Der „Palmhof“ der Brüder Pollak war ein beliebtes Tanzcafé, in dem bekannte Musiker spielten und dessen Konzerte im Radio übertragen wurden. Nach 1945 geriet es in Vergessenheit.
VON KATJA SINDEMANN
„Schade ist’s um ein großes Tanzcafé, das sich am Anfang der äußeren Mariahilfer Straße befand. Ecke Palmgasse war das Café Palmhof etabliert und erfreute sich ein halbes Jahrhundert lang seiner Beliebtheit. Fünf-Uhr- Tee, Publikumstanz mit Kapellen wie Hans Neroth, Viktor Duchini, Ludwig Babinski und viele bekannte Bands ließen das Herz der Tanzfreudigen höher schlagen“, so Joe Hans Wirtl über Musik in Rudolfsheim. 1919 übernahmen die mährischen Brüder Otto und Karl Pollak das seit dem 19. Jahrhundert bestehende Café, das gegenüber dem Eingang des Kaiserin-Elisabeth- Bahnhofs (heute Westbahnhof) lag. Das Geld erhielten sie von ihrem Vater unter der Bedingung, dass beide Inhaber würden.
Das Kaffeehaus war historistisch eingerichtet, mit Sitzlogen, roten Lederbänken, Samtvorhängen und dunklen Möbeln. Otto Pollak, der im Ersten Weltkrieg ein Bein verlor und mit Orden ausgezeichnet wurde, machte es mit Abendkonzerten und sonntäglichem Fünf-Uhr-Tee zu einem beliebten Tanzlokal. „Vater war der charismatische Visionär, während Onkel Karl für Finanzen zuständig war. Vater betrachtete es später als Fehler, Karl als Teilhaber zu haben. Mutter aber meinte, dass das Café ohne ihn bald pleite gewesen wäre“, schmunzelt Tochter Helga Pollak-Kinsky (85).
Otto Pollak führte den neuen Jazz ein und reiste zwecks Talentsuche durch Europa. Einige, die im Palmhof ihren ersten Auftritt absolvierten, machten später Karriere. Ferry Löring (František Löwy; 1899–1964) war ein jüdischer Operettentenor, der auch Schlager einspielte und in Wien, Berlin, Linz, Prag sowie im Rundfunk auftrat. Saxophonist Charly Gaudriot (Karl Gaudriczek; 1895–1978) hatte sich Jazz autodidaktisch angeeignet und trat jahrzehntelang mit seinem Jazzorchester auf, spielte aber auch Wienerlied und Schlager. Hans Neroth (1911–1994) beglückte selbst in der NSZeit seine Fans mit Jazz und Swing. In seinem Studio N im Hernalser Vergnügungszentrum (heute Metropol) traten in den 1950er und 60er Jahren viele Nachwuchsbands auf. Franz (Ferry) Zelwecker (1911–1998) leitete das Kleine und Große Wiener Rundfunkorchester und wurde 1950 Operndirektor in Addis Abeba. Hier traf er Helga Pollak-Kinsky wieder, die damals mit ihrem Mann in Äthiopien lebte. „Er hatte früher im Palmhof gespielt und mich als kleines Kind am Schoß gehalten“, erinnert sie sich.
Auch Größen wie Richard Tauber, Fritz Imhof, Oskar Karlweis, Franz Léhar, Hans Moser oder Hans Thimig waren zu Gast. „Fürst Starhemberg kam immer mit seiner Dogge, um Zeitungen zu lesen“, erzählt sie. „Das Johann- Strauss-Denkmal im Café wurde 1926 von der Witwe Adele enthüllt.“ Der in Künstler- und Kaffeesiederkreisen geschätzte Otto Pollak war 1928 Konkursverwalter des von Adolf Loos eingerichteten Konzertcafés Capua in der Johannesgasse. „Er hat es noch ein Jahr weitergeführt, damit sich die Künstler eine andere Arbeit suchen konnten“, so Helga Pollak-Kinsky.
Café Palmhof im Radio
Ab 1931 wurden die Palmhof-Konzerte regelmäßig von der RAVAG (Radioverkehrs- AG, Vorläuferin von ORF Radio) übertragen, wovon Einträge in den Programmheften Radio Wien zeugen. Zeitzeuge Rolf Lang erinnerte sich: „Jeden Donnerstag stand der RAVAG-Wagen hinterm Café. Da ich kein Geld hatte, bin ich dort gestanden und habe gehorcht. Durch die Kabel und Schläuche hat man die Musik gehört.“ Im Dokufunk-Archiv sind noch zwei Lieder der „Blue Boys“ aus dem Palmhof erhalten. Pianist Toni Berg erinnerte sich: „Ein Ingenieur Richter hat mit seinem Gerät Aufnahmen gemacht und sie später der RAVAG übergeben. Dr. Placheta, Vater von Gunther Philipp, spielte Saxophon.“ 1935 wurde die 100. Live-Übertragung gefeiert. Heute sind die Schellacks von damals größtenteils verloren.
Neugestaltung durch berühmte Innenarchitekten
1924 wurde das Café vom Architekten Leopold Liebl mit Thonet-Sesseln, rot-grünen Ranken und Farbakzenten aufgelockert. Eine völlige Neugestaltung wurde 1930 von Leonhard Schöppler und Ernst Kornfeld durchgeführt: Silberkugeln an der Decke, Lichter über der Tanzfläche, zeitgemäße Sitzgarnituren. Die neue Küche mit Eiskästen, Heizung und Elektrik wurden in Fachzeitschriften gerühmt. 1935 stylten Schöppler und Kornfeld den Palmhof als Pirateninsel: Das Café wurde zur Südseeinsel mit Palmen, Palmwedel zierten auch das Geschirr, und die Ober steckte man in mexikanische Gewänder (die sie allerdings schon in der ersten Nacht wieder auszogen). Beim Publikum kam die Idee leider nicht gut an, und auch aufgrund der Wirtschaftskrise blieben die Gäste aus. 1937 gestalteten dann die Architekten A. Kauer und Fritz Jüptner-Jonstorff das Café unter dem Motto „Wien bei Nacht“ zum Wienerwald-Heurigen. „Ein schrecklicher Kitsch“, kommentiert Helga Pollak-Kinsky trocken.
Arisierung, Flucht und Tod
1934 hatte es erste Anschläge auf den Palmhof gegeben. Nach dem Anschluss „übernahm“ der Oberkellner Kaffeehaus und Wohnung der Pollaks. „Mit 27. 6. 1938 hat ein Gustav Raisinger die Übertragung durch die Vermögensstelle beantragt, wobei das Verfahren mit 15. 4. 1939 abgeschlossen wurde. Herr Raisinger musste an die Vermögensstelle 80.000 Reichsmark ,Entjudungserlös‘ bezahlen. Davon hatte Herr Raisinger bestehende Schulden des Betriebs zu bezahlen. Nur 15.108,75 RM gingen an die Vermögensstelle“, so die Auskunft der WKW-Fachgruppe Kaffeehäuser.
Helga Pollak-Kinsky: „Dass Raisingers Tochter jetzt in meinem Kinderbett schlief, hat meine Mutter sehr erbost.“ Karl Pollak floh 1938 in seine Heimatstadt Kyjov, wohin auch Helga gebracht wurde. Ihre inzwischen von Otto geschiedene Mutter emigrierte nach England. Otto Pollak kam 1941 nach Kyjov, nachdem er nur knapp einem Transport entkommen war. 1943 wurde die Familie nach Theresienstadt deportiert, Karl Pollak weiter nach Auschwitz. Man hörte nie wieder von ihm. Otto Pollak als hochdekorierter Kriegsinvalide überlebte Theresienstadt mit Tochter Helga und kehrte 1945 nach Wien zurück, wo er sich um die Rückgabe bemühte. Doch das Palmhof war jetzt Offizierscasino einer marokkanisch-französischen Division und wurde erst 1953 in devastiertem Zustand zurückgegeben. Nun hatte Otto Pollak nicht mehr die Kraft, neu anzufangen. 1945 schrieb er an seine Exfrau: „Ich beobachte das Mimikry der Wiener, die sich einen neuen Anstrich geben wollen, um in der neuen Umwelt nicht aufzufallen. Als man darangehen wollte, eine Naziwohnung zu räumen, will niemand bei der Partei gewesen sein. So erlaubte ich mir das bittere Scherzwort ‚Zum Schluss werde ich der SA-Mann gewesen sein‘.“
Heute befindet sich an der Stelle des Café Palmhof ein Supermarkt. Nur Inventarstücke, Fotos, Gästebücher und Widmungen erinnern an seine Glanzzeit zwischen den Weltkriegen. Das Café Palmhof findet sich bislang weder in der Geschichte der bekannten Wiener Kaffeehäuser noch in der jüdischen Geschichte des 15. Bezirks.