb es keine Rückkehr zu den „Grenzen von 1967“ geben könne – das Gesicht des Präsidenten sprach derweilen Bände über die Abneigung, mit der er dem israelischen Premier begegnete.
Die Versuche Obamas, Israel unter Druck zu setzen und zu Zugeständnissen zu bewegen, hatten insofern etwas Surreales an sich, als die Wiederaufnahme von Verhandlungen nicht an Jerusalem scheiterte, sondern an Ramallah. Aus einer Reihe von Gründen war die Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) – selbst nach dem israelischen Siedlungsbau-Moratorium – nicht willens, in substanzielle Verhandlungen einzutreten. So die Vorstöße der Obama-Administration überhaupt einen Effekt hatten, verhärteten sie die Haltung der palästinensischen Führung noch weiter, da diese nicht nachgiebiger gegenüber dem jüdischen Staat auftreten wollte als dessen amerikanischer Verbündeter. Mit der Entscheidung, eine staatliche Anerkennung Palästinas bei den Vereinten Nationen erwirken zu wollen, setzte sich PAPräsident Mahmud Abbas darüber hinaus über die expliziten Einwände der Obama-Administration hinweg, die diesen Schritt als einen Verstoß gegen die Grundsätze des Oslo-Friedensprozesses betrachtet.
Die iranische Gefahr und die Umbrüche in der Region
Das zweite Thema, das immer wieder für Schlagabtäusche zwischen Jerusalem und Washington sorgte, war der Umgang mit dem iranischen Nuklearprogramm. Für Israel ist dies eine existenzielle Bedrohung, der mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln begegnet werden muss. Die Herangehensweise der Obama-Administration wurde mit großer Skepsis betrachtet. Kaum jemand glaubte, dass die Politik der „ausgestreckten Hände“, mit der Obama auf die Mullahs zugehen wollte, zu einer Lösung des Konflikts führen würde. Die Hoffnung auf einen Deal mit Teheran wurde als illusorisch und als gefährliche Zeitverschwendung betrachtet. Die Warnungen vor einem übereilten israelischen Vorgehen, die ständig aus amerikanischen Militär- und Geheimdienstkreisen lanciert wurden, sowie die Weigerung Obamas, dem Iran deutliche „rote Linien“ zu ziehen, hinterließen in Israel oftmals den Eindruck, die Amerikaner würden mehr Energie darauf verwenden, Israel von einem Militärschlag abzuhalten, als den Iran an der Entwicklung der Bombe zu hindern. Zwar wurde die jüngste Verschärfung der Wirtschaftssanktionen gegen den Iran in Israel begrüßt, doch ist die Befürchtung groß, dass dieser Schritt schon vor Jahren erfolgen hätte müssen und es einfach schon zu spät sei. Offiziell wird neuerdings zwar weitgehend Einigkeit beschworen, doch inoffiziell wird der Beteuerung Obamas, im Falle eines Scheiterns der Diplomatie notfalls militärische Gewalt gegen iranische Atomanlagen einzusetzen, nicht recht Glauben geschenkt.
Auch Obamas Umgang mit den Umwälzungen in weiten Teilen des Nahen Ostens wurde in Israel eher misstrauisch verfolgt. Während er nach der iranischen Präsidentschaftswahl 2009 wochenlang geschwiegen und der iranischen Opposition jegliche Unterstützung versagt hatte, als diese vom iranischen Regime brutal niedergeschlagen worden war, schlug er sich in Tunesien und Ägypten rasch auf die Seite der Demonstranten, stellte sich gegen die diktatorischen, immerhin aber pro-westlichen Herrscher und trug damit das Seine zur Machtergreifung der islamistischen Muslimbrüder bei. Anders wiederum im Falle Syriens: Obwohl ein Sturz des Assad-Regimes eine massive Schwächung des anti-westlichen iranischen Lagers im Nahen Osten bedeuten würde, ließ Obama seinen gelegentlich scharfen Worten in Richtung Assad bislang kaum Taten folgen. Eine konsistente amerikanische Politik gegenüber Syrien ist bis heute nicht zu erkennen.
Auf Unverständnis trifft in Israel schließlich noch die enge Beziehung, die Obama mit der islamistischen Regierung in der Türkei pflegt. Premier Erdogan, so Obama, sei ein enger Verbündeter und Freund, mit dem er in vielen Fragen einer Meinung sei. Dass Erdogan bewusst die vormals guten israelisch- türkischen Beziehungen zerstört hat sowie ganz offen mit der islamistischen und antisemitischen Terrorgruppe Hamas sympathisiert, scheint den amerikanischen Präsidenten nicht zu stören.
Und nun?
Bei allen Unstimmigkeiten der letzten Jahre sollte nicht übersehen werden, dass es sich dabei nicht um eine Krise des israelisch-amerikanischen Verhältnisses an sich handelte, sondern um Auseinandersetzungen mit der Regierung Barack Obamas. Der Präsident unterscheidet sich, wie der langjährige amerikanische Nahost- Unterhändler Aaron David Miller in Foreign Policy bemerkte, in einem Punkt von seinen Vorgängern Bill Clinton und George W. Bush: „Obama isn’t in love with the idea of Israel.“ Für die amerikanische Öffentlichkeit scheint das jedoch nicht zu gelten. Meinungsumfragen zufolge waren die Amerikaner noch nie so eindeutig pro-israelisch orientiert wie heute. Das trifft auch auf den überwiegenden Teil des politischen Spektrums zu. Als Netanjahu im Mai 2011 vor dem amerikanischen Kongress sprach, wurde er so herzlich empfangen, wie vermutlich noch kein ausländischer Repräsentant zuvor. Seine Rede wurde nicht weniger als 59 Mal durch stehende Ovationen unterbrochen – ein deutliches Zeichen nicht zuletzt auch in Richtung des Präsidenten, dessen Scharmützel mit Netanjahu in den USA nicht gerade zu seiner Popularität beitrugen.
Allgemein wird davon ausgegangen, dass amerikanische Präsidenten sich in ihrer zweiten Amtszeit mehr auf die Außenpolitik konzentrieren. Hier habe sie freiere Hand als auf innenpolitischem Terrain, wo ihre Macht wegen der stark ausgeprägten Gewaltenteilung in vielerlei Hinsicht beschränkt ist. Sollte das auch für Obama gelten, so prophezeiten einige Kommentatoren, werde er einen erneuten Anlauf zur Wiederbelebung des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses unternehmen. Dies scheint jedoch aus mehreren Gründen fraglich zu sein. Obamas bisherige Vorstöße in diese Richtung waren, wie selbst wohlmeinende Kritiker zugeben, glatte Fehlschläge. Weder haben sie zur Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen geführt (sondern diese eher noch unwahrscheinlicher gemacht), noch hatte der einseitige Druck auf Israel den erhofften Effekt auf das Ansehen der USA in der arabischen Welt – Obama ist dort einer Umfrage zufolge sogar noch unbeliebter als Bush während dessen zweiter Amtszeit. Darüber hinaus haben die regionalen Umwälzungen und der Siegeszug des sunnitischen Islamismus die Chancen auf eine Lösung des Konflikts weiter gemindert; sie sind heute noch geringer als zu Obamas Amtsantritt vor vier Jahren. Etliche amerikanische Präsidenten wollten bereits als Friedensstifter im Nahen Osten in die Geschichte eingehen, samt und sonders sind sie daran gescheitert. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde es Obama nicht anders ergehen.
In die Geschichte könnte er dennoch eingehen, wenn auch auf weniger rühmliche Art und Weise: Schon seine erste Amtszeit war geprägt vom wahrscheinlich größten Machtverlust der USA im Nahen Osten seit der iranischen Revolution 1979. Noch hat Washington keine Antwort auf die Wende gefunden, die die arabische Welt erschüttert hat. Doch das könnte in den kommenden Jahren durch die absehbare Zuspitzung des Atomstreits mit dem Iran noch deutlich in den Schatten gestellt werden. Mehrfach hat Obama angekündigt, er werde das iranische Regime daran hindern, in den Besitz von Nuklearwaffen zu kommen. Nun wird sich zeigen müssen, ob er diesen Worten auch Taten folgen lassen wird. Wenn nicht, wird man sich an Obama als jenen Präsidenten erinnern, unter dessen Augen das Mullah-Regime in Teheran an die ultimative Waffe gelangte und damit in der volatilsten Region der Welt einen atomaren Rüstungswettlauf in Gang setzte.