Im März wurde die Nationale Strategie gegen Antisemitismus im Parlament verabschiedet. Sie läutet eine neue Phase der Auseinandersetzung mit dem Thema ein.
Von Nini Schand
Der Kampf gegen Antisemitismus, lange Zeit zu wenig beachtet, verdrängt oder marginalisiert, ist nun kein Randthema mehr – und kein solches einiger wenige Interessierter, Engagierter oder manchmal skeptisch beobachteter „Weltverbesserer“. Es ist selbstverständliche gesellschaftspolitische Verpflichtung geworden, gegen antisemitische Äußerungen und Tendenzen aller Art vorzugehen. Die vorliegende Strategie ist Ausdruck dieses Momentums.
Die Nationale Strategie gegen Antisemitismus kommt zum richtigen Zeitpunkt. Nicht zuletzt die Pandemie hat nicht mehr für möglich gehaltenen antisemitischen Rückgriffen in die Nazizeit – wie zum Beispiel dem Tragen des gelben „Judensterns“ – und Anfeindungen Raum geboten. Dazu kamen Angriffe auf Mitglieder der jüdischen Gemeinde, beschmierte Friedhöfe, europaweite massive antisemitische Ausschreitungen im Rahmen propalästinensischer und antiisraelischer Demonstrationen.
Die Strategie ist zweifellos ein Meilenstein. Erstmals wird damit nationaler Konsens darüber festgehalten, dass Antisemitismus in all seinen Ausformungen konsequent benannt und bekämpft werden muss, nicht weggeschaut werden darf. Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss alle in die Verantwortung nehmen. Es geht alle an. Man fragt sich, wo man ansetzen soll – und die Antwort der Bundesregierung ist: überall. Genau deshalb braucht es ein geschlossenes Vorgehen, ein Bekenntnis der öffentlichen Stellen, das auf allen Ebenen staatlichen Handelns Einzug hält. Aber es geht auch darum, diese Bemühungen in der Zivilgesellschaft zu verankern.
Sechs Säulen
Die Strategie baut auf sechs definierten Säulen auf, von den Kapiteln Bildung, Ausbildung und Forschung über die Sicherheit und den Schutz jüdischer Gemeinschaften und Einrichtungen bis zur effektiven Strafverfolgung und den Rahmenbedingungen im Integrationsbereich. Die Dokumentation und ein europaweiter Datenvergleich sowie die Adressierung des gesellschaftlichen Ansatzes bilden den Abschluss, wobei der Übergang in vielen Fällen fließend ist.
Nun geht es darum, dass dieser umfassende und alle Lebensbereiche inkludierende Katalog von 38 Maßnahmen mit Leben erfüllt wird. Es sind Leitlinien, um Bestehendes auszubauen und Neues voranzutreiben – mit Überzeugung, Engagement und Nachdruck. Manches ist nicht neu, soll aber vertieft und ausgebaut werden – zum Beispiel die Bekämpfung von „hate speech“ und die Ausbildung des Lehrpersonals –, oder es soll eine engere Zusammenarbeit und ein intensiverer Austausch aufgebaut werden, wie beispielsweise die Antisemitismusaufklärung an den Schulen, im Integrationsbereich oder bei der Erfassung statistischer Daten. Zudem listet die Strategie exemplarisch jene Institutionen und Initiativen in Österreich auf, die sich dem Thema verschrieben haben. Und sie stellt eine Zusammenschau über die bis dato vorliegenden Statistiken, Dokumentationen und Untersuchungen zur Verfügung, die von verschiedenen Stellen – vom Innenministerium über die EU-Agentur für Grundrechte bis zum Parlament – publiziert worden sind.
Absicherung des Kulturerbes
Ermutigend ist, dass es bereits konkrete Umsetzungen neuer Maßnahmen gibt. Auf Grund der mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im März 2021 unterzeichneten Leistungsvereinbarung wird die ÖAW noch heuer ein Zentrum für Antisemitismusforschung gründen und stufenweise ausbauen. Die Forschungsstelle soll sich vor allem „interdisziplinärer Grundlagenforschung zu den Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen von Antisemitismus, Antijudaismus und Antizionismus in Österreich und im Europa der Gegenwart“ widmen.
Ein wegweisendes Element der Strategie und ein entscheidender Schritt des Bekenntnisses der Republik zur Förderung jüdischen Lebens in Österreich ist zweifellos das neue, bereits geltende Gesetz zur Absicherung des österreichisch-jüdischen Kulturerbes, das im Parlament einstimmig verabschiedet wurde.
Die Strategie wurde im Nationalrat debattiert und von allen Fraktionen mitgetragen – wobei die FPÖ die formale Kenntnisnahme ablehnte –, aber sie muss sich diesen Debatten immer wieder stellen: Ein jährlicher Umsetzungsbericht ist im Parlament zu präsentieren und soll dafür sorgen, dass das Thema auf der parlamentarischen Agenda bleibt, abgesehen von den entsprechenden, gesetzlich zu verankernden Maßnahmen.
Wichtige Kooperation
Ihren Ausgangspunkt nahm die Strategie in einer unter österreichischem EU-Vorsitz verabschiedeten Ratserklärung 2018, in der sich alle EU-Mitgliedstaaten zur Erarbeitung einer nationalen Strategie verpflichtet haben. Und das Engagement auf EU-Ebene geht weiter, denn noch für heuer hat die Europäische Kommission eine eigene EU-weite Strategie gegen Antisemitismus angekündigt.
Ein bis dato ausgesparter Bereich ist indes der Beitrag von Kunst- und Kulturinstitutionen. Das ist insofern nicht nachvollziehbar, als vor allem Kunst- und Kulturveranstalter oft den – und sei es auch niederschwelligen – Anstoß dafür geben, sich mit jüdischem Leben zu befassen, wodurch ein wesentlicher Beitrag zur Sensibilisierung für das Thema geleistet wird, sei es durch das Jüdische Museum Wien, die Salzburger Festspiele, und viele andere.
In diesem Sinne wird der Gründung der „Plattform zur laufenden gesamtgesellschaftlichen Abstimmung“ eine besondere Rolle zukommen. Sie soll eine gute Kooperation zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, aber auch den vielen anderen „Stakeholdern“, wie Gebietskörperschaften, der Zivilgesellschaft und Religionsgesellschaften ermöglichen. Das Gelingen dieser Vernetzung wird auch wesentlich den Erfolg dieser Strategie bestimmen.