Fast ein jüdischer Präsident

Eine Analyse von Eric Frey

Vielleicht war es Sarah Silverstein, jene Kabarettistin, die im Internetvideo von „The Great Shlep“ junge amerikanische Juden aufforderte, ihre Großeltern in Florida zu besuchen, um sie von Barack Obama zu überzeugen – und ihnen anzudeuten, dass bei einer Stimme für „the Shvartze“ auch ein zweiter Besuch in diesem Jahr möglich sei. Aber eher war es die andere Sarah, die Millionen von unsicheren jüdischen Wählern zurück ins demokratische Lager geführt hat.

Der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain genoss unter älteren US-Juden hohes Ansehen. Und sie misstrauten Obama ob seiner Hautfarbe und übers Internet gespeisten Gerüchten, wonach er eigentlich Muslim sei. Aber als McCain im September die christliche Fundamentalistin Sarah Palin als „running mate“ auserkor, war es mit dieser Sympathie vorbei. 78 Prozent der jüdischen Stimmen gingen am 4. November an Obama, mehr als 2004 an John Kerry.

Zum Ärger über den Rechtsruck des einst so unabhängigen Senators kam die Sorge über die Wirtschaft und die eigenen Pensionen, die wegen der Finanzkrise von Tag zu Tag schrumpften. Amerikas Juden hatten sich wieder einmal als die zweit treueste Wählergruppe der Demokraten gleich nach den Afro-Amerikanern erwiesen. Bis zuletzt hatte McCain versucht, Obama als radikalen, anti-israelischen Politiker darzustellen und so doch noch an jüdische Stimmen heranzukommen. Kurz vor dem Wahltag tauchte in Mc- Cains und Palins Wahlreden der Name Rashid Khalidi auf, ein pro-palästinensischer Professor für arabische Studien an der Columbia University, den Obama flüchtig kannte.

Aber auch das nutzte nichts, denn in monatelanger Kleinarbeit war es Obama gelungen, die jüdische Bevölkerung von seiner Loyalität zu Israel zu überzeugen. Entgegen vielen Prognosen waren fast alle Unterstützer von Hillary Clinton – darunter viele Juden – nach deren Vorwahl-Niederlage zu Obama übergewechselt.

Dies war nicht nur das Ergebnis erfolgreicher Propaganda. Wer sich bei der Person Obama für mehr als seine Hautfarbe und seinen zweiten Namen „Hussein“ interessierte, der konnte einen Kandidaten erkennen, der mehr Bezug zu jüdischem Leben und jüdischer Kultur hatte als irgendein anderer Präsident der letzten 60 Jahre. Der Senator aus Illinois ist ein urbaner Akademiker, der seit Jahrzehnten zur Welt der Elite- Universitäten – Columbia, Harvard, University of Chicago – gehört und von jüdischen Kollegen und Freunden umgeben ist. Seit John F. Kennedy ist kein anderer US-Präsident so sehr zu seiner Intellektualität gestanden; und Obama versucht nicht, sie durch angeborene oder angelernte Volkstümlichkeit vor den Wählern zu verbergen. Seine multi-kulturelle und multi-ethnische Familiengeschichte – Kansas, Kenia, Hawaii und Indonesien – hat mehr Bezug zu jüdischen Lebenswelten als die Biographie weißer, protestantischer Präsidenten wie Bush, Clinton, Reagan oder Carter.

Und schließlich hat Obama mehr jüdische Berater um sich geschart als irgendein anderer Spitzenpolitiker der vergangenen Jahrzehnte. Das Hirn hinter seinem beeindruckenden Wahlkampf war David Axelrod, sein engster politischer Verbündeter aus Chicago der frühere Clinton-Berater und Kongressabgeordnete Rahm Emanuel, der Stabschef im Weißen Haus wird. Wenn Obama sein Team um sich hat, reicht es meist für einen Minjan.

Manche seiner außenpolitischen Berater stehen der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik kritisch gegenüber, nicht aber dem jüdischen Staat an sich. Obamas Politik gegenüber Israel wird wohl differenzierter sein als jene von Bush und wird nicht immer den Beifall von AIPAC und anderen jüdischen Organisationen finden. Aber das Bündnis der USA mit Israel steht unter Präsident Obama auf festem Fundament.

 

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