Von Erwin Javor
Wien ist anders, habe ich gelernt. In letzter Zeit habe ich auch wieder einmal gelernt, dass das nicht unbedingt ein Kompliment ist. Traditionell äußert sich die Stadt Wien nie zu außenpolitischen Fragen, und das ist auch eine korrekte Vorgehensweise, weil das fällt nicht in die kommunalen Zuständigkeiten, sonst hätte die Stadt ja einen Außenminister. Wenn es um Israel geht, ist natürlich auch wieder alles anders. Erstmals fühlte sich der Wiener Gemeinderat bemüßigt, die Stürmung der Flotte nach Gaza offiziell und einstimmig zu verurteilen und zwar wenige Stunden nach dem Vorfall, ohne alle Informationen haben zu können, nur basierend auf einigen ungesicherten medialen Informationsfetzen. Wenn ich es nicht besser wüsste, müsste ich annehmen, dass es sich angesichts der Einstimmigkeit dieses Beschlusses bei sämtlichen Wiener Gemeinderäten um direkte Nachkommen von Karl Lueger handelt. Ganz abgesehen davon, dass diese Aktion von mäßiger außenpolitischer Finesse und Wirkung zeugt, wäre ich ja schon froh, wenn meine Stadtregierung wesentlich weniger komplexen Problemen gewachsen wäre:
Wenn ich in Wien aus dem Haus gehe und die Straße überquere trete ich, wie Millionen anderer Wiener, unweigerlich in Hundescheiße. Ja, in Wien ist und bleibt sogar das schon, seit Jahrzehnten, ein unlösbares Problem.
In Tel Aviv lebe ich in einer Straße, die von wunderschönen alten Bäumen umrahmt ist, die, so wie der Wiener Asphalt von Hunden, von Fledermäusen sehr geliebt werden. Die sitzen in diesen Bäumen, essen die üppig sprießenden Beeren, und dann spucken sie den Rest wieder aus und zwar auf die entsprechend den Vorschriften der Stadt Tel Aviv, der „White City“, stets weißen Häuserwände.
Es gibt drei Methoden, dieser verunstaltenden Unsitte des Flattergetiers Herr zu werden. Die effizienteste, da sie gegen Fehlschläge völlig abgesichert ist, ist, sich damit abzufinden und die angespuckten Wände zu ignorieren. Eine weitere Methode, die von mir, als technisch hochversiertem Experten, gewählt wurde, ist die der Tierquälerei. Die Fledermäuse werden von mir mit einem für Menschen unhörbaren, aber für sie unerträglich schmerzhaften, hohen Ton beschallt, der sie dazu inspirieren soll, die Bäume vor meinem Haus zu verlassen und zum Spucken zum Nachbarn zu fliegen, der sich für die Methode des Ignorierens entschlossen hat. Ich muss zugeben, dass trotz meiner ausgefeilten und sündteuren Anlage die Wirkung ausbleibt, denn offenbar sind meine Fledermäuse taub oder Masochisten, die die Beschallung genießen. Für die dritte Methode haben sich unsere Nachbarn von gegenüber entschieden. Das wissen wir mit Sicherheit, weil wir sie von unserer Wohnung aus genau im Visier haben. Oder besser gesagt: die uns. Diese Methode versucht nämlich der Fledermäuse durch Flutlicht Herr zu werden. Sie werden nicht ignoriert, nicht beschallt, sondern nächtens in gleißendes Scheinwerferlicht getaucht. Unglücklicherweises scheint der 100.000 Volt-Strahler nur marginal auf die Fledermäuse, hauptsächlich dagegen in unser Schlafzimmer, sodass wir das ganze Jahr die weißen Nächte von St. Petersburg genießen dürfen.
In anderen Worten: Irgendwie hilflos sind sie alle. Die Stadt Wien gegen die Hundescheiße, Tel Aviv gegen spuckende Fledermäuse. Aber im Gegensatz zur Gemeinde Wien mischt sich Tel Aviv zumindest nicht in die österreichische Außenpolitik ein. Das hat den unschätzbaren Vorteil, dass potenzielle Ahnungslosigkeit zumindest nicht ans Licht kommt.