Es geziemt sich für Juden, intellektuell zu sein

Der britische Schriftsteller Howard Jacobson über Wien, Israel und die Liebe der Juden zu Mozart, Schubert, Kaffee und Kuchen
Von Axel Reiserer, London

Wie ein roter Faden zieht sich die Frage der jüdischen Identität durch das Werk von Howard Jacobson. Von der Kritik als „britischer Philip Roth“ gefeiert, zeigt sich der 1942 in Manchester geborene Autor im Gespräch mit NU als charmanter Unterhalter, der sich gleichzeitig seiner neurotisch-witzigen Woody-Allen-Seite bewusst ist: Angesprochen darauf, dass sein jüngstes Werk „The Making Of Henry“ in England großartige Kritiken erntete, entgegnet er etwa: „Finden Sie? Ich war enttäuscht.

Ich habe viel grandiosere Ideen, wie ich gelobt werden möchte.“ Und die Tatsache, dass keines seiner zahlreichen Bücher bisher ins Deutsche übersetzt worden ist, versteht Jacobson mühelos als persönliche Kränkung: „Jeder wird übersetzt. Nur ich nicht.“

NU: In Ihrem letzten Buch gibt es überraschend viele Bezüge zu Wien. Warum?

Jacobson: Es hat mit meiner Besessenheit zu tun – die typisch jüdisch ist -, immer nach einem Zuhause zu suchen. Für Henry gibt es diesen Traum von einem Ort, wo er Wiener Kaffee und Kuchen genießen kann. Man kann über Österreich sagen, was man will, aber die Wahrheit ist, dass es einigermaßen ohne die Verknüpfung mit Deutschland existiert. Henry könnte nicht an Berlin denken, denn Berlin ist verdorben. Hingegen kann man Österreich eher als ein Land der Opfer als der Täter sehen, was immer die Wahrheit ist. Es ermöglicht den Traum eines unmöglichen Niemals-Landes der jüdischen Aufklärung, wo man die Dinge der Welt ebenso wie die Dinge des Geistes genießen kann – die Liebe der Juden für Mozart und Schubert, aber auch die Liebe der Juden zu Kaffee und Kuchen.

 

NU: Wie erklären Sie sich, dass die Frage der jüdischen Identität in Ihrem Werk immer zentraler

geworden ist?

Jacobson: Es ist für mich selbst ein Geheimnis, dass das Jüdischsein überhaupt auftaucht. Es muss in mir eingeschlossen gewesen sein. Manches davon kann ich mir selbst nicht erklären. Zum Beispiel hasse ich die Orthodoxie. Wir sollen glauben, dass wir ohne sie nicht richtig jüdisch sind. Wir sollen sie ertragen, damit sie für uns da sind und beten. Dafür können wir am Sabbat auf den Fußballplatz gehen. Orthodox sein heißt per se Banause sein, sie lesen etwa keine Bücher. Ich selbst habe Orthodoxe in der Verwandtschaft, sie fragen mich: „Warum schreibst du Bücher? Wir haben ein Buch!“ Es ist nicht leicht für mich mit den britischen Juden, wenn ich sehe, welche Spießer sie sind. Ich bin sehr streng bezüglich des intellektuellen Anspruchs des Jüdischseins. Es geziemt sich für uns Juden, Intellektuelle zu sein.

 

NU: Wo sehen Sie den Platz für einen jüdischen Schriftsteller wie Sie in der Gesellschaft?

Jacobson: Für Juden wie mich ist es wichtig, immer das Gefühl zu haben, nicht ganz dazuzugehören. Wenn ich plötzlich herausfinden sollte, dass ich dazugehöre, würde mich das umwerfen, dann würde ich nicht mehr wissen, wo ich mich befinde.

 

NU: Neben Ihren Bücher haben Sie auch Fernsehdokumentationen gemacht?

Jacobson: Ich drehte unter anderem einen Film über Judas Ischariot, in dem ich darlegte, wie das Christentum sich mit dieser Figur vom Judentum losgesagt hat, wie damit die Juden für den Tod von Christus verantwortlich gemacht wurden, absolut der größte Betrug aller Zeiten, der die Juden zu einem Paria-Volk machte und damit den Antisemitismus von Anfang an ins Zentrum des Christentums stellte. Es ist kein Zufall oder Versehen, sondern wesensbestimmend für das Christentum.

 

NU: Und das gilt immer noch?

Jacobson: Ja. Es findet neue Formen, eine davon ist die Anti-Israel-Haltung. Es ist nicht notwendigerweise antisemitisch, Israel zu kritisieren. Aber es gibt eine Menge antisemitischer Kritik an Israel.

 

NU: Wo liegt für Sie der Unterschied?

Jacobson: Ich denke, dass die intellektuelle Linke antisemitisch ist, weil sie immer noch irgendwie die Juden mit dem Kapital gleichsetzt und das marxistische Porträt des ausbeuterischen, gierigen Juden fortführt. Und man weiß es, wenn es sich um Antisemitismus handelt. Wenn man das Wort Nazi im Zusammenhang mit Israel hört, dann ist das eindeutig der Fall. Denn man kann sagen, dass Israelis Schweine sind, grausamer als Attila, der Hunnenkönig, oder die Römer – es gibt Hunderte historische Möglichkeiten für Analogien, aber wenn man ausgerechnet den Vergleich mit den Nazis macht, dann ist das Antisemitismus, denn das zielt auf den Juden im Israeli.

 

NU: Sehen Sie eine Verpflichtung der europäischen Juden, für Israel einzutreten?

Jacobson: Jeder Jude wäre verrückt anzunehmen, dass Israel nicht eine Notwendigkeit ist und immer sein wird als eine letzte Rückversicherung. Israel ist aber auch ein großes historisches Symbol für das gesamte Judentum, das in Gefahr gerät, wenn sich die religiösen gegen die weltlichen Kräfte durchsetzen. Alle jüdischen Intellektuellen müssen äußerst wachsam sein: nicht durch Nicht-jüdisch-Sein, sondern indem man auf der großen geistigen und intellektuellen Qualität des jüdischen Lebens besteht. Die Stärke des Geistes, der Witz, die Schärfe, die dialektische und kritische Leidenschaft – das sind Elemente des Jude-Seins.

 

NU: Haben europäische Juden eine Möglichkeit, zur Lösung des Nahost-Konflikts beizutragen?

Jacobson: Was es schwer macht, dass die Vernunft in Israel siegt, ist der Umstand, dass das Land unter Angriff steht. Damit meine ich nicht nur Selbstmordattentäter, sondern auch die Unterstützung für sie. Das trägt teilweise zu Israels Paranoia bei, und ich denke, man wird kaum eine ruhigere und vernünftigere Regierung als die gegenwärtige finden, solange nicht etwas gegen das Gefühl getan wird, dass Israel allein gegen den Rest der Welt steht.

 

NU: Hat der islamische Terrorismus das jüdische Leben in Europa verändert?

Jacobson: Wir haben viel mehr Angst. Jeden Tag, wenn meine Frau oder ich ausgehen, könnte es sein, dass einer von uns beiden nicht mehr zurückkommt. Im Internet finde ich mich auf moslemischen Hass-Seiten wieder. Die Anzahl dieser Seiten ist beängstigend. Die Moslems waren sehr unklug, dass sie schnell nach den Anschlägen von 9/11 behaupteten, die USA hätten das verdient gehabt, und sie haben lange gebraucht, sich davon zu distanzieren. Niemand hatte das verdient. Niemand.

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