Der israelische Botschafter Aviv Shir-On beendet in diesem Jahr seine Mission in Österreich. Im NU-Interview spricht er über seine Erfahrungen in Österreich, über das Image Israels im Ausland und die Chancen auf einen dauerhaften Frieden.
Von Danielle Spera und Peter Menasse (Interview) und Jaqueline Godany (Fotos)
NU: Herr Botschafter Shir-On, Sie werden in Kürze Österreich verlassen, gibt es eine Wunschdestination?
Shir-On: Es wäre schön, meine Karriere in Berlin abzuschließen, wo ich sie als junger Diplomat begonnen habe. Das war damals für mich viel mehr als nur eine diplomatische Aufgabe. Meine Mutter musste 1936 Deutschland verlassen. Daher war es für mich schon etwas Besonderes, eine für unsere Familie symbolische Mission.
Ist Berlin nicht ohnehin ein interessanter Einsatzort für israelische Diplomaten?
Selbstverständlich, Berlin ist für Israel aufgrund der Geschichte und der besonderen Beziehungen zu einem sehr wichtigen Posten geworden. Verstärkt wird das noch durch die Rolle Deutschlands als Wirtschafts- Powerhaus, als ein dominantes Land in Europa. Und es ist heute ein enger Verbündeter Israels.
An welcher Stelle kommt Österreich?
An einer wichtigeren Stelle, als Österreich derzeit international steht. Österreich ist ein kleines Land, genau wie Israel. Aber gerade für Israel oder für Juden bedeutet Österreich mehr, als es die Größe oder die Bevölkerungszahl sagt, gerade wegen der Geschichte, auch wegen der Bedeutung der jüdischen Geschichte in Europa. Ich lese jetzt das Buch Der Hase mit den Bernsteinaugen (Edmund de Waal über die Familie Ephrussi). Die Wiener Geschichte ist sehr stark jüdisch geprägt; deswegen sind auch die Verbindungen immer noch viel stärker als mit anderen kleinen Ländern. Insofern ist es für einen israelischen Diplomaten eine besondere Aufgabe, Israel in Österreich zu vertreten. Ich bin glücklich, dass ich dieses Privileg hatte.
Wie haben Sie Österreich erlebt?
Durchaus positiv. Dass es natürlich ab und zu Rückschläge und Enttäuschungen gibt, ist ein Teil des Lebens, sonst wäre alles zu schön, vielleicht auch zu langweilig. Meine Frau und ich haben hier so vieles entdeckt, das wir über Österreich und Wien vorher nicht wussten. Wir waren überrascht von der kulturellen Vielfalt, vom Leben im Allgemeinen, von den Menschen auf der Straße, den Kaffeehäusern. Wir haben vieles erfahren: Die Geschichte, die Landschaft, die jüdische Gemeinde, das wunderbare Essen. Wir waren auch sehr froh zu sehen, wie sich das jüdische Museum in den letzten Jahren entwickelt hat, und das sage ich nicht, weil Sie hier sitzen. Ich habe das Museum vorher gekannt und heute, da ist ein riesiger Fortschritt erzielt worden.
Wo erlebten Sie Rückschläge?
Die Probleme, die wir gerade als israelische Diplomaten erleben, liegen nicht in den israelisch-österreichischen Beziehungen allein. Die gibt es auch mit anderen Ländern, auch mit unseren engsten Verbündeten, seien es die USA oder Deutschland, und insofern ist das eine übliche Aufgabe eines Diplomaten.
Darf ich gleich anschließen – vor dreieinhalb Jahren sind wir schon einmal zusammengesessen. Mit welchen Gefühlen sind Sie damals nach Österreich gekommen, und haben sich die bestätigt? Oder gehen Sie jetzt mit einem ganz anderen Gefühl wieder weg?
Wegen der gemeinsamen schwierigen Geschichte sind wir mit einiger Unsicherheit nach Wien gekommen. Ich kann sagen, dass wir mit einem besseren Gefühl von hier weggehen, mit einer Zuversicht, dass die Beziehungen sich in manchen Bereichen verbessert haben. Viele Jahre lang war die offizielle Haltung Österreichs, dass das Land das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen sei. Eine Woche nach meiner Ankunft in Wien war ich beim Bundespräsidenten eingeladen – mit ehemaligen jüdischen Wienern, denen die Flucht vor den Nazis gelungen ist. Das erste, was Bundespräsident Heinz Fischer ihnen gesagt hat, war, dass dieser Mythos, Österreich sei das erste Opfer, nicht stimme. Man solle sich die Bilder vom Heldenplatz beim Anschluss anschauen, als Hitler da mit seinem offenen Wagen vorfuhr, da könne man nicht von Opfer reden. Das war auch für mich eine erste positive Überraschung. Heute legen die meisten österreichischen Politiker diese geänderte Haltung an den Tag.
Aber wenn ich jetzt beim Bundespräsidenten gleich einhaken darf, vor kurzem hat er Mahmoud Abbas empfangen. Österreich wird vielfach vorgeworfen, eine zu palästinenserfreundliche Haltung einzunehmen. Wie sehen Sie das?
Ja, hier berühren wir einen Streitpunkt zwischen Israel und Österreich: die Art und Weise, wie Österreich die Dinge im Nahen Osten analysiert. Der gleiche Bundespräsident hat beim letzten Neujahrsempfang für die Diplomaten als eines der Hauptthemen die israelische Siedlungspolitik gewählt und sie kritisiert.
Wie beurteilen Sie die Siedlungspolitik?
Die Siedlungen sind ein Problem, das gebe ich auch als Israeli zu, aber zu oft und in zu vielen Ländern, auch in Österreich, werden die Siedlungen als das Hauptproblem im Nahen Osten gesehen. Ich versuche immer zu erklären, dass es keinen Frieden vor den Siedlungen gab, und wenn morgen früh alle Siedlungen abgebaut werden würden, gäbe es trotzdem keinen Frieden, denn sie sind nicht der Grund für den Konflikt.
Es ist sehr einfach, einen einzelnen Punkt zu wählen und daraus das Hauptthema zu machen, weil die Hintergründe kompliziert sind, oder weil man das Hauptproblem nicht ansprechen will. Es ist leicht zu sagen: Ja wenn Israel den Siedlungsbau stoppt, dann ist alles Friede, Freude, Eierkuchen. Aber das ist falsch. Hier gelten aber mildernde Umstände für Österreich, denn viele in der EU sehen es so.
Der Bürgerkrieg in Syrien mit nunmehr 80.000 Toten scheint hingegen hierzulande kein großes Thema zu sein.
Österreich ist in Sorge wegen seiner UNO-Truppe, 377 Soldaten auf den Golan-Höhen. Da die Umstände so gefährlich wurden, ist Außenminister Spindelegger nach Israel gereist. Ich war bei den Treffen mit Premierminister Netanjahu und Präsident Shimon Peres dabei. Jetzt erst wird erkannt, dass in Syrien ein Bürgerkrieg herrscht und daher die persönliche Sicherheit der Soldaten nicht mehr gewährleistet ist. Es heißt, man muss Maßnahmen ergreifen, um den Gefahren zuvorzukommen usw. Plötzlich wird hier klar, wie gefährlich es im Nahen Osten sein kann.
Die Situation, wie sie die österreichischen Soldaten derzeit auf den Golan- Höhen erleben, ist die Lage Israels seit seiner Gründung, und die Menschen hier in Europa wollen das einfach nicht wahrhaben. Die Menschen begreifen es nicht, weil sie diesen Gefahren nicht täglich ausgesetzt sind. Ich bin in so eine Atmosphäre hineingeboren, in ihr groß geworden, musste in Kriegen kämpfen. Vor kurzer Zeit sind zwei österreichische UNO-Soldaten in Syrien verletzt worden. Wo, glauben Sie, hat man sie hingebracht? In ein israelisches Krankenhaus.
Wie ist es Ihnen im Umgang mit der Presse ergangen?
Es liegt in der Natur der Medien, sich auf die Konflikte zu konzentrieren. Wenn alles schön, gut und einfach ist, dann gibt es keine Story. Es braucht Spannung, damit man eine Geschichte hat. Ich glaube, Journalisten müssen versuchen, möglichst ausgewogen zu berichten, um das richtige Bild zu vermitteln. Und wenn ein verzerrtes Bild dargestellt wird, um die Spannung zu erhöhen, dann sehe ich darin auch ein professionelles Problem. Wir wissen, dass Journalisten nicht ganz objektiv sein können, aber sie müssen es auf jeden Fall versuchen. Ich erwarte zum Beispiel nicht vom palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas, objektiv zu sein. Er ist es nicht, und ich bin es auch nicht. Wir sind Parteien in einem Konflikt mit gegensätzlichen Interessen, die Medien müssen aber beide Positionen bringen.
Wo steht die österreichische Medienlandschaft, was das Verhältnis zu Israel anlangt?
Sie ist nicht besonders Israel-freundlich. Allerdings haben manche Journalisten im Nachhinein zugegeben, dass sie das Bild etwas verzerrt dargestellt haben, wenn auch nicht immer mit Absicht. Der Konflikt im Nahen Osten ist äußerst kompliziert. Ich vergleiche ihn immer mit der Lage am Balkan. Die Geschichte spielt eine Rolle, und ich kann nicht erwarten, dass jeder Österreicher sich genau auskennt.
Ich habe versucht, hier Kontakte mit den Medien zu knüpfen. Allerdings war das Interesse nicht immer sehr groß. In der Schweiz war das anders. Da haben die Medien eng mit den Diplomaten zusammengearbeitet. Natürlich ist es klar, dass Botschafter das Etikett ihrer Regierungen tragen. Doch die israelische Regierung ist in diesem Fall ein Faktor.
Hat Israel Ihrer Meinung nach in Österreich ein Imageproblem?
Leider nicht nur in Österreich. Wir haben das Problem, dass nach so vielen Jahren Konflikt und Spannung das Bild Israels davon geprägt ist. Die Tatsache, dass die Kultur in Israel wirklich floriert, findet kaum Niederschlag. Theater, Tanz, Literatur, aber auch die Filmindustrie erleben ein Hoch! In den vergangenen Jahren waren oft israelische Filme für den Auslands-Oscar nominiert. Aber die Filme, die man gewählt hat, hatten fast alle mit dem Konflikt zu tun. Es waren nicht einfach Liebesgeschichten oder etwas Menschliches. Immer ist alles mit dem Konflikt verbunden. Das ist eines unserer Imageprobleme. In Wien haben wir den Tel-Aviv- Beach initiiert, das ist ein großer Erfolg, damit können wir zeigen, dass es in Israel auch andere Dinge gibt. Ja, wir leben in einer Konfliktsituation und Frieden ist das Wichtigste, das wir brauchen, aber es gibt auch vieles andere mehr.
Lässt sich das Imageproblem lösen?
Wenn Sie Tel Aviv, Jerusalem oder meinen Geburtsort Ashkelon, der ständig Ziel von Raketen aus dem Gazastreifen ist, besuchen, werden Sie sehen, es gibt Wirtschaft und Handel, Schulen und Kinderprojekte, es gibt Kultur. Das alles hat nichts mit dem Konflikt zu tun, denn auch in Israel versuchen die Menschen ganz normal, so normal wie möglich zu leben, wie alle Menschen auf der ganzen Welt. Und was wollen Menschen? Sie wollen ein besseres Leben, sie wollen bessere Bildung für ihre Kinder, sie wollen Kultur, sie wollen das Leben genießen. Dass ab und zu Raketen einschlagen, ist ein Thema, aber es ist nicht das einzige. Die Medien und viele andere konzentrieren sich hauptsächlich darauf, und dann entsteht ein verzerrtes Bild. Und das habe ich hier in Wien versucht richtigzustellen.
Wie sieht es mit der Zweistaatenlösung aus? Manche meinen, sie sei nicht mehr durchführbar.
Also ich glaube nicht, dass das stimmt. Es gibt manche, die von Anfang an dieser Zweistaatenlösung nicht zustimmen wollten oder nicht an sie glaubten. Das sind hauptsächlich jene, die an einer Koexistenz uninteressiert sind. Die einen wollen einen jüdischen Staat auf dem gesamten Territorium. Die anderen wünschen sich einen arabischen oder palästinensischen Staat, und die Juden werden entweder ins Meer geworfen oder müssen zurück nach Europa. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass die Mehrheit auf beiden Seiten an einer friedlichen Lösung interessiert ist. Das kann nur in Form einer Zweistaatenlösung stattfinden. Denn ein Staat für zwei Völker heißt, dass weder die Palästinenser noch die Juden ihren Traum oder ihr Recht auf Selbstbestimmung erfüllen können. Übrigens, der Staat Israel mit mehr als einer Million palästinensischer Staatsbürger, mit seiner Demokratie und pluralistischen Gesellschaft ist ein Beweis dafür, dass diese Koexistenz möglich ist.
Bei unseren Nachbarn ist eine solche Koexistenz fast unmöglich. Es leben kaum noch Juden in den arabischen Staaten. Versuchen Sie in Saudi-Arabien eine Kirche oder eine Synagoge zu bauen – das ist ebenfalls nicht möglich. Deswegen sehen wir im Übrigen auch einige Probleme mit diesem Dialogzentrum, das die Saudis in Wien aufbauen. In Mekka oder Riad kann man so etwas nicht eröffnen. Aber das ist schon ein Thema für sich.
Was kann man von der neuen israelischen Regierung erwarten?
Die neue Regierung in Israel ist interessant, denn sie will sich vermehrt wirtschaftlichen und sozialen Themen widmen. Die Politik wird also nicht nur von der Frage des Friedens beherrscht. Zum ersten Mal nach vielen Jahren sind die Orthodoxen nicht in der Regierung vertreten. Da ging es auch um die Frage: Wie werden die Lasten aufgeteilt? Zwei große Parteien in der neuen Koalition, das sind Atid und das Jüdische Haus, liegen zwar in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen nah beieinander, was aber den Frieden und die Sicherheitspolitik betrifft, gibt es bedeutende Meinungsunterschiede.
Abschließend wieder zu Österreich, gab es für Sie hier ein Schlüsselerlebnis?
Ich war glücklich, hier auf eine lebhafte, vielfältige jüdische Gemeinde zu treffen, mit einer Infrastruktur, auf die größere und reichere Gemeinden auf der ganzen Welt neidisch sein könnten. Die Tatsache, dass ich Deutsch spreche, erlaubte mir auch, Theater und Literatur zu genießen und Gespräche mit hochrangigen Politikern, aber auch mit den Menschen auf der Straße zu führen. Antisemitismus habe ich persönlich hier kaum erfahren, bis auf manche Bemerkungen hie und da, aber das wiederum kann überall passieren, nicht nur in Österreich.
Man braucht nicht einmal Juden dazu.
Genau. Und ab und zu hört man Dinge, die einen stutzig machen. Das müssen wir weiterhin bekämpfen, Juden, Nichtjuden, der Staat Israel, aber auch alle anderen. Und deswegen ist es so wichtig, dass es das Jüdische Museum gibt, dass es eine gut organisierte jüdische Gemeinde gibt, und ich glaube, dass auch die Gesellschaft, die Regierung auf dem richtigen Weg sind. Parlamentspräsidentin Prammer übt hier eine Vorreiterrolle aus. Dass wir Veranstaltungen z. B. für die Gerechten der Völker im Parlament abhalten können, das ist genau der richtige Weg, um die Vergangenheit zu bewältigen und gegen neuen Antisemitismus zu agieren.
Wenige Minuten vor Drucklegung erreicht uns die Nachricht, dass Österreich seine Truppen vom Golan zurückzieht. Wie kommentieren Sie diese Maßnahme?
Diese Entscheidung bedauern wir, auch wenn sie nachvollziehbar ist. Wir wissen den österreichischen Beitrag für den Frieden im Nahen Osten zu schätzen, glauben aber, dass gerade in brenzligen Situationen die Blauhelme vor Ort bleiben sollen. Israel hat leider nicht die Möglichkeit wegzugehen, wenn die Gefahr steigt. Wir müssen dort bleiben und um unser Überleben kämpfen, und das tun wir seit 65 Jahren.