Das Dorotheum definierte sich bis in die 1990er Jahre als Opfer des Nationalsozialismus. Diese Mythologisierung diente auch der Abwehr von Restitutions-ansprüchen. Das ist eines der ernüchternden Ergebnisse im nun vorliegenden Historikerbericht „Zwischen Staat und Wirtschaft. Das Dorotheum im Nationalsozialismus“.
Von Alexia Weiss
Wer sich von dem Jahre lang erwarteten Bericht eine penible Dokumentation der über das Dorotheum „arisierten“ Werte erhofft hat, wird enttäuscht. Es finden sich in dem Report weder einschlägige Auktionslisten noch eine lückenlose Aufstellung von im NS-Regime Enteigneten, deren Hab und Gut mit Hilfe des Dorotheums den Besitzer wechselte. Viele Unterlagen seien nicht mehr zugänglich, argumentiert man im Auktionshaus. Bomben-schäden hätten Material vernichtet, die Bürokratie der Nachkriegszeit habe in den sechziger Jahren weitere Geschäftsunterlagen skartiert. Die Studienautoren Stefan August Lütgenau, Alexander Schröck und Sonja Niederacher haben sich daher vor allem auf die Fragen konzentriert, wie das Dorotheum zum Werkzeug der NS-Enteignungsmaschinerie wurde, wie es sich personell und hinsichtlich der Geschäftsabläufe in das System eingepasst hat und wie es nach 1945 mit seiner Rolle im Nationalsozialismus umgegangen ist. Dazu das Fazit Lütgenaus: „Erst im Zusammenhang mit derNeubewertung und Neubetrachtung der Zeit des National–sozialismus und der Restitutions- und Kompensationspolitik der Zweiten Republik Ende der 1990er Jahre trat auch im Dorotheum ein Kurswechsel ein, der nach dem Eigentümerwechsel (das Auktionshaus wurde 2001 privatisiert, Anm.) noch verstärkt wurde.“ In der Ersten Republik und in den Jahren des Austrofaschismus bildete das Pfandgeschäft die wirtschaftliche Basis des Dorotheums. Mit dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland 1938 sowie dem beginnenden Weltkrieg nahm dieser Geschäftsbereich jedoch rapide ab. Das Dorotheum musste sich neu orientieren. Es galt andere profitable Geschäfte zu machen. Diese wurden vor allem im Bereich der hochwertigen Kunst-objekte gesehen. Zeitgleich wurde das Personal des Auktionshauses ausgewechselt: Die bereits seit Beginn der 1930er Jahre innerhalb des Dorotheums gut organisierten Nationalsozialisten sorgten für eine entsprechende durchgehende „Säuberung“. Die strategische Neuausrichtung verzögerte sich jedoch bis in die Jahre 1942/43. Die Konjunkturlage hatte sich quasi von selbst entspannt – der Grund: die Verwertung von NS-Raubgut aus jüdischem Besitz. Das Dorotheum wurde „zum Kollaborateur des nationalsozialistischen Unrechtsregimes. Ihm kam die Aufgabe zu, die enormen Massen an unterschiedlichstem mobilem Raubgut zu möglichst hohen Preisen zu verwerten“. Dadurch, dass sich das Auktionshaus nicht direkt an „Arisierungen“ beteiligte, habe es aber formal Distanz zu den Opfern gehalten, so die Autoren des Berichts. Lediglich die Übernahme der Funktion als „öffentliche Ankaufsstelle“ für Schmuck und Edelmetalle im Rahmen der „§ 14-Ablieferungen“ (§ 14 des Artikels 4 der „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ vom 3. Dezember 1938, Anm.) führte dazu, dass das Auktionshaus Verfolgten direkt gegenüber treten musste. Das Haus behielt als Provision für seine Dienstleistung für den Staat zehn Prozent des an die Opfer zur Auszahlung gelangenden, unangemessen niedrigen Ankaufsbetrags ein, während das Raubgut an die Behörden in Berlin oder an Schmelzen abgeliefert wurde. Insgesamt wurden mehr als 15.000 Ablieferungen nach § 14 im Dorotheum registriert. „Das Kerninteresse des Dorotheums war es, Geschäfte zu generieren. Dabei nahm es in Kauf, dass die Habe der Vertriebenen und Deportierten ihren Weg durch das Dorotheum nahm“, so die Historiker. Ganz anders dann die Rückblende nach 1945: Unter Ausschaltung jeglicher eigenen Aktivität und Kontrollmöglichkeit durch die Reichsstellen sei das Haus zu einem NS-Instrument umgeformt worden, hieß es. Das Unternehmen als Opfer also. „Diese Lesarten der NS-Geschichte des Dorotheums sind als Mythen zu bezeichnen“, heißt es in dem Report ganz klar. Denn: „Das Dorotheum zeigte bei der Umsetzung der Geschäfte mit Raubgut keine ambivalente Haltung, sondern nutzte das Angebot des Staates, wo immer es ihm betriebswirtschaftlich sinnvoll erschien.“ Das Selbstbild als Opfer führte nach 1945 allerdings zur Abwehr von Restitutionsansprüchen. So heißt es in dem nun erschienenen Historikerbericht: „Ansprüche auf Restitution und Entschädigung lehnte das Dorotheum grundsätzlich ab und es war überdies bereit, seine MitarbeiterInnen in dieser Problematik zu schützen. Diese Ablehnung ging so weit, dass das Haus in Konflikt mit dem österreichischen Recht – d.h. der Verpflichtung zur Anmeldung von entzogenem Vermögen nach der Vermögensentziehungs-Anmelde-verordnung (VEAV) – kam.“ Nachsatz der Studien-Autoren: „Der teilweise Nicht-Vollzug des geltenden Rückstellungsrechts der Republik war jedoch weit verbreitet und kennzeichnend für die Haltung von Firmen und Privatpersonen in Österreich zur Restitution.“ Kurz nach der Privatisierung des Dorotheums – es ist nun Teil der Soravia Gruppe – wurden als „symbolischer Akt gegenüber den Opfern und Nachkommen“ 32 Millionen US-Dollar aus dem Verkaufserlös des Auktionshauses in den 2001 eingerichteten Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus eingezahlt. Zudem wurde von der neuen Geschäftsführung eine eigene Abteilung für Provenienzforschung eingerichtet. Diese forscht aber nur bei aktuell eingebrachten Objekten zweifelhafter Herkunft nach. „Alte Fälle“ werden nicht neu aufgerollt – hier wird an den Entschädigungsfonds verwiesen. Ex-SPÖ-Bundeskanzler Franz Vranitzky zollt dem Unterfangen Historikerbericht in einem Vor-wort zur Studie dennoch Tribut. Es gehe „um Wahrheit“, meint Vranitzky. „Die Konstruktion der Unternehmensgeschichte des Dorotheums ist zugleich die Dekonstruktion dieser immer wieder erneuerten Mythen.“ Denn: „Das österreichische Führungspersonal des Dorotheums wusste, was man im Dritten Reich von ihm erwartete und erbrachte seinen Beitrag zur Ökonomisierung der Vernichtung der europäischen Juden. Wie und innerhalb wie langer Zeit die Zweite Republik sich damit beschäftigte, ist mittlerweile bekannt.“ WEB-TIPPS: www.dorotheum.at www.oldenbourg.at