Der Fisch und der Vogel können sich verlieben, aber wo bauen sie ihr Nest? So beschreibt Richard Powers in seinem Roman „Der Klang der Zeit“ die Zerrissenheit ungleicher Paare hinsichtlich Religion und Abstammung. Aber sind Mischehen bzw. -partnerschaften in unserer aufgeklärten Gesellschaft tatsächlich noch problematisch?
Aus meiner persönlichen Sicht und aufgrund meiner Erfahrungen kann ich diese Frage vorweg mit einem Nein beantworten. Dennoch hätten sich meine Eltern – trotz säkularer Erziehung und hinter vorgehaltener Hand – wohl eine jüdische Schwiegertochter gewünscht, obwohl sie, wie alle guten Eltern, nur die Beste für mich wollten, also die Eine, mit der ich glücklich werden sollte. Allerdings brauchte es kein Statistikstudium, um zu erkennen, dass meine Chancen bezüglich adäquater Partnerin gleicher Abstammung gering waren.
Vor meinem geistigen Auge erschien mir damals der Stephansplatz zu Silvester. Ich entfernte aus der Menschenmasse zuerst die Touristen, danach männliche Besucher, von den übriggebliebenen Österreicherinnen schließlich noch jene unter 16 und über 22 Jahren. Da war es bereits eine überschaubare Menge, mit welcher Silvester sogar am Stephansplatz gemütlich hätte werden können. Ich bat nun – natürlich immer noch in Gedanken versunken – jene jungen Frauen sich zu entfernen, die nicht jüdischer Abstammung waren. Und da standen sie nun, die drei Mädels, die ich zur Auswahl hatte. Die erste war bereits verheiratet, die zweite orthodox und die letzte Chance, die dritte – tja, oh je, sie war ganz und gar nicht attraktiv. (Auf die Frage, was eine orthodoxe junge Jüdin zu Silvester am Stephansplatz macht, wollen wir hier nicht näher eingehen.)
Ob dieser ernüchternden Erkenntnis legte ich also bis zum nach heutigen Maßstäben biblischen Alter von 18 Jahren selbst Hand an mich, selbstverständlich immer hinterfragend, ob das ein guter Jude überhaupt darf. Aber wen hätte ich auch fragen sollen, unseren Rabbiner vielleicht? Ich holte mir letztlich den Segen G’ttes, welcher mir dann zum Zeichen seines Wohlwollens – und für das meiner Eltern – keine Schickse schickte. Meine erste Freundin also, und gleich Jüdin! Diese Beziehung währte nicht lange, mangels Erfahrung und Sensibilität versenkte ich sie bereits nach wenigen Monaten. Jetzt lebt sie, soviel ich weiß, mit ihrer langjährigen Partnerin in Wien (Anm. d. Verf.: Es handelt sich um keinen Druckfehler).
Geheiratet habe ich im Alter von 25 Jahren eine schicke Schickse, die mir zwei wunderbare Buben schenkte. Ich lernte sie nicht zu Silvester am Stephansplatz kennen, sondern im Tennisverein. Wir konnten auch unser Nest problemlos bauen, obwohl meine Ex-Frau im Sternzeichen ein Fisch ist und ich in gewisser Weise ein Vogel bin beziehungsweise zumindest einen habe. Insbesondere meinen Schwiegervater schätzte ich als gebildeten, humorvollen und dem Judentum gegenüber aufgeschlossenen Menschen. Seitens beider Schwiegereltern gab es ein durchaus gutes Einvernehmen mit meinen Eltern, welches allerdings durch die bevorstehende Beschneidung unseres Erstgeborenen eine veritable Krise erfuhr. Mein Vater bestand natürlich vehement darauf, dass sein Enkel beschnitten würde, was die ebenso vehemente Ablehnung des Rituals seitens der Kindesmutter zur Folge hatte, nicht zuletzt deswegen, da ich selbst ja sonst jüdische Rituale und Feiertage nicht lebte. Ich verstand beide, genau das war mein Problem. Aber hätte ich denn bereits bei der Partnerwahl diesen bevorstehenden Konflikt verhindern sollen? Etwa gleich beim ersten Kennenlernen mit der Türe ins Haus fallen und sagen: „Ich bin Ronni, Jude, und meine Kinder werden beschnitten, basta“? Exkurs: Als ich nach meiner Ehe in einer Online-Partnerbörse auf Suche war und Mails mit einer potenziellen Kandidatin austauschte, outete ich mich vor dem ersten Date als golfspielender Jude. Prompt kam zurück, dass die Dame möglicherweise damit kulturell und weltanschaulich ein Problem hätte. Danach folgte eine Pause, dann kam: Mit einem Golfer. Diese Sache hielt dann doch einige Jahre.
Zurück zur Ehekrise. Mein Schwiegervater vermittelte damals mit Feingefühl und trug diplomatisch zur Deeskalation bei. Er war selbst Mediziner und schlug als Kompromiss einen Chirurgen anstelle eines Mohels (Beschneiders) vor. Zudem ließ er eine Phimose diagnostizieren und konnte so seine Tochter von der Notwendigkeit des Eingriffs überzeugen. Bei meinem zweiten Sohn wollte ich mich einer solchen Diskussion nicht mehr stellen, er blieb unbeschnitten. Nun, als Erwachsene, haben beide ein entspanntes Verhältnis zum Judentum und keines zu Religion. Ich finde gut, dass sie ohne weitere Beeinflussung ihren eigenen Zugang finden konnten.
Heute lebe ich mit meiner zweiten nichtjüdischen Frau und ihrem dritten Kind glücklich im gemeinsamen Nest: Wir fühlen uns da alle wohl wie Fische im Wasser, obwohl wir Vögel sind. Karin liest zwar nicht die Tora, ist aber interessierte NU-Leserin, ein nicht unwesentliches Kriterium für mich. Wir fühlen uns reich inmitten unserer großen wunderbaren Patchwork-Familie samt Karins beschnittenem Schwiegersohn. Er ist Moslem. Meine Frau ist sehr tolerant, wir haben – ausgenommen unsere Abstammung – vieles gemeinsam, wir meiden zum Beispiel beide den Stephansplatz zu Silvester. Nur ab und zu wage ich mich heimlich auf den Golfplatz, schließlich hat ja jeder seine dunklen Seiten.
Der jüdische Ehemann
Von Karin Sinai
Ich wusste es nicht. Ich war dabei, mich unsterblich in diesen wunderbaren Mann zu verlieben, ohne zu Beginn zu wissen, dass er Jude ist. Die im Nachhinein gestellte Frage: „Was hätte es geändert, hätte ich es zuvor gewusst?”, kann ich ganz einfach beantworten: Gar nichts! Ich hätte mich in jedem Fall in ihn verliebt, egal ob Jude, Christ, Moslem oder was auch immer. Was hat die Erkenntnis, dass er Jude ist, dann mit mir gemacht? Wieder gar nichts! Außer dass dieser Umstand meine Neugier geweckt und somit zu unerschöpflichem Gesprächsstoff zwischen uns geführt hat.
Ja, es ist irgendwie spannend und auch etwas Besonderes, mit einem Juden liiert bzw. mittlerweile verheiratet zu sein. Seine Kindheit, seine Jugend, die Erlebnisse seiner Eltern und welchen Einfluss diese auf sein Leben, seine Gedanken und auch seine Persönlichkeit hatten und haben, nährt einen schier unerschöpflichen Pool an Fragen in mir, die der beste aller Ehemänner stets mit viel Geduld und Selbstreflexion zu beantworten bestrebt ist. Die als Buch verewigte Biografie seiner Eltern habe ich voll Interesse und Mitgefühl gelesen und abgespeichert.
In unserem Alltag merkt man – abgesehen von den erwähnten einschlägigen Gesprächen – nichts von unserer Mischehe, wohl auch deswegen, weil wir beide uns zwar als traditionell, aber nicht als religiös sehen. Die Feiertage (jüdischen und christlichen Ursprungs) gestalten sich mitunter interessant. Zum Beispiel richteten wir im vergangenen Frühling ein kombiniertes Pessach-Osterfest aus. Auf dem Festtagstisch fanden sich neben Gefilltem Fisch (zum ersten Mal in meinem Leben, dementsprechend haben sie auch geschmeckt) und Matzeknödelsuppe unter anderem auch Schinken im Brotteig samt Ostereiern. Trotz dieser spannenden kulinarischen Variationen war es eine wunderbare Multikulti- Familienfeier mit all unseren Kindern, inklusive muslimischem Schwiegersohn, die allesamt unsere Bemühungen einer ökumenischen Zusammenkunft würdigten und schätzten. Und darauf kommt es doch schließlich an, oder?