Von Paul Chaim Eisenberg
Die Welt wurde in sechs Tagen erschaffen, und am siebten Tag ruhte der Ewige. Deshalb halten wir Juden den Schabbat. Die Erschaffung der Welt fand vor 5780 Jahren statt. Für einen Wissenschaftler ist diese Behauptung sehr mutig. Weil, erstens: Gibt es überhaupt einen G’tt? Und zweitens haben Wissenschaftler errechnet, dass es das Universum schon seit Millionen Jahren gibt.
An dieser Stelle könnte ich meinen Aufsatz abbrechen. Aber ein wenig möchte ich doch noch hinzufügen.
Zwischen der christlichen Kirche und Wissenschaftlern wurde lang gestritten, ob die Erde im Mittelpunkt des Alls steht und die Sonne nur ein Planet ist, der sich mit den anderen um die Erde dreht. Dieses geozentrische Weltbild ist schon mehr als 2000 Jahre alt. Die Kirche hat daraufhin Wissenschaftler verfolgt, weil sie der – richtigen – Meinung waren, dass die Sonne im Zentrum des Weltalls steht. Für die Kirche war es wichtig, dass die Erde im Mittelpunkt steht, weil auch der Mensch Mittelpunkt allen irdischen Daseins ist. Es würde zu weit führen, wenn ich jetzt die Geschichte von Kopernikus und Galileo Galilei erzählen würde. Galilei entwickelte bekanntlich die heliozentrische Theorie. Seine Schriften dazu wurden auf die Liste der verbotenen Bücher gesetzt. Und es wird überliefert, dass er gezwungen wurde, laut zu verkünden, dass die Erde fest in der Mitte des Weltalls steht. Aus Angst um sein Leben tat er das auch. Aber danach sagte er, wo und wann, ist nicht überliefert: „Und sie bewegt sich doch!“
Goldener Mittelweg
Der mittelalterliche Bibel- und Talmud-Kommentator Rabbi Moshe Ben Maimon (Rambam) war auch Arzt. Also vielleicht geht das doch, dass man ein wenig von beiden Fächern in sein Leben integriert. Rabbi Moshe hat auch ein Gebet für sich und andere Ärzte verfasst, in dem der Ewige gebeten wird, dem Mediziner bei der Heilung seiner Patienten zu helfen.
Zwei religiöse Juden diskutieren, was sie tun, wenn sie krank werden. Der eine sagt: „Wenn ich krank bin, gehe ich zum Rabbi, damit er für mich und meine Gesundheit betet.“ Der andere sagt: „Wenn ich krank bin, gehe ich zum Doktor.“ Darauf der Erste: „Glaubst du an Wunder?“ Ich glaube wie Maimonides, dass Medizin und Beten einander nicht ausschließen. Die eigentliche Heilung obliegt dem Arzt. Aber ein wenig Glaube und Hoffnung können sicher helfen.
Ich hatte in meiner Yeshiwa, meiner Rabbinerausbildung, einen besonderen Lehrer. Er berief sich auch auf Maimonides, wenn er den goldenen Mittelweg predigte. In einem Beispiel hat er uns folgendes gelehrt: Die Basis des Studiums der Thora und des Talmuds ist der Versuch, diese Schriften klug auszulegen. Ein Wissenschaftler wird die jüdischen Schriften nie wörtlich nehmen – und das soll man auch nicht. Wer dies tut, ist ein Fundamentalist und wird niemanden überzeugen können.
Aber auch viele Forscher erachten wissenschaftliche Erkenntnisse als unverrückbare Wahrheiten. Das stimmt historisch nicht. Um ein schon gebrachtes Beispiel zu verwenden, glaubten die Menschen lange, dass die Erde eine Scheibe und das Zentrum des Universums sei. Heute wissen wir, dass dem nicht so ist. Und sogar die Kirche akzeptiert das mittlerweile, bekanntlich hat sich 1992 sogar Papst Johannes Paul II. für die Verurteilung Galileos entschuldigt.
Einfach kompliziert
Doch zurück zum Judentum. Gerade das Talmud-Studium hat uns gelehrt, Dinge zu hinterfragen und neue Antworten zu suchen. Es bleibt dabei: Wir glauben an G’tt. Und wir halten seine Gebote. Aber ein wenig Wissenschaft ist auch da. Ein großer Rabbi kann auch ein großer Wissenschaftler sein.
Juden und Moslems zählen die Monate nach dem Mond. Bei Neumond beginnt der Monat. Bis zum nächsten Neumond sind es ziemlich genau neunundzwanzigeinhalb Tage. Schon in talmudischen Zeiten wurde dies ausgerechnet. Die Moslems halten an dieser Monatszählung fest, und so rutscht der Ramadan in Relation zum Sonnenkalender jedes Jahr um zirka zehn Tage zurück. Also zum Beispiel: Der Ramadan begann 2020 am 23. April, 2021 begann er am Abend des 12. April. Und 2022 wird er schon am 1. April beginnen.
Wir Juden machen wie immer einen Kompromiss. Nachdem wir einen Kalender nicht mit halben Tagen konstruieren können, gibt es im jüdischen Jahr abwechselnd einen Monat mit 29 Tagen und einen Monat mit 30 Tagen.
Jetzt aber entsteht ein Problem: Da wir Pessach immer im Frühling feiern wollen, brauchen wir ein Schaltjahr. Und in diesem Schaltjahr genügt es nicht, einen Tag hinzuzufügen, sondern man braucht zirka zehn bis elf Tage pro Jahr, um mit dem Sonnenkalender im Einklang zu bleiben. Da wir aber nicht jedes Jahr zehn Tage einschalten, sondern einen ganzen Monat brauchen, funktioniert der jüdische Kalender auf folgende Weise: Im Laufe von 19 Jahren gibt es sieben Schaltjahre, in dem jeweils ein Monat von 29 Tagen hinzugefügt wird.
Man sieht, dass ich nicht nur Rabbiner bin, sondern auch Mathematik studiert habe.