Der Band „Jüdisches Wien“ der Serie Wienfacetten geht kurzweilig und informativ den vielen Spuren nach, die das Wiener Judentum um die Jahrhundertwende hinterlassen hat – und jenen, die das heutige jüdische Leben in Wien prägen.
Von Katja Sindemann
Das schmale Büchlein – ideal für die Handtasche, U-Bahn-Fahrten und sonstige Wartezeiten – stellt 57 Orte vor, die repräsentativ sind für das jüdische Leben in der Donaumetropole in Vergangenheit und Gegenwart.
Wie die Autorin im Vorwort sagt: „Vieles, was als wienerisch gilt, wäre nicht ohne Juden entstanden.“ Das Riesenrad, Wahrzeichen von Wien, hatte die längste Zeit seiner Existenz einen jüdischen Besitzer. Orte jüdischen Lebens und Religiosität werden vorgestellt wie die Synagoge in der Seitenstettengasse, die einzige, die durch ihre Bauweise vor den Zerstörungen der Reichskristallnacht verschont blieb. Der jüdische Friedhof in der Seegasse, der älteste in Wien, dessen Grabmale ebenfalls die NS-Zeit überstanden. Jüdische Restaurants, die koscheres Essen anbieten. Auch das Maschu Maschu, zwar israelisches, aber kein koscheres Restaurant darf nicht fehlen. Die globale Entwicklungsgeschichte des jidischen Bagels wird anhand der Bagel-Station in der Währinger Straße erzählt. Das Jüdische Museum, in dem kostbare und kunstvoll gearbeitete Ritualgegenstände wie Thorakronen, Thorazeiger, Pessachteller, Schabbat-becher und Schofarhörner bewundert werden können.
Die Geschichte jüdischer Orte ist aber auch eine Geschichte der Vertreibung, der Enteignung und der Ermordung. Das prächtige Stadtpalais im Renaissance-Stil der Familie Rothschild in der Prinz-Eugen-Straße wurde 1938 sofort von den Nazis enteignet, die wertvollen Kunstwerke beschlagnahmt. Das Palais wurde – bittere Ironie – zur „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ umfunktioniert. Leiter: Adolf Eichmann. 1956 wurde das Palais Rothschild abgerissen, heute steht hier die Arbeiterkammer. Die Rückgabe der Rothschild-Kunstwerke begann 1998.
Untrennbar mit Wien verbunden sind die Spuren jüdischen Geisteslebens. Der Autor Felix Salzmann, später Salten genannt, hat in seinem Buch „Wurstelprater“ dem Vergnügungsort ein Denkmal gesetzt. Hatten Sie gewusst, dass die Buchvorlage für den Film „Bambi“ von ihm stammt? Was wäre Wien ohne das „Simpl“? Der Kabarettist Fritz Grünbaum war einer der Ersten, der 1912 hier auftrat. Er wurde 1938 nach Dachau, Buchenwald und wieder Dachau deportiert. Zu einem KZ-Aufseher, der ihm ein Stück Seife verweigerte, bemerkte er: „Wer für Seife kein Geld hat, soll sich kein KZ halten.“ Er starb dort Jänner 1941.
Das Buch der Autorin ist nicht nur kurzweilig und informativ, sondern öffnet den Blick für jüdische Lebenswelten, die zum Teil schon vertraut, zum Teil aber immer noch neu und unbekannt sind. Ein Stadtführer für Einsteiger.