Einfach nur Freitag oder Schabbes?

Die jüdische Autorin Alexia Weiss schildert in ihrem Debütroman „Haschems Lasso“ die Gratwanderung jüdischer Frauen in Wien zwischen streng orthodoxer und moderner Lebensweise.
Von Anna-Maria Wallner

Hanni kann mit den Frommen nichts anfangen. Konnte sie noch nie. Und das, obwohl sie während der Nazizeit von Wien nach New York fliehen musste, weil sie Jüdin war. Damals war sie noch nicht einmal 15 Jahre alt. Jetzt ist Hanni 81 und ihr Enkelsohn Daniel will heiraten. In seiner Heimatstadt Wien, in der Heimatstadt ihrer frühesten Kindheit, und nach streng orthodoxen Regeln noch dazu. Vom Taxi aus, auf dem Weg vom Flughafen in die Wohnung ihrer Tochter Laura, sieht Hanni eine jüdische Frau mit ihren Kindern: „Vier Buben, alle in dunkelblauen Hosen, weißen Hemden, am Kopf eine schwarze Kippa, aus der Hose hingen die Schnüre.“ Und obwohl Hanni mit „den Frommen“ eigentlich nie etwas anfangen konnte, denkt sie in diesem Moment bei sich: „Schön, dass es sie hier wieder gibt.“

Jüdisch sein ist nicht gleich jüdisch sein. Das lässt sich anhand dieser Passage aus „Haschems Lasso“ vielleicht am besten erklären. Jüdisch sein heißt nicht automatisch, stets mit dem Scheitel oder einer Kippa auf dem Kopf unterwegs zu sein, es heißt nicht, den Großputz vor dem Pessachfest einzuhalten und es heißt auch nicht, sich ausnahmslos an koschere Küche zu halten. Dasselbe gilt übrigens auch für den christlichen und den moslemischen Glauben. Nicht alle (um genau zu sein: die wenigsten) Christen fasten am Karfreitag und es gibt Muslime, die Alkohol trinken und Schweinefleisch essen. Dennoch, in dieser Zerrissenheit zwischen starkem Zugehörigkeitsgefühl zu einer Religion und Gemeinschaft und der Abneigung, sich einer Religion vollkommen zu unterwerfen, die wiederum Schuldgefühle gegenüber der Elterngeneration hervorruft, leben moderne jüdische Frauen heute vielleicht wieder stärker als noch vor zwanzig, dreißig Jahren. Und sie leben vor allem auch in Wien. Genau ihnen hat die freie Journalistin Alexia Weiss in ihrem Debütroman eine Art Denkmal setzen wollen, nicht zuletzt, weil sie selbst Jüdin ist und in Wien lebt (siehe Interview). Trotzdem ist der Roman, der einen kurzen Ausschnitt aus dem Alltag von sieben jüdischen Frauen darstellt, alles andere als autobiografisch geworden. Sie wollte keine zweite Lily Brett werden, betont Weiss, obwohl sie deren Bücher natürlich selbst gern gelesen hat (sowie auch eine ihrer Protagonistinnen). Sie wollte aber nicht ihre eigene Geschichte erzählen und auch nicht einen weiteren Beitrag zur Aufarbeitung der Shoah leisten, sondern sich tatsächlich ausschließlich auf die Gegenwart konzentrieren.

Die Lebenswege der sieben Frauen, die sie von Wien aus nach New York, Israel und zurück führen, sind leicht miteinander verknüpft. Hannis Enkel Daniel will etwa Desirée Altmanns Tochter Eva heiraten. Desirées Schwester Jennifer wiederum wird der streng orthodox lebenden Konvertitin Claudia Bauer anvertraut, die sie in die jüdischen Bräuche einführen soll. Es wird gestorben, geboren, umgezogen und geheiratet. Klassische Familiengeschichten also, so wie sie das Leben eben spielt. Die Religion ist wie der Zuckerguss über der Schokoladentorte, sie hält die Protagonistinnen zusammen, egal ob sie den Glauben als rettende Alltagsstütze oder eher als Klotz am Bein begreifen. Man könnte aber auch sagen: HaSchem hält für alle sein Lasso bereit, wie das schon der Titel „Haschems Lasso“ suggeriert. Ein Titel, dessen Sinn sich für das nichtjüdische Lesepublikum vermutlich nicht gleich offenbart.

Alexia Weiss
HASCHEMS LASSO
Milena Verlag 2009
Preis: Euro 19,90

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