Heimrad Bäckers Fotografien und Texte im Wiener Mumok: Die „nachschrift“ als notwendige Aufhebung des Mörder-Idioms.
Auf den Schwarzweißfotos des Linzer Dichters, Lichtbildners und Verlegers Heimrad Bäcker (1925–2003) entfaltet die Zeit ein Werk der Verunklärung. Wie Mehltau legt sich ihre Gleichgültigkeit auf die Anlagen der Nazi-Mörder, auf die Bruchsteine und Kasematten von Mauthausen und Gusen.
Was menschliche Niedertracht ersonnen hat, um die Opfer des Rassismus in Arbeitssklaven zu verwandeln, erscheint im Abstand von drei oder vier Jahrzehnten eigentümlich entfärbt. Die Fotografien Heimrad Bäckers, im zweiten Untergeschoß des Wiener Mumok zu besichtigen, enthüllen ihre enorme Beredtheit erst auf den zweiten Blick. Mitunter sind es gerade die Verheerungen der Zeit, die die Artifizialität der von Bäcker vorgefundenen Trümmer und Fragmente bestätigen.
Funktionsgemäß verhalten sich Bäckers Aufnahmen wie Negativbilder. Ihre Menschenleere bezeugt das Leiden der Opfer, die der NS-Selektions- und Vernichtungsapparat mit der ganzen Gründlichkeit seiner bürokratisch verfassten Struktur systematisch ihrer Menschenwürde beraubt hat.
Es ist gerade die scheinbare Versachlichung, die das Unmaß der zur Ansicht gelangenden Monstrosität enthüllt. Noch Max Weber glaubte, in seinem berühmten Vortrag Politik als Beruf 1919, das Wesen beamteter Tugendhaftigkeit ausgerechnet durch dessen Unterwerfung unter den Sachzwang rechtfertigen zu dürfen. Gerade die „im Interesse der Integrität hochentwickelte ständische Ehre“ soll das zielgerichtete Treiben der Beamten von der „Dilettantenverwaltung“ durch „Beutepolitiker“ – denen es ohnehin nur auf ihre materiellen Interessen ankomme – vorteilhaft abheben.
Was Max Weber an der „rein technischen Leistung des Staatsapparats“ noch ausdrücklich guthieß, verkommt unter den bürokratischen Mörderhänden von Eichmann und Konsorten zur Unentrinnbarkeit des Pseudo-Sachzwangs. Auch davon erzählen Bäckers karge Bilder von Schwund und Verwitterung: Das Getriebe verhält sich gleichgültig gegen den ihm vorgesetzten Zweck. Darin aber liegt der wahre Fluch seiner Rationalität.
Fletschen der Reißzähne
Bäcker, der Fotograf, benutzte Methoden der Avantgarde, zumal diejenigen der Konkreten Poesie. Die kleine, schlichte Ausstellung im Mumok nennt sich „es kann sein, dass man uns nicht töten wird und uns erlauben wird, zu leben“. Dieser vollkommen unerhörte Satz, der von der gewaltsamen Übertragung der Behördensprache auf deren Opfer erzählt, ist zweifelsfrei dokumentiert. Die Mordlust scheint in ihm aufgehoben. Sie kehrt unüberhörbar wieder: indem sie den Todgeweihten eine Form der Höflichkeit aufnötigt, die das Fletschen der Reißzähne in eine Form der Achtsamkeit umerzählt. Geäußert wurde der Satz 1944 von einem Unbekannten aus dem Ghetto Łódź.
Die in ihm ausgedrückte Hoffnung, das Elementarrecht auf Leben „erlaubt“ zu bekommen – wie man vielleicht den Zugang zu einem Luxusgegenstand eingeräumt erhält –, bezeugt den kompletten Kollaps zivilisatorischer Kategorien. Das Feld aber, auf dem die Praxis der Entmenschlichung ihre ganze Monstrosität enthüllt, ist dasjenige der Sprache.
Bäcker hat in seinem zweibändigen Grundlagenwerk nachschrift (1986/1997) das Idiom der Endlösungstäter seiner Inhumanität überführt. Er hat im Archiv der Zahlenreihen und Protokolle, der Reichsbahnverzeichnisse und Totenlisten Einsicht genommen. Bäcker hat das verdruckste Herumgerede dokumentiert, den gestelzten Jargon der Ableugnung, dem man in jeder Silbe seine dämonische Beflissenheit anmerkt: in Wörtern wie „Ausrottungserleichterungen“.
All das hat Heimrad Bäcker in sparsamste Text- und Bildanordnungen übersetzt. Und so bildet die Ausstellung ihrerseits ein Postskriptum: Seit 2015 befindet sich der fotografische Nachlass Bäckers, ein Konvolut von 14.000 Aufnahmen, als Schenkung der Familie in der museumseigenen Sammlung.
Die von Marie-Therese Hochwartner, Nora Linser und Susanne Neuburger mustergültig konzipierte Schau, entstanden in Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, errichtet aus Sätzen, Schriftbildern und Fotoserien einen Parcours auf Pressspanplatten.
Die toten Gleiskörper in Mauthausen und Umgebung, die Narben im Granit der Felswände verhalten sich ihrerseits wie Schriftzeichen. In ihnen – und mit ihnen – überschrieb Bäcker seine, wie er meinte: unauslöschliche Schuld. Hatte er als junger Mann doch in der Regionalausgabe des Völkischen Beobachters Hoffnungen auf den sogenannten „Endsieg“ geäußert. Ihn ließ das Bewusstsein seiner vor ihm selbst einbekannten Schuld das ganze Leben lang nicht mehr los.