Anat Cohen ist eine junge Jazz-Musikerin aus Israel, deren Stil amerikanische Kritiker ins Schwärmen bringt. Auch NU findet, dass man sich ihren Namen merken soll.
Eine Empfehlung von Herbert Voglmayr
Hierzulande noch so gut wie unbekannt, ist die israelische Jazz-Musikerin Anat Cohen in der Jazz-Szene ihrer Wahlheimat New York ein ganz heißer Tipp und wird mit Auszeichnungen geradezu überhäuft. Sie wurde als erste Bläserin überhaupt in den berühmten New Yorker Jazz-Club „Village Vanguard“ eingeladen und, ebenso erstmalig, in zwei aufeinanderfolgenden Jahren (2007 und 2008) von der „Jazz Journalists Association“ als „Clarinetist of the Year“ und 2007 dazu noch als „Up & Coming Musician of the Year“ (vielversprechendster Musiker des Jahres) gekürt. Vom Jazz-Magazin „Down Beat“, der führenden Zeitschrift dieses Musikgenres, wurde sie ebenfalls für 2007 und 2008 zum „Rising Star Clarinetist of the Year“ gewählt.
Selbst seriöse Blätter wie die Washington Post kommen bei ihr ins Schwärmen: „Mit Anat Cohen hat eine der strahlendsten und originellsten jungen Instrumentalistinnen die Bühne des Jazz betreten. Sie hat das Vokabular des Jazz erweitert und in ihrer unverwechselbaren Schaffensweise ihren höchstpersönlichen Akzent gefunden.“ Vor kurzem kam sie mit Jason Lindner (Piano), Joe Martin (Bass) und Daniel Friedmann (Schlagzeug) erstmals nach Österreich und hat am 23. Februar 2009 im Radiokulturhaus ein mitreißendes Konzert gegeben.
Anat Cohen stammt aus einer musikbegeisterten Familie in Tel Aviv und spielte zunächst auf der Klarinette ihres Vaters, bevor sie als Zwölfjährige mit der Ausbildung am Konservatorium ihrer Geburtsstadt und dann in einer Dixieland-Band zu spielen begann. Während der Highschool war sie auch Mitglied eines klassischen Kammerensembles und begann sich dann auf Jazz, insbesondere Latin Jazz zu konzentrieren. Ihren Militärdienst absolvierte sie als Tenorsaxofonistin in der Israeli Air Force Band. Im Gespräch vermittelt sie den Eindruck, dass sie ihre Talente in einer ungezwungenen und der Kreativität förderlichen Familienatmosphäre entwickeln konnte: „Ich bin in eine sehr musikalische Familie hineingeboren. Mein Vater ist sowieso ein Naturtalent, egal welches Musikinstrument er in die Hand nimmt, er spielt es perfekt. Meine Mutter unterrichtet Musik an einem Kindergarten in Tel Aviv, meine beiden Brüder (der Saxofonist Yuval und der Trompeter Avishai) und ich waren immer von Musik umgeben. Uns wurde nie die Frage gestellt, welchen ‚richtigen‘ Beruf wir eines Tages wählen sollten – im Gegenteil: Die Eltern förderten uns auf allen Ebenen, und ich denke, sie haben tausende Stunden verbracht, indem sie während unserer Privatstunden auf uns warteten.“
1996 wurde sie am Berklee College of Music in Boston, Massachusetts, zugelassen und nutzte ihre Ausbildungszeit unter anderem für den intensiven Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt. Während der Semesterferien pflegte sie New York zu besuchen, um die mannigfachen Musikwelten der dortigen Jazz-Szene kennenzulernen. Auf diese Weise lernte sie, die rhythmische Vielfalt verschiedener Jazz-Stile mit ihrer eigenen musikalischen Verwurzelung im Nahen Osten und im Mittelmeerraum zu verbinden. Heute reüssiert sie nicht nur als Klarinettistin und Saxofonistin, sondern auch als Bandleader und profilierte Komponistin, die eine Meisterschaft darin entwickelt hat, Brückenschläge zwischen modernem und traditionellem Jazz herzustellen. Sie inszeniert wahre musikalische Feuerwerke, indem sie Jazz mit afrokubanischen Stilelementen und argentinischem Tango verbindet, klassischen brasilianischen Choro und zeitgenössische brasilianische Musik einbezieht und Wege findet, um Klezmer-Musik und klassische Stilelemente mit aufzunehmen.
Sie hat sich damit im Big Apple als herausragende Stimme ihrer Generation etabliert, wovon die eingangs genannten Auszeichnungen Zeugnis ablegen. Zu ihrem letzten Album „Notes from the Village“ schreibt das Jazz-Magazin „Down Beat“: „Cohen versteht es, ihre melodische Begabung mit der Geläufigkeit ihrer Improvisation zu verbinden, und das mit einer Leichtigkeit, die ihresgleichen sucht.“ Sie selbst kommentiert ihre Entwicklung so: „Die Welt rückt immer mehr zusammen. Jazz ist heute ein sehr weiter Begriff geworden, ich verstehe Chucho Valdés, der meint, dass sich die Kreativität am meisten im lateinamerikanischen Jazz manifestiert. Jazz wird zunehmend Welt-Musik. Wir bekommen so viele Zugänge überall hin, aber auch Informationen von überall her, wir experimentieren mit verschiedenen Rhythmen, mit Samples, Mixes. Ich weiß noch nicht, ob das gut ist oder schlecht, aber ich merke, dass wir Brücken schlagen in so viele Richtungen der Welt. Das ist es, was ich persönlich unter Crossover verstehe.“
In Österreich ist es noch einigermaßen mühsam, CDs von Anat Cohen aufzutreiben, mittels Internet kommt man jedoch leicht an ihre Musik. Am besten verschafft man sich einen ersten Eindruck mit einer Hörprobe auf ihrer eigenen Website (www.anatcohen. com), um dann, wenn man will, bei Anzic Store (www.anzicstore.com) oder Amazon (www.amazon. com) einzukaufen. Neben dem schon erwähnten letzten Album „Notes from the Village“ ist auf CD noch ihr Debüt-Album „Place and Time“ verfügbar sowie „Noir“, „Poetica“ und schließlich „Braid“, das sie mit ihren beiden Brüdern Yuval und Avishai unter dem Namen „The 3 Cohens“ eingespielt hat.