Der Wiener Arzt Oskar Aszmann gilt als Koryphäe auf dem Gebiet der rekonstruktiven Chirurgie. Am AKH leitet er die Interdisziplinäre Spezialambulanz für Bionische Extremitätenrekonstruktion. In Israel war Aszmann beruflich wie privat bereits häufig. Jetzt ist seine Expertise – aus traurigen Gründen – gefragter denn je.
Von Danielle Spera
Heuer im Sommer erhielt Aszmann den Anruf eines Mediziners aus den USA, Jason Souza, einem Freund, mit dem er bereits einigen Patienten international helfen konnte. Er berichtete von Brothers for Life, einem israelischen Non-Profit Verein. Die Organisation, die von israelischen Veteranen gemeinsam mit einem Rabbiner aus Seattle gegründet worden war, hilft israelischen Soldatinnen und Soldaten, die im Kriegseinsatz verletzt wurden – und zwar Hands on. Von ärztlicher bis zu psychologischer Unterstützung, Besuchen und Beistand, werden alle Bereiche abgedeckt. Souza bat Aszmann, an einer Fortbildung für israelische Ärzte teilzunehmen, um etwa 150 Ärzte und paramedizinisches Personal aus dem Bereich der rekonstruktiven Chirurgie für die derzeit herausfordernden Eingriffe zu schulen. Aktuell sind besonders viele Soldaten nach schweren Verwundungen von Amputation der Gliedmaßen betroffen. Innerhalb von vier Wochen wurde ein Programm entwickelt, das im September unmittelbar umgesetzt wurde. Es bestand aus einem akademischen Grundprogramm sowie Schulungen zur Anatomie und praktischen Übungen im Bereich der rekonstruktiven Chirurgie direkt im Krankenhaus. „Das Ziel war, Ärzte und medizinisches Personal in den Bereichen Rehabilitationschirurgie bis Orthopädie auszubilden. Zusätzlich dazu hatten wir jeden Tag am Nachmittag eineinhalb Stunden, die wir mit einzelnen Patienten verbracht haben, um Lösungen zu finden, wie wir deren Gliedmaßen besser rekonstruieren können.“, sagt Aszmann. Die Tage waren immens gefüllt. Um sechs Uhr früh wurde mit der Arbeit begonnen, vor Mitternacht war kaum an ein Ende zu denken, da die Schulungen in mehreren Spitälern durchgeführt wurden. „Die Ärzteteams im Tel Hashomer und im Hadassah Spital sind extrem engagiert und arbeiten mit vollem Herzen und seit dem 7. Oktober praktisch rund um die Uhr. Was man dort an Verletzungen sieht, ist wirklich furchtbar. Aber es ist gleichzeitig herausragend, wie engagiert sich die Ärzte um die eigenen Landsleute kümmern. Wenn man sich die Lebensläufe der einzelnen Teilnehmer von Brothers for Life anschaut, ist es wirklich herzzerreißend, es ist selten, dass man an einem Ort Menschen in dieser Qualität begegnet“. Da die Kampfhandlungen der letzten Wochen und Monate am Boden stattfinden, betreffen die Verletzungen vor allem die Extremitäten, Arme und Beine. „Wenn zum Beispiel eine Mine oder eine Rakete in Leibesnähe explodiert, sind hauptsächlich jene Körperteile betroffen, die nicht geschützt sind. Das ist auch das, was wir mehrheitlich gesehen und behandelt haben. Den Dauerstress der Ärzte, den kann man sich nicht vorstellen. Und der psychologische Terror, der ja ständig in der Luft hängt, betrifft alle Menschen in Israel. Die Tatsache, dass ein großer Teil der Bevölkerung im Norden Israels nicht zu Hause sein kann, sondern ständig in irgendwelchen Hotels und nicht im angestammten Ambiente wohnt, das hinterlässt in einer Bevölkerung schon dauerhaften psychologischen Schaden.“ Das Trauma, das der 7. Oktober ausgelöst hat, sei bei jedem Gespräch zu spüren, der Stress durch die täglichen Raketenangriffe auf Israel gewaltig.
Die Nähe zu Israel wurde auch durch seinen Mentor, einen jüdischen Professor an der Johns-Hopkins-Universität gefestigt, durch den er ein großes Netzwerk an Menschen kennenlernen durfte, das über die Jahre noch weiter gewachsen ist. Aszmann bedauert auch, dass außerhalb Israels nicht wahrgenommen werde, wie eng arabisch-israelische und jüdisch-israelische Ärzte in den Spitälern zusammenarbeiten. „Es ist dort ganz normal und selbstverständlich. Es ist ein gemeinsames Tun, beide Seiten behandeln gemeinsam Patienten, die auch von beiden Seiten kommen. Derzeit sind die meisten Patienten junge Soldaten mit schweren Verletzungen, die beide Beine oder einen Arm verloren haben, die auch psychische Betreuung brauchen. Das ist für uns, die wir in Österreich in Frieden leben, gar nicht vorstellbar“, sagt Aszmann.
Wie es den Ärzten damit geht? Hier sieht Aszmann die enorme Belastung, da man rund um die Uhr erreichbar sein muss. „Ich kenne das auch aus Österreich. Man lernt mit diesem Stress zu leben.“ Bei Raketenalarm gibt es in den Spitälern besondere Bereiche, die auch während der Luftangriffe weiter bespielt werden. So werden etwa die Kellerabteile blitzartig in Spitalsinfrastruktur umgewandelt. Oben wird dichtgemacht und dafür wird dann unterirdisch operiert und die Patienten betreut. „Es ist auch unglaublich, wie schnell Israel ambulante Spitäler aufstellen kann. Innerhalb von nicht einmal 48 Stunden wird ein funktionsfähiges Zeltspital errichtet. Das ist extrem gut organisiert.“ Hier liegt auch der Unterschied zur Hamas. In Gaza befinden sich unter den Spitälern die Terrorzentralen, in Israel ist unter den Spitälern die Notversorgung der Kranken und Verwundeten organisiert. „Ja, das ist tatsächlich bitter. In Israel hat mich der Zusammenhalt innerhalb des Landes tief beeindruckt. Das ist tatsächlich besonders, das findet man sonst kaum.“ Bei Brothers for Life ist vom CEO bis zum Sozialarbeiter, jeder in irgendeiner Form verwundet worden, durch eine Kugel oder eine Bombe. „Wenn man die Geschichten hört, dass jemand zum Beispiel seinen Freund direkt aus dem Kugelhagel gerettet hat oder man selbst sich im Kugelhagel befunden hat, also das schweißt zusammen. Israel stand vor dem 7. Oktober fast in einem Bürgerkrieg, es war innerlich zerrissen, doch durch die Umstände hat der Zusammenhalt die stärkere Kraft.“ Wie er jetzt auf seinen Einsatz in den israelischen Spitälern zurückblickt? „Ich gehe gern laufen. Nach diesem Aufenthalt dort, wo ich so viele Patienten gesehen habe, die ohne Beine im Rollstuhl sitzen, bin ich dankbar, dass ich zwei Füße und zwei Hände habe und demütig, dass wir hier in Frieden leben.“