Der Literatur-Nobelpreis für Peter Handke sorgt seit seiner Bekanntgabe für mediale Turbulenzen. Zwei Positionen anlässlich der eben erfolgten Überreichung.
„Ich bin ein Schriftsteller, ich komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes. Lasst mich in Frieden und stellt mir nie wieder solche Fragen.“ Vehement wies Peter Handke jede Verbindung zwischen seinem literarischen Schaffen und seiner moralischen und/oder politischen Standortbestimmung zurück. Das erinnert an den Tod des Autors, den der französische Philosoph und Literaturkritiker Roland Barthes 1967 verkündete: Der Autor sei „tot“, weil er und seine persönlichen Ansichten für die Literatur so gut wie keine Bedeutung hätten: Der Sinn jedes Textes entstünde ohnehin erst im Kopf des Lesers und aus dessen persönlicher Lebenserfahrung. Jeder Künstler, jede Künstlerin habe ein Recht auf ein Privatleben, das für die Beurteilung des Werks irrelevant sei.
Vor mehr als fünf Jahrzehnten galt die Behauptung vom „Tod des Autors“ als innovativ und radikal. Dass Peter Handke nun als Kollege von Cervantes nicht an seiner persönlichen Haltung zum serbischen Diktator und Kriegsverbrecher Slobodan Milošević gemessen werden möchte, ist aber keine Bestätigung für Barthes. Jean-Paul Sartre forderte in seinem 1947 verfassten Essay Was ist Literatur? moralisches und politisches Engagement des Prosa-Schriftstellers ein. Noch deutlicher hatte er diese Forderung schon 1945 in einem Vortrag anlässlich der Gründung der UNESCO erhoben: Während sich Musik, bildende Kunst und Poesie den Dingen nur symbolhaft annäherten, könne die Prosa dem Leser klare Sachverhalte vermitteln. Der unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und Hitler-Faschismus brennenden Sorge, dass eine engagierte Literatur von politischen Systemen oder Ideologien vereinnahmt werden könnte, entgegnete Sartre: „Es gibt zwar eine Gewalt der Wörter, die darin besteht, zu lügen, zu kaschieren, zu verhehlen. Aber dann sind wir nicht mehr auf der Ebene der Literatur, sondern auf der Ebene der Propaganda oder der Reklame. Wenn wir wirklich wollen, dass ein Werk schön sei, dann genau beabsichtigen wir einen gewaltlosen Appell an die Freiheit. So können wir jetzt in großen Zügen die Verantwortlichkeit des Schriftstellers definieren.“
Als kritisches Organ zur politischen Bewusstseinsbildung hatte sich im Nachkriegsdeutschland die „Gruppe 47“ zusammengefunden, der etwa Alfred Andersch, Heinrich Böll, Günther Grass, Marcel Reich-Ranitzky, Wolfgang Hildesheimer und Hans Magnus Enzensberger angehörten. Zwanzig Jahre hindurch maßen sie das Schaffen junger Kollegen auch an deren politischer Haltung – bis 1967 ein vielversprechender Autor geladen wurde: Peter Handke. Er ergriff nach einer der Lesungen plötzlich das Wort: „Ich bemerke, dass in der gegenwärtigen deutschen Prosa eine Art Beschreibungsimpotenz vorherrscht. Man sucht sein Heil in einer bloßen Beschreibung, was von Natur aus schon das Billigste ist, womit man überhaupt nur Literatur machen kann. Wenn man nichts mehr weiß, dann kann man immer noch Einzelheiten beschreiben.“
Auch in seinen international erfolgreichen späteren Werken gab und gibt es immer wieder Stellen einer abrupt auflodernden Aggression. Dieser Unterton gehört untrennbar zum Ton der Zärtlichkeit, der Einfühlsamkeit, die Handkes Literatur prägen. So auch bei seinem Text zum jugoslawischen Bürgerkrieg und seinem Reisebericht Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien. Er wollte diesen Text als Beschreibung einer Traumlandschaft verstanden wissen, als literarischen Ausdruck seiner Kindheitssehnsucht Jugoslawien, die ihm seine slowenisch sprechende Mutter nahegebracht hatte.
In Zeiten politischer Unsicherheit und Aggression gegen alles „Fremde“ rückt die Frage nach dem Verhältnis von Moral und Politik wieder in den Vordergrund – und damit auch die Rolle von Künstlern und Intellektuellen. Aber sind Schriftsteller für Aufklärung zuständig? Peter Handke gehört jedenfalls zu jenen Autoren, die von ihren eigenen Texten oder sogar von der Literatur an sich sagen, sie sei geradezu verpflichtet zu politischer Abstinenz. Er unterliegt einem fatalen Irrtum, wenn er verneint, dass Politik – im Guten wie im Bösen – mit Kunst zu tun hat; und nicht etwa mit einer Wissenschaft, die nur in den Laboratorien der globalen Wirtschaft und des internationalen Verbrechens erforscht und verstanden wird. Der Schriftsteller wird repräsentiert durch die Figuren, die er (er)findet. Sie müssen nicht denken und fühlen wie ihr Schöpfer. Aber dieser sollte beide Seiten verantworten: sich selbst und die Menschen, die er beschreibt.