In Hohenems steht ein jüdisches Museum, das mehr macht, als das Schicksal der einst blühenden jüdischen Gemeinde in Vorarlberg zu dokumentiert. Es erweckt Geschichte zum Leben – und schreibt sie fort.
Von Christian Kollmann
Die Bilder bleiben in Erinnerung. Bilder von lachen den Menschen, Bilder, auf denen mehrere Generationen zu sehen sind. Bilder, die Lebensfreude ausdrücken. Sie zeigen Nachfahren von Hohenemser Juden und sind im dortigen jüdischen Museum zu sehen.
Aber der Reihe nach. Besucht man das Jüdische Museum im Vorarlberger Hohenems, lässt man sich auf eine Begegnung mit der Geschichte einer Jüdischen Gemeinde ein, die in vielen Facetten der Geschichte anderer Gemeinden in Europa ähnelt, aber gleichzeitig auch eine Vielzahl an Einzigartigkeiten aufweist. Das Museum selbst wurde im April 1991 gegründet und befindet sich in der Villa von Clara Heimann-Rosenthal aus der jüdischen Fabrikantenfamilie Rosenthal. Das von Hanno Loewy und seinem Team geführte Haus gibt dem Besucher einen tiefen Einblick in die Entwicklung, die Blüte und die Vernichtung einer ehemals prosperierenden jüdischen Gemeinde in den Alpen. Modernste Ausstellungsdidaktik samt mehrsprachigem Audiosystem und einer eigenen Kinderausstellung ermöglichen es, sich je nach individuellem Informationsbedürfnis mit beinahe 400 Jahren Geschichte und jüdischem Leben auseinanderzusetzen. Eine große Anzahl an Originaldokumenten, Ausstellungsstücken, Interviews und Hintergrundinformationen ermöglicht eine Begegnung mit der Geschichte, den sie prägenden Menschen und den gesellschaftlichen Stimmungen und Strömungen der jeweiligen historischen Epochen. Es sind zum Teil schmerzhafte Begegnungen.
Etwa dann, wenn man vor dem Plakat aus dem Jahr 1888 steht, das „Tod den Juden“ verkündete. Wo einmal mehr klar wird, dass Antisemitismus auch schon vor der Shoah in einer aggressiven und mörderischen Ausprägung vorhanden war. Umfassend zeigt die Ausstellung dazu die religiösen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Motive des Antisemitismus im Verlauf der Jahrhunderte auf. Und verweist dann darauf, wohin der Antisemitismus geführt hat, wenn die Besucher darüber informiert werden, dass die letzten acht in Hohenems gebliebenen Juden von den Nazis ermordet wurden, unter ihnen auch Clara Heimann-Rosenthal. Faszinierend und gleichzeitig erschreckend die Interviews mit jüdischen Flüchtlingen (Hohenems war aufgrund seiner Grenzlage zur Schweiz Ausgangspunkt vieler Fluchtversuche), mit Schweizer Fluchthelfern und Gendarmen, die von menschenverachtender bürokratischer Pedanterie genauso berichten wie von Mut und Zivilcourage in dunklen Zeiten. Unter anderem erfährt man dabei, dass das in den Pass gestempelte „J“ zur Kennzeichnung der Juden eine Idee der Schweiz war. Damals, als das „Boot voll“ war.
Man wird aber weder dem Museum und seiner Ausstellung noch der Geschichte der Hohenemser Juden gerecht, wenn man nicht die weit über die Grenzen Vorarlbergs hinaus reichende Wirkung der Gemeinde besonders hervorhebt. Seit 1617 entwickelte sie sich dank diverser Schutzbriefe der Grafen von Hohenems stetig. Tätigkeiten in Handel, Gewerbe und Industrie ließen ihren Einfluss und ihre Bedeutung – weit über den Bodenseeraum hinaus – rasch wachsen. Kurz nach der Blütezeit der Gemeinde Mitte des 19. Jahrhunderts ging die Zahl der jüdischen Bewohner, nicht zuletzt aufgrund des wachsenden Antisemitismus, rasch wieder zurück. Es begann eine Art Hohenemser Diaspora, die viele Juden in alle Teile der Welt führte. Bereits 1869 waren es nur mehr 221 Einwohner, 1937 zählte die Gemeinde lediglich 38, im Juni 1938 noch 27 Mitglieder, 1939 wurde die Gemeinde aufgelöst und im Februar 1942 war Hohenems unter tatkräftiger Mithilfe lokaler Behörden „judenfrei“.
In Tausenden europäischen Städten und Gemeinden war dies der Schlusspunkt unter einer jahrhundertelangen Geschichte und Entwicklung. Hier in Hohenems ist das anders. Denn auch wenn es keine jüdische Gemeinde mehr gibt, so gibt es doch wieder ein jüdisches Leben in Hohenems. Verantwortlich dafür ist zum einen das Museum selbst. Denn es gehört, so Direktor Loewy, inzwischen zu den kulturellen Fixpunkten in Vorarlberg. Man ist im Ländle stolz auf das Museum, besucht es mit Gästen aus dem In- und Ausland. Das Museum hat sich zu einem Ort der Begegnung für viele Menschen im Bodenseeraum entwickelt, zu einem Ort der Anregung, der Besinnung, auch der manchmal „ironischen Annäherung an Dinge, die man oft zu ernst nimmt“, wie Loewy die Positionierung seines Museums auf der „mentalen Landkarte“ zusammenfasst. Zum anderen sind es die Treffen der Nachkommen der Hohenemser Juden, die der Stadt wieder ein jüdisches Leben zurückgegeben haben. Zweimal, 1998 und im Sommer 2008 fanden diese Treffen, die aus einer Initiative von Felix Jaffé-Brunner hervorgegangen sind, bisher statt. Zuletzt waren es rund 130 Nachfahren (von insgesamt rund tausend weltweit gefundenen) und deren Freunde, die aus der ganzen Welt nach Hohenems gekommen sind.
Wie im Museum selbst so steht auch bei diesen Treffen der Aspekt der Begegnung im Mittelpunkt. Ganz wichtig, betont Direktor Loewy, war diesmal die Intention, die Zugehörigkeit der Hohenemser Diaspora an die nächsten Generationen weiterzugeben. Das dürfte gelungen sein. Denn die Kinder der Familien haben das gesamte Treffen in einem Video dokumentiert, das zum Abschlussfest allen Teilnehmern vorgeführt wurde. Menschen aus den USA, Kanada, Australien, Israel und vielen europäischen Ländern sind nach Hohenems gekommen, um ihre Geschichten weiter leben zu lassen. Vielleicht auch um zu zeigen, dass sich das Leben trotz Vertreibung, Deportation und Vernichtung durchgesetzt hat. Und genau das sieht man auf den Bildern von lachenden Menschen aus mehreren Generationen, die so große Lebensfreude ausdrücken. Das scheint ein Garant dafür zu sein, dass es noch viele Treffen der Nachkommen geben wird.
JÜDISCHES MUSEUM Hohenems
Schweizer Straße 5
6845 Hohenems
www.jm.hohenems.at