Die Redaktion
Als 1980 das Gemeindezentrum in der Seitenstettengasse eröffnet wurde, nannte man es „Jüdisches Kulturzentrum“, und eineinhalb Jahre lang gab es mit Karin Weininger eine eigene Kulturmanagerin, die viele Veranstaltungen und Diskussionen organisierte. Danach wurde dieser Posten halbherzig neu ausgeschrieben, aber trotz vieler, auch qualifizierter Bewerbungen, nie mehr neu besetzt. Ab diesem Zeitpunkt fanden nur mehr unregelmäßige und zufällig organisierte Veranstaltungen statt, in den letzten Jahren praktisch keine mehr. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen jüdischen Gemeinden in Europa widmet sich die IKG überhaupt nicht mehr der Kulturarbeit. Die Kulturwochen und die in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum organisierten Veranstaltungen sind Ausnahmen. Nie zuvor wurde soviel über Judentum geschrieben und publiziert wie heute, nie zuvor gab es so viele Autoren, Schriftsteller, Dichter, Theologen, Judaisten und Historiker, die sich mit dem Judentum seriös und intensiv auseinandergesetzt haben. An der IKG geht das aber anscheinend spurlos vorüber. Viele Fragen drängen sich auf.
- Warum wurde der (wenn auch umstrittene) deutsch-jüdische Historiker und Publizist (nicht Schriftsteller!) Michael Wolffsohn von der österreichischen Gesellschaft für Literatur eingeladen und nicht von der Kultusgemeinde?
- Warum hielt Doron Rabinovici seinen Vortrag über den Prager jüdischen Schriftsteller Leo Perutz ebenfalls „nur“ vor der Gesellschaft für Literatur und nicht im Gemeindezentrum?
- Warum sprach Michel Friedman, Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, nur vor der ÖVP?
- Warum las der aus Pressburg stammende prominente israelische Lyriker und Übersetzer Tuvia Rübner, der Wien in den sechziger Jahren auch als Schaliach der zionistischen Bewegung kannte, vor dem Literarischen Quartier Alte Schmiede?
- Warum sprach Amos Oz im Renner Institut und im Literaturhaus und nicht im Rahmen eines von der IKG organisierten Abends?
- Warum las die israelische Autorin Batya Gur bei den Wiener Festwochen, nicht aber auch in einem jüdischen Rahmen?
- Warum sprach der prominente israelische Schriftsteller A. B. Yehoshua j.ngst in Basel oder in Deutschland (u.a. mit Doron Rabinovici), ohne nach Wien eingeladen zu werden?
- Warum trat der Literaturprofessor an der Yale University und Project Director der Yale Video Archives for Holocaust Testimonies Geoffrey H. Hartman im Wiener Literaturhaus auf und nicht im Gemeindezentrum?
- Warum besucht die prominente amerikanische Historikerin und Spezialistin f.r Shoah und die Geschichte des Antisemitismus mit österreichischen Wurzeln Sybil Milton regelmäßig österreich, ohne je zu einem Vortrag eingeladen zu werden? Ähnliches könnte man übrigens auch über die Besuche des gebürtigen Wieners Raul Hilberg sagen.
- Warum wurden der aus Prag stammende amerikanische Literaturwissenschaftler Peter Demetz, der sich intensiv mit jüdischer Literatur befasste, und der damalige Direktor des Instituts für deutsch-jüdische Geschichte in Tel Aviv Dan Diner während ihrer langen Wien-Aufenthalte nie eingeladen?
- Warum besuchten und besuchen der israelische Literaturwissenschafter Gershon Shaked und der amerikanische Schriftsteller Frederic Morton – beide gebürtige Wiener, die sich auch intensiv mit ihrer Geburtsstadt auseinandersetzten – wiederholt Wien, ohne eingeladen zu werden?
Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Doch die vielen Versäumnisse oder verlorenen Gelegenheiten werden deutlich. Die erwähnten Veranstaltungen werden meist auch nicht in der „Gemeinde“ angekündigt. Nachdem der Pachtvertrag der Literaturhandlung nicht verlängert wurde gehören auch die von Dr. Rachel Salamander organisierten Lesungen prominenter Autoren – z. B. Meir Shalev, Chaim Potok oder Barbara Honigmann – der Vergangenheit an. Das Jüdische Museum sieht mit der Ausnahme von Buchpräsentationen nach eigenen Aussagen seine Aufgabe primär nicht in der Organisation kontinuierlicher Veranstaltungen. Die ausgezeichneten Diskussionen rund um die Ausstellung „Der schejne Jid“ entsprangen einer Einzelinitiative. Dennoch wird die fehlende Kulturarbeit der IKG mit dem Hinweis auf die zahlreichen Veranstaltungen im Museum verteidigt. Die Jüdischen Kulturwochen im letzten Jahr standen unter dem Motto „150 Jahre IKG“. Aber es gab, außer einem schlampig organisierten teuren Prestigeabend für den Präsidenten im Burgtheater, keine einzige Veranstaltung zu diesem Thema.
Das Manko der derzeitigen „Kulturarbeit“, die sich auch nach den letzten Kultuswahlen nicht geändert hat, wird von vielen bedauert und kritisiert. Dass kein Interesse bestehe, oder dass zu anspruchsvolleren Veranstaltungen niemand kommen würde, hat als Ausrede ausgedient. Ein Diskussionsprozess ist bitter vonnöten. Es ist auch keine finanzielle Frage, denn die Stadt Wien wäre wohl, wie vergangene Beispiele zeigen, auch dafür ansprechbar.