Das Jüdische Museum in Berlin ist seit über fünf Jahren nicht nur ein Monument des Gedenkens, sondern auch Symbol für das historische Selbstverständnis der Berliner Republik. Ein Ort wie dieser fehlt in Wien.
Von Barbara Tóth
Das Jüdische Museum in Berlin saugt einen auf, zieht einen rein und lässt einen nicht mehr los. Wer angloamerikanische Museumskonzepte kennt, weiß, wie wenig davon im deutschsprachigen Raum bislang überzeugend umgesetzt wurde. In Berlin ist genau das der Fall. Das Museum ist mehr als eine Ausstellungsabfolge, es ist ein Gesamterlebnis, durchdacht bis in die letzte Ecke, architektonisch von Daniel Libeskind überzeugend umgesetzt. Der Besucher wird an der Hand genommen und durch ein eigenes Universum geführt. Trotz der Fülle an Exponaten, Räumen, thematischen Extra-Zimmern fühlt er sich nie überfordert, sondern kann sich einlassen, gustieren, stehen bleiben, weitergehen, ohne den Überblick zu verlieren. Schulklassen, für die Holocaust ein Wort der Vergangenheit ist, können sich hier wiederfinden, genauso wie Menschen, deren eigene Geschichte mit den schrecklichen Ereignissen zwischen 1933 und 1945 verbunden ist.
Dieses Museum lebt. Das war nicht von Anfang an so: Im September 2001 eröffnet, wurde der Bau des Architekten Daniel Libeskind zuerst als leere Architekturskulptur, als Touristenattraktion wahrgenommen. Die Absicht der rot-grünen Regierung war nicht zu übersehen, ihrer Berliner Republik mit diesem auffälligen Haus ein programmatisch korrektes Gesinnungsmonument zu schenken. Ein Museum, das „Zwei Jahrtausende deutsch-jüdischer Geschichte“ repräsentieren soll, wie es im Untertitel heißt, noch dazu in Berlin, der Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands – das war immer ein historisch heikles und vielfach belastetes Projekt. 1988 wurde es als „Berlin Museum/Jüdisches Museum“ projektiert. Damals erschien nur der Gedanke an eine mögliche Realisierung des Plans in der Ex- Hauptstadt des Völkermords bereits wie eine Erfolgsvision. Nachdem 1989 die Wahl auf Libeskinds sensationellen Zickzackentwurf „Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Jüdischem Museum“ fiel, tauchte prompt die Frage auf, wie autonom das künftige Gebilde sein müsse oder dürfe. Die Museumsmanager entschieden sich für den Weg der Vermittlung, nicht den der Kontroverse. Das brachte ihnen auch schon Kritik ein, etwa vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Er kritisierte die Ausstellungspraxis als zu sehr auf sich selbst bezogen und forderte mehr realitätsnahe, pointiertere Stellungnahmen und Expositionen zu aktuellen jüdischen Themen.
In der Tat erzählt das Museum von der Wirklichkeit der Juden in Deutschland nur marginal. Die Auseinandersetzung mit dem, was war, geht eindeutig vor. Sehr wohl aber thematisiert es die Frage, was jüdische Identität weltweit heute sein kann und ist. Inzwischen gilt es innerhalb der Gedenk-Trias aus Holocaust-Mahnmal, „Topographie des Terrors“ und Museum als einer der zentralen Orte deutscher Vergangenheitspolitik, überdies ein äußerst populärer: Seit der Eröffnung des Museums im September 2001 haben 3,7 Millionen Menschen aus dem In- und Ausland den Libeskind- Bau und seine Ausstellungen besichtigt. Die meisten Besucher durchlaufen die Dauerausstellung, die im zweiten Obergeschoss beginnt und im ersten endet. Es ist zu spüren, dass das Museum von einem Amerikaner – W. Michael Blumenthal – geleitet wird. Das schlägt sich nicht nur in der konsequenten Mehrsprachigkeit nieder, sondern auch in der Art der Museumsdidaktik. Manche mögen es banal finden, aber für Jugendliche, die mit dem Judentum nichts verbindet, mag es beispielsweise ein guter Ausstellungseinstieg sein, zu versuchen, den eigenen Namen auf Hebräisch zu tippen.
Der Weg zur Ausstellung führt durch einen langen, unterirdischen Gang. Hier kommt man unweigerlich an den beiden „Achsen“ vorbei, zwei schmalen Gängen, der eine führt in den „Holocaust-Turm“, ein enger, hoher, leerer und roher Raum fast ohne Licht, der nicht von ungefähr an einen gigantischen Schornstein erinnert und dem Besucher die Ausweglosigkeit des KZs nahebringen soll. Der andere Gang bringt einen in den Garten des Exils, einen im Freien gelegenen kleinen Park aus Betonstelen, auf denen Bäume gepflanzt sind. Wer den Garten – gerade nach der beklemmenden Erfahrung im Holocaust-Turm – betritt, fühlt sich erleichtert, befreit, sieht man doch endlich wieder den Himmel. Beim Abgehen der Stelen befängt einen dann ein seltsames Gefühl der Verunsicherung, des Schwankens, des Schwindels: Libeskind hat den Boden abschüssig gestaltet, wohl als Symbol für die Entwurzelung im Exil oder für den irritierenden Verlust der Heimat.
Diese beiden Achsen funktionieren wie eine Art Ouvertüre, sie setzen den emotionalen Grundton für die eigentliche Ausstellung, die stark wissensvermittelnd aufgebaut ist. Weil man als Besucher dort beginnt, wo alles endete, eben im Holocaust oder im Exil, sieht man die Exponate der Dauerausstellung, die eher konventionell und chronologisch (manchmal vielleicht sogar ein bisschen zu brav), aber mit viel Liebe zum Detail aufgebaut ist, danach mit anderen Augen. Kein herkömmliches Museum kann diese „Kontextualisierung“ mit den Mitteln des Raumes schaffen, dafür braucht es einen architektonisch durchdachten Neubau. Viele Besucher, die das Museum ein zweites oder drittes Mal besuchen, gehen nur mehr die beiden „Achsen“ ab – sie stehen inzwischen für sich, als Symbol für die jüdische Leidensgeschichte und als Ort des Gedenkens.
Das Jüdische Museum in Berlin
Adresse:
Jüdisches Museum Berlin
Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin
Info: 030/259 93 300
Fax: 030/259 93 409
info@jmberlin.de
fuehrungen@jmberlin.de
Öffnungszeiten:
Montag: 10–22 Uhr
Dienstag–Sonntag: 10–20 Uhr
Letzter Einlass für Besucher ist Dienstag bis Sonntag 19 Uhr, Montag 21 Uhr
Eintrittspreise:
Erwachsene: 5 Euro
Ermäßigt: 2,50 Euro
Kinder bis zum sechsten Lebensjahr: Eintritt frei
Familienticket (zwei Erwachsene, bis zu vier Kinder): 10 Euro
Schließtage:
13. und 14. September 2007 (Rosch ha-Schana)
22. September 2007 (Jom Kippur)
24. Dezember (Heiligabend)
Bewertung:
Zu Recht als Symbol für die deutsche Erinnerungspolitik gefeiert.