Die Kultur ist bekanntermaßen nicht nur ein Spiegel unserer Gesellschaft, sondern auch ein Raum, in dem unterschiedliche Perspektiven aufeinandertreffen. Besonders in einer Welt, die zunehmend von Spannungen und Krisen geprägt ist, gewinnen Plattformen an Bedeutung, die ein tieferes Verständnis füreinander fördern.
Eine dieser Plattformen ist das Menschenrechts-Filmfestival This human World, das von Avia Seeliger geleitet wird. Was sie persönlich bewegt, und zu ihrer heutigen Arbeit inspiriert verrät die junge Wienerin im Gespräch mit NU.
NU: Du bist seit vielen Jahren aktiv in der Wiener Kulturbranche und gestaltest jüdisches Leben mit. Was hat dich persönlich dazu bewegt This human World zu übernehmen?
Seeliger: Ich habe schon früh ein starkes Bewusstsein für soziale und politische Fragen entwickelt. Seit 2000 war ich Teil von Hashomer Hatzair, einer jüdisch-sozialistischen Jugendbewegung, und erlebte ein Umfeld, das von Diskussionen über Gerechtigkeit und Identität geprägt war. Nach dem Schulabschluss verbrachte ich auch ein Jahr in Israel – ein prägendes Jahr, das mir die politische und gesellschaftliche Komplexität des Landes, aber auch die Realität des Aktivismus in all seinen Spannungen nochmal näherbrachte. Die Erfahrungen waren zumeist ernüchternd, aber weckten auch meinen Wunsch, sinnstiftende Arbeit oder Plattformen zu suchen und zu fördern. Zurück in Wien habe ich Theater-, Film- und Medienwissenschaften studiert, was mich schließlich zur Arbeit in der Filmfestival-Branche gebracht hat. Als ich dieses Jahr die Leitung von This human World übernahm, war mir klar: Hier kann ich meine Leidenschaft für Kino und mein gesellschaftliches Engagement verbinden. Das Festival ist ein lebendiges Forum, das Menschenrechte und Gerechtigkeitsfragen aus neuen Perspektiven vermittelt und Raum für junge Stimmen schafft.
Welche Rolle spielt das Medium Film für dich, insbesondere um komplexe Themen wie Menschenrechte und Erinnerung einem breiten Publikum zugänglich zu machen?
Der Film eignet sich als Medium hervorragend dafür, Menschen für Themen oder Geschichten zu interessieren. Das bloße Flimmern der Leinwand ist oft reizvoll genug, damit wir für einen Augenblick aus unseren eigenen Gedanken austreten und unsere Aufmerksamkeit von etwas anderem leiten lassen als unseren eigenen Gedanken. Das ist die Kunst der visuellen Narration und mit dieser Grundeigenschaft ist der Film das ideale Mittel, um zu sensibilisieren, neugierig zu machen und dazu einzuladen, Nuancen wahrzunehmen. Das Kino macht das Ganze zu einem kollektiven Erlebnis und das Festival setzt dem einen würdigen Rahmen. Das alles birgt das Potential, Menschen zum Reflektieren anzuregen. Jeder Film entsteht aus einem simplen Gedanken, bevor er mit mühevoller Arbeit in langen Prozessen realisiert wird. Dass der Film am Ende oft neue, andere Gedanken produziert, empfinde ich als etwas Kraftvolles.
Der Angriff am 7. Oktober hat tiefgreifende Spuren in der Welt hinterlassen. Wie verändert ein solches Ereignis die Arbeit als Festivalleiterin?
Der Angriff am 7. Oktober und die darauffolgenden Kriege haben uns alle erschüttert und dabei unsere Verantwortung als Festival neu definiert – ganz besonders im Umgang mit Themen wie Menschenrechte, Krieg und Gerechtigkeit. In meiner Rolle spüre ich diese Verantwortung besonders, da wir Filme als ein Medium nutzen, um Perspektiven und Geschichten zu vermitteln, die oft im Schatten der Konfliktnarrative verborgen bleiben. Der diesjährige Schwerpunkt People in Conflict, der sich explizit implizit dem Nahost-Konflikt widmet, wurde bewusst gewählt, um genau diese Menschen und Geschichten ins Zentrum zu rücken. Ich glaube, in einer zunehmend polarisierten Stimmung – auch in Kunst und Kulturbetrieben – wird es wichtiger denn je, Räume für differenzierte Perspektiven zu schaffen. Wir versuchen daher eine Plattform zu sein, die auch in schwierigen Zeiten Dialog und Empathie fördert und die Menschen hinter den Konflikten in den Mittelpunkt stellt.
Dafür eignet sich das Festival bestimmt. Dennoch gibt es immer wieder Filme, die einen starken politische Impetus in eine Richtung haben. Müssen Filme eine klare Message haben?
Es ist schwierig, mit den drastischen Realitäten und der Dominanz medialer Berichterstattung Schritt zu halten. Ich glaube, dass besonders in Momenten wie wir sie aktuell erleben, Filme aber auch Kunst ganz allgemein eine notwendige Rolle spielen. Gute Filme schaffen es, jenseits dieser Schemata die Komplexität menschlicher Geschichten in Krisen abzubilden. Der tatsächliche politische Einfluss von Filmen ist daher eher indirekt, subtil. Eventuell funktioniert es aber nur bei denjenigen, die sich auf die Auseinandersetzung einlassen wollen. Realistisch betrachtet wird ein Film daher die Realität denke ich nicht verändern können, aber es kann auf jeden Fall ein Raum für Empathie und Dialog geschaffen werden. Und hoffentlich einige Menschen dazu bringen Konflikte aus neuen Blickwinkeln zu betrachten.
Muss ein Menschenrechts-Filmfestival nicht klar Position beziehen?
Für mich verhält es sich ähnlich wie mit politischer Kunst. Manchmal passiert es, dass Kunst etwas bewegt, dann kann das großartig sein. Diese Bewegung aber zu erwarten, ist fatal und birgt die Gefahr, Kunst im schlimmsten Fall Propaganda werden zu lassen. Welchen Impact der Film hat, hängt von einer Vielzahl von unterschiedlichen Zusammenhängen ab. Angefangen von der Ästhetik bis zu den Narrativen, die sich aus dem Werk ergeben. Wir zeigen nichts, das unseren Werten als Festival widerspricht. Mir fällt aber auf, dass im Gegensatz zu anderen Konflikten, besonders seit dem 7. Oktober und den verheerenden Kriegen in Gaza und Libanon ein gewisser Druck in Kulturinstitutionen besteht, sich vermeintlich klar auf eine Seite zu stellen. Das hinterlässt ein mulmiges Gefühl, da die Kunst und damit auch der Film dringend frei bleiben sollten. Frei von Zwängen, frei von Regeln, frei von einem Verhaltensdruck. Dass wir dabei eine klare Haltung haben, widerspricht dem nicht.
Du siehst den politischen Impetus von Kunst also kritisch?
Ich denke einfach, generell ist Kunst am besten zwecklos, und erst dann kann die Kunst – egal ob Bildende Kunst, Theater oder eben Film – wiederum einen individuellen Zweck bekommen.