Wir wollten einen Ort finden, an dem man Marika Lichter nicht vermutet. Das aber ist geradezu ein Ding der Unmöglichkeit. Sie fühlt sich überall zu Hause, was auch stimmt. Lichter ist Allround- Künstlerin, Dancing Star, karitativ engagiert gegen Gewalt in der Familie, eine prominente Frau mit engem Draht zum „Volk“.
VON DANIELLE SPERA (TEXT) UND MILAGROS MARTÍNEZ-FLENER (FOTOS)
„Der einzige Platz, wo man mich nicht trifft, ist eine Kirche“, meint Marika Lichter in unserem Brainstorming über einen passenden Treffpunkt. Bei evangelischen Taufen hat sie bereits gesungen, an der katholischen Kirche stört sie vor allem der Pomp und Prunk. Ich schlage das Schmetterlingshaus vor. Schmetterlinge. Bunt, schillernd, unmittelbar Aufmerksamkeit erregend, scheinbar alles mit großer Leichtigkeit meisternd, das war meine Assoziation. Dass dieser Ort an einem regnerischen und kühlen spätwinterlichen Tag eine Herausforderung sein kann, wurde uns erst vor Ort bewusst. Die nasse Kälte vor der Tür, gepaart mit der feucht-heißen, fast tropisch anmutenden Atmosphäre des Schmetterlingshauses ist einem entspannten Gespräch nicht gerade förderlich. Jedenfalls ist es nicht der Aufenthaltsort ihrer Wahl. Nach wenigen Minuten entscheiden wir, den Platz zu wechseln und steuern heimischeren Gefilden zu: dem Kaffeehaus. Auf dem Weg passieren wir eine prominente Tanzschule. Ob wir wohl da Halt machen sollen? „So mancher Tanzlehrer könnte sicher noch von mir lernen“, meint sie mit einem Augenzwinkern. Die Schmetterlinge bleiben noch kurz unser Gesprächsthema. Das Glitzern der Flügel findet sie durchaus erstrebenswert: „Mein nächster Auftritt: eine Schmetterlingsfrau, warum nicht?“ Das Fliegenkönnen wäre überhaupt ein Idealzustand. Denn Marika Lichter ist sehr oft auf Reisen, allerdings ermüdet es sie sehr. „Ich bin so wahnsinnig pflichtbewusst und sage auch bei Sachen zu, wo ich mir dann denke, mein Gott, warum habe ich das getan. Ich bekomme alles auf die Reihe, aber es erschöpft mich sehr.“ Kein Wunder: Schauspielen, Singen, Tanzen, Moderationen stehen auf der Tagesordnung von Marika Lichter, ganz nebenbei ist sie auch noch Chefin einer Künstler- und Veranstaltungsagentur, macht ihre eigene Pressearbeit und ist intensiv karitativ engagiert. „Singen ist für mich mein Herzblut, ich spiele auch gerne Theater, keine Frage. Ich mache alles gerne – außer Buchhaltung. Aber die Musik ist halt mein Leben.“
One-Woman-Show
Eine One-Woman-Show, die vor Energie geradezu übergeht. Obwohl sie derzeit fast ständig auf der Bühne steht (in den Kammerspielen in Wien und in Gmunden), geht sie auch in ihrer Freizeit gern ins Theater. „Man muss ja manchmal auch etwas anderes sehen …“ – Was sie am liebsten allein tut. Zum Lesen kommt sie derzeit vor lauter Rollenlernen nicht: „Im Moment lerne ich Texte, und wenn ich mich vom Lernen entspannen will, dann schaue ich fern.“ Lieblingssendung hat sie keine, am liebsten sieht sie Filme, die sie im Kino versäumt – und das sind viele. So freut sie sich auf die Ausstrahlung von Das Leben ist schön, ein Pflichtfilm, den sie erst mit großer Verspätung sehen wird können.
Überhaupt ist sie sehr selektiv geworden: „Ich gehe nicht viel aus, eigentlich nur zu Veranstaltungen, zu denen ich unbedingt hingehen muss. Es interessiert mich nicht, weil ich einen ganz großen Teil von Seilschaften, Gesellschaften nicht sehen möchte.“ Apropos Seilschaften, frage ich, wie sieht es denn mit dem Opernball aus? „Ich sage jedes Jahr, dass ich nicht hingehe – und dann gehe ich doch.“ Es sei kein Vergnügen, sondern ein Teil des notwendigen Netzwerkens. Obwohl sie jedes Jahr zögert, zum Opernball zu gehen, veranstaltet Marika Lichter vor dem Ereignis selbst einen Cocktail in ihrer Wohnung. Es hieß, dass heuer Andreas Gabalier bei ihr zu Gast gewesen sei? „Eine glatte Verwechslung“, sagt Lichter. Wie sie ihn einordnet? Gabalier habe sich in etwas verrannt, sowohl mit seiner Diskussion über die Bundeshymne als auch mit der Position auf seinem CD-Cover, die man als Hakenkreuz interpretieren könnte.
Es gebe einige junge Musiker, die wesentlich bessere Musik machten, als das schleimige Volksliedgut, wie sie es nennt. Junge Musiker, die mit tollen Instrumenten wirklich gute Musik mit Witz, Charme und viel Gefühl machen, ortet Marika Lichter beispielsweise in der Steiermark. Auch Conchita Wurst findet sie toll. Tom Neuwirth kennt sie schon lange. Ein junger Mensch, der sehr überlegt spricht, großzügig, freundlich, gütig, zurückgenommen sei, trotz des Erfolgs, so ihre Beurteilung. Allerdings sei das wirkliche Problem, dass die Österreicher gar nicht so tolerant seien, wie sie jetzt dargestellt werden. Zum Songcontest würde sie sehr gern gehen, allerdings habe sie bisher noch keine Einladung erhalten. „Bitte das unbedingt zu schreiben“, sagt sie lachend. Und im Übrigen findet sie es schade, dass man heute nicht mehr in der Landessprache singen muss. Ihre Eltern hatten mit ihr noch Jiddisch gesprochen. „Damals habe ich mich dafür geschämt, heute bin ich stolz darauf, dass ich Jiddisch kann, so haben sich die Zeiten geändert“, sagt sie.
Alleine, ohne Familie
Beide Eltern Marika Lichters waren in Konzentrationslagern, die Mutter stammte aus Kroatien, der Vater aus Polen. Ihr Großvater mütterlicherseits, ein Opernsänger, wurde in Budapest erschlagen, die Eltern und die Schwester des Vaters kamen bei einem Pogrom bei Lemberg ums Leben. Nach dem Krieg haben sich ihre Eltern im Café „New York“ in Budapest kennengelernt. Wien hätte dann eigentlich nur eine Zwischenstation sein sollen, doch die kleine Marika bekam hier Keuchhusten, und vorbei es war mit dem Traum einer Ausreise nach Australien oder Amerika. So wuchs Marika in Wien auf. „Als Jugendliche habe ich im Kaffeehaus immer schon gewartet, wann der erste Judenwitz kommt. Das geht heute nicht mehr“, sagt Lichter.
Fast unvorstellbar, dass sie ein schüchternes Kind war. Vielleicht liegt es daran, dass ihre Eltern nie über das sprachen, was sie mitgemacht hatten „Ich habe nie eine Familie gehabt, keine Großeltern, keine Tante, keinen Onkel, keinen Cousin, keine Cousine, heute habe ich meinen Sohn und mich. Und viele gute Freunde. Aber keine Familie. Das ist schon traurig.“ Marika Lichters Eltern wollten nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager jedenfalls eines: leben. Nachholen, was ihnen genommen wurde, eine unbeschwerte Jugendzeit. Wie das im Wien der Nachkriegszeit möglich war, in dem Klima der nicht verdauten Nazi-Zeit? „Wer die Kraft hatte zu überleben, hatte auch die Kraft zum Weiterleben“, so Marika Lichter über ihre Eltern. Außerdem hätten die Eltern ihre Zeit fast ausschließlich in jüdischer Gesellschaft verbracht. „Mein Vater war sehr fleißig – am Vormittag. Doch am Nachmittag war er im Café und hat Karten gespielt. Meine Mutter ist währenddessen mit ihren Freundinnen in die Stadt gegangenen. Heute müssen wir wesentlich schwerer arbeiten. Damals war es herrlich. Es gab kein Internet, es gab kein Handy. Alles war langsamer. Heute sind wir doch ständig gehetzt, das ist furchtbar.“
Zivilcourage als Leitmotiv
Ob ihre Fans wissen, dass sie Jüdin ist? „Ich denke schon. Wenn man mich zu Weihnachten interviewt, wie mein Christbaum ausschaut, sage ich immer, ich hab keinen, ich bin ein Judenkind.“ Lichter zeichnet ihre Identität als Österreicherin jüdischen Glaubens. „Ich lebe gerne in Wien. Ich habe mir in letzter Zeit öfters gedacht, was wäre, wenn man nach Israel geht. Aber: Was mache ich dort? Ich denke, für junge Leute ist das noch eine Möglichkeit. In meinem Alter hat das keinen Sinn mehr. Es ist so ein anderes Leben, und ich bin halt mein Leben in Wien sehr gewöhnt. Und ich denke mir immer, wenn meine Eltern hier leben konnten, dann kann ich das auch. Es wäre auch so etwas wie eine Flucht vor dem Feind, weil ich immer sehr klar meine Meinung äußere.“
Wenn sie etwas Negatives über FPÖ- Chef Strache sagt, dann bleiben böse Mails nicht aus. Marika Lichter steht zu ihrer Gesinnung. Bei Unrecht nicht zu schweigen, das hat sie von Kind auf mitbekommen. „Ich war immer schon eine Rebellin. Von der Demonstration gegen Borodajkewycz angefangen, war ich immer dabei.“ Zivilcourage ist für sie ein Leitmotiv. Dafür setzt sie sich auch bei „Wider die Gewalt“ ein, einer karitativen Veranstaltung, die 1990 von Franz Vranitzky gegründet wurde und die Marika Lichter anfangs gemeinsam mit einer engen Freundin, der heutigen Galeristen Miryam Charim, organisiert hat. Besonders freut sie, dass diese Einrichtung nun seit 25 Jahren erfolgreich ist. Und das trotz des „goldenen Wienerherzens“, wo das Hunderl mehr bedauert wird als ein Mensch, wo ein Obdachloser in einer U-Bahn-Station liegen und sterben kann, weil sich keiner kümmert. „Dazu darf man nicht schweigen“, sagt Lichter. Immer direkt und offen zu sagen, was Sache ist, lautet ihr Lebensmotto. „Ich gebe jedem Menschen eine Chance, aber ich bin abwartend, weil ich oft verletzt worden bin in meinem Leben.“
Freundschaften sind ihr immens wichtig, auch weil sie nie eine Familie hatte. „Man muss mit den Menschen in einer Sprache reden, die sie verstehen. Ich mag es nicht, wenn Menschen schlecht behandelt werden, weil sie anders ausschauen. Daher mache ich mir immer gerne mein eigenes Bild über alles.“
An sich selbst konstatiert sie eine Art Helfersyndrom. Sie sieht es als Verpflichtung, Menschen, denen es nicht gut geht, zu unterstützen. „Ich habe 65 Jahre sehr, sehr gut gelebt, eigentlich immer wie eine Prinzessin. Obwohl ich immer sehr fleißig war und viel gearbeitet habe.“ Ihre erste Platte hat sie aufgenommen, als sie 15 war, danach kam die Matura. Ihre Eltern hatten sie auf ihrem Weg immer unterstützt, und ihre Gegenleistung war Fleiß. Geprägt wurde sie durch Gerhard Bronner, Friedrich Torberg und ihre Gesangslehrerin.
Ein Höhepunkt in den vergangenen Jahren war sicherlich ihr Sieg in der ersten Dancing-Stars-Staffel. Dadurch hat sich ihr Leben schlagartig verändert. Plötzlich war eine unglaubliche Popularität da. „Ich hatte an einem Abend 650.000 Votings. Und ich kann sagen, dass weder ich angerufen habe, und da ich keine Familie habe, können es die auch nicht gewesen sein. Ich werde schon von vielen Leuten als eine von ihnen betrachtet. Und das ist doch schön und freut mich sehr.“ Ob sie nach diesen vielen Erfolgen noch einen Traum hat?
„Mit 17 hat man noch Träume, hat man mit 65 auch noch Träume? Ich habe keinen Traum, ich bin eine zu große Realistin. Auch mit 16 wollte ich nicht Stewardess werden, was damals ein Traumberuf war, und ich wollte auch nicht Prinz Charles heiraten, sehr zum Leidwesen meiner Mutter. Aber ich möchte meine Arbeit ordentlich und gut machen und den Leuten ein bisserl Freude bereiten und helfen. Mehr will ich nicht. Und ich möchte sehen, dass mein Sohn eine Familie gründet und ich Großmutter werde. Das reicht. Das hätte ich gerne. Eine glückliche Familie.“