Sie ist das ORF-Gesicht in Moskau. Susanne Scholl – aus dem Korrespondenten-Netz des ORF nicht wegzudenken. Dennoch steht jetzt der Abschied bevor. Wie hat sie Russland erlebt, wie das jüdische Leben in Moskau? Wie war ihr Erwachsenwerden als jüdisches Mädchen in einer kommunistischen Familie in Wien und was ist ihr Lebenstraum?
Ein Gespräch mit Danielle Spera (Interview) und Jacqueline Godany (Fotos)
NU: Sie sind in Wien geboren, haben in Rom studiert, lange in Deutschland gearbeitet, den Großteil Ihres Lebens in Moskau verbracht, wo sind Sie zu Hause?
Scholl: Das ist die schönste Frage: Ich fühle mich dort zu Hause, wo meine Freunde sind und die sind auf der ganzen Welt verteilt. Natürlich fühlt man sich auch dort zu Hause, wo man die Sprache perfekt beherrscht, vor allem, wenn man so eng mit der Sprache arbeitet wie wir. Da fühle ich mich natürlich in erster Linie in Österreich zu Hause, auch vom kulturellen Hintergrund. Ich fühle mich aber auch im Russischen und in der italienischen Sprache zu Hause, da ich beide wie meine Muttersprache spreche.
Wie beeinflusst das das Denken, das Träumen, träumen Sie auf Russisch?
Manchmal denke ich in einem Gemisch, meistens aber in Deutsch. Wenn ich in Moskau unterwegs bin, denke ich russisch. Es ist lustig, in Russland träume ich russisch, in Italien italienisch und hier deutsch.
All das ist ja kein Zufall, Sie kommen aus einer weitverzweigten jüdischen Familie, Ihre Eltern waren in der englischen Emigration.
Meine Eltern sind zwar Juden. Sie sind nicht nur Agnostiker, sondern vor allem Kommunisten gewesen. Mein Vater hat sein Judentum fast abgelehnt. Er meinte, er will nicht die Definition der Nazis übernehmen. Er war nicht gläubig, er war Kommunist und daher hat er sich nicht als Jude betrachtet. Das war ein großer Streitpunkt zwischen uns. Als ich als junges Mädchen öfter Alpträume hatte, dass uns die Nazis holen kommen, habe ich ihm gesagt, dass das etwas ist, das wir nicht verleugnen können, auch wenn wir nicht religiös sind.
Woher kam diese Ablehnung seines Judentums?
Mein Vater stammte aus einer total assimilierten Familie, er ist getauft worden. Im Gegensatz zu meiner Mutter, sie kam aus einer sozialistischen Familie, ihr weiteres Umfeld, vor allem ihre Großmutter, war sehr religiös. Von dort kam das Wissen über die Traditionen des Judentums.
Wo haben sich die Eltern dann getroffen?
Meine Eltern haben sich in der Emigration kennengelernt, hier in Wien hätten sie sich nie getroffen. Meine Mutter kam von der „Mazzesinsel“ im zweiten Bezirk, mein Vater aus Pötzleinsdorf, sozusagen „Lumpenproletariat meets Großbürgertum“. Meine Mutter stammte aus einer Eisenbahnerfamilie, also nicht richtiges Lumpenproletariat, aber sie haben unter unbeschreiblichen Bedingungen gelebt. Vater, Mutter und vier Töchter in einer winzigen Zimmer- Küche-Kabinett-Wohnung. Mein Vater dagegen ist in einer Villa in Pötzleinsdorf aufgewachsen. Kennengelernt haben sie sich in der englischen Emigration, im Austrian Center, dem Mittelpunkt der – wie man so schön gesagt hat – kommunistischen Konspiration in Großbritannien. Meiner Mutter war das gar nicht so bewusst, meinem Vater schon, denn er hatte ja schon in Wien mit dieser Partei zusammengearbeitet. Meine Mutter hat sich dort als Kellnerin ihr Geld verdient. Die Geschichte, wie sie sich kennengelernt haben, ist eigentlich filmreif. Er hat sich bei ihr ein Gulasch bestellt, sie war aber so müde, da hat er sie eingeladen, sich zu ihm zu setzen. Der Trauzeuge bei der Hochzeit hat dann immer erzählt: „Der Friedl hat die Thea nur geheiratet, damit er endlich zu seinem Gulasch kommt.“
Warum sind die Eltern nach Österreich zurückgekommen?
Meine Eltern sind sehr früh, schon 1947, zurückgekommen, mit der festen Überzeugung, in Österreich den Kommunismus aufzubauen. Das ist auch zu einem Running Gag geworden, denn ich habe immer gesagt, Gott sei Dank ist es ihnen nicht geglückt. Ich glaube auch, dass meine Eltern nach Österreich zurückgekehrt sind, weil sie wissen wollten, was aus ihren Familien geworden ist. Mein Vater wusste schon früh, dass seine Eltern umgekommen sind, meine Mutter hat erst in Wien die traurige Wahrheit erfahren.
Sie haben nicht überlebt?
Ihre Eltern sind nach Minsk deportiert worden. Ich war erst vor Kurzem dort und habe den Ort besucht, an dem sie erschossen worden sind, jetzt kommen mir noch die Tränen. Dort gibt es nur ein Denkmal, das an die sowjetischen Opfer erinnert. Die Juden, die dort ermordet worden sind, werden mit keinem Wort erwähnt. Das Ganze gleicht einem heruntergekommenen Park mit Zigarettenstummeln und zerbrochenen Bierflaschen auf dem Boden. Die Menschen gehen achtlos über diesen Boden, unter dem hunderte Ermordete liegen. Ich habe nicht einmal einen Stein hinlegen können. Es ist so unwürdig.
Sie haben erzählt, dass Sie von den Nazis geträumt haben, hatten Sie antisemitische Erlebnisse in der Kindheit, in der Schule, als Jugendliche?
In der Schule nicht, ich war ja in der Stubenbastei, dort waren damals die Hälfte der Kinder Juden. Aber zum Beispiel am Skikurs, da ist einer der Ortsansässigen zu uns gekommen und hat, als wir laut waren, gerufen: „Na, da geht’s zu wie in einer Judenschul!“ Keiner unserer Lehrer hat ihn zurechtgewiesen. Oder einmal, als ich mit meiner Mutter im Taxi gefahren bin und der Taxler hat ständig über den „Saujuden Kreisky“ geschimpft. Da hat meine Mutter sehr komisch reagiert. Sie hat kein Wort gesagt, ihm beim Aussteigen noch ein großzügiges Trinkgeld gegeben und ganz ruhig gesagt: „Wissen Sie, ich bin auch Jüdin.“ Da ist er dagestanden wie ein begossener Pudel.
Wie haben Sie reagiert?
Ich weiß, dass ich in ähnlichen Situationen lange Zeit geschwiegen habe. Ich habe lange gebraucht, bis ich gesagt habe: Ja, ich bin Jüdin und ich lasse mir das nicht mehr gefallen. Es kamen ja immer wieder solche Aussagen, eine halb angezündete Zigarette wurde „Jud“ genannt. Ich hatte aber nicht den Mut aufzustehen und etwas zu sagen. Allerdings bin ich in einer Situation aufgewachsen, wo wir mit solchen Dingen ganz selten konfrontiert worden sind. Unser gesamter Freundeskreis war jüdisch-kommunistisch, die Nichtjuden kann ich an einer Hand abzählen.
Wie geht es Ihnen jetzt angesichts der Ereignisse in Österreich?
Ganz schlecht! Bisher hatte ich das Gefühl, ich kann das aus der Distanz beobachten, aber jetzt, da meine Rückkehr nach Wien vor der Tür steht, kann ich sehr schlecht damit umgehen. Ich mache mir große Sorgen, weil es sich plötzlich so häuft. Andererseits gibt es auch eine starke Gegenbewegung von Menschen, die sagen, das kann man nicht so stehen lassen. Denken Sie nur an die Petitionen, die den Rücktritt von Martin Graf als Parlamentspräsident fordern. Das hat mich wirklich gefreut. Also, die Ablehnungsfront ist da. Trotzdem: Dass diese Dinge passieren, unter Schülern, unter Jugendlichen, das finde ich sehr bedenklich, was mich besonders irritiert, ist die Hilflosigkeit, mit der man diesen Dingen gegenübersteht. Jetzt müsste man aufschreien! Was man tun muss, ist den Leuten zu sagen, dass die Versprechen eines Heinz-Christian Strache nie umgesetzt werden, im Gegenteil, sie gefährden unsere Zukunft.
Wie schaut es denn in Russland aus, ist Antisemitismus spürbar?
Ja, eigentlich schon. Wobei sich der Antisemitismus derzeit mit dem generellen Rassismus die Waage hält. Fast noch gefährlicher ist derzeit das anti-kaukasische und das anti-moslemische Klima. Wenn meine tschetschenischen Freundinnen allein in Moskau unterwegs sind, habe ich Angst um sie, oder um die schwarzafrikanischen Freunde meiner Kinder. Das ist zum Teil lebensgefährlich, sogar ein zehnjähriges tadschikisches Mädchen ist in Petersburg ermordet worden. Die Rassisten schrecken vor nichts zurück. Alles, was nur in Ansätzen anders ist, ist ein Feindbild. Der Antisemitismus ist allerdings immer allgegenwärtig. Immer wieder bin ich mit Aussagen konfrontiert, dass die Juden alles kaputt machen und nur stehlen würden. Bis hin zu Alexander Solschenizyn, der doch immer als DIE moralische Autorität gegolten hat. Nun, sein letztes Buch – es heißt „200 Jahre gemeinsam“ – ist ein einziges antisemitisches Machwerk. Er hat darin geschrieben, dass an allem Elend in Russland die Juden schuld seien. Während die braven russischen Soldaten gekämpft haben, seien die Juden seelenruhig im Hinterland gesessen. Das ist ungeheuerlich. Es findet auch keiner etwas dabei.
Und die Politik?
Es gibt auch so verlogene Aktionen: Wladimir Putin zündet auf dem Manegeplatz Kerzen auf einer großen Hanukkia an. Gleichzeitig fördern und befördern sie den Antisemitismus aber noch. Genauso wie den Hass auf die Kaukasier, oder die Tschetschenen. Wenn Putin wörtlich sagt, wir werden die Tschetschenen im Klo hinunterspülen, dann heißt das, alle Schleusen sind geöffnet … Über die Juden würde er das derzeit nicht sagen, denn sie sind momentan nicht das Feindbild Nummer eins. Das kann sich aber jederzeit ändern.
Wie sehr spielt es eine Rolle, dass einige der sagenumwobenen Oligarchen Juden sind?
Natürlich dienen die paar Oligarchen, die Juden sind, als Vorwand für den Antisemitismus. Das spielt eine große Rolle! Da heißt es immer, das sind die Männer, die das russische Volk ausgeraubt haben. Oligarch ist dann quasi das Synonym für Jude.
Wie sehr ist denn der Fall Michail Chodorkowskis mit antisemitischen Gefühlen verbunden? Kann das auch mit ein Grund dafür sein, dass man in seinem Fall so kategorisch auf stur schaltet?
Da ist die einhellige Meinung: Ja, der soll ruhig im Gefängnis bleiben, der diebische Jude, er soll noch mindestens zwanzig Jahre sitzen. Putin trägt allerdings mit Chodorkowski eine Privatfehde aus. Es hat aber natürlich auch damit zu tun, dass er den Juden zeigen möchte, wo ihr Platz ist. Aber auch um deutlich zu sagen, dass sich niemand in die Politik einmischen darf. Das heißt, da wird ein Exempel statuiert. Ganz sicher. Es ist der Rachefeldzug Putins, der ihn hasst, weil Chodorkowski das Land demokratisieren wollte. Das kann Putin ganz und gar nicht gebrauchen. Diese politischen Ambitionen will Putin nicht dulden. Aber für die Menschen bleibt über: der Jude Chodorkowski. Es ist immer ein Thema, ob jemand Jude ist oder nicht. In den 1990er Jahren kam ein berühmter Film heraus, in dem thematisiert wurde, dass Lenin eine jüdische Großmutter hatte. Lenin hatte aber auch eine tatarische Großmutter. Thema war aber dann nur die jüdische Großmutter, das heißt, das kommt immer wieder hoch. Dennoch scheint diese „Gelenkte Demokratie“, wie man diese Bevormundung gern schön umschreibt, bei den Menschen in Russland anzukommen beziehungsweise begehren sie dagegen nicht auf. Die Menschen in Russland haben resigniert. Man darf nicht vergessen, dass die letzten 20 Jahre für die Russen sehr belastend und deprimierend waren, es hat zwei Kriege mit vielen Toten gegeben. Mit dem Ende der Sowjetunion hatten die Menschen den Eindruck, sie haben ihre Sicherheit verloren, einschließlich ihres Geldes. Sie sind müde. Das Land hat keine Atempause gehabt. Zuerst die Zaren, dann eine ähnliche Leibeigenschaft im Kommunismus, dann das Chaos nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Versuch, in eine demokratische Richtung zu gehen, ohne dass je jemand erklärt hätte, wie das funktionieren soll. Es will zwar keiner zurück, aber es weiß auch keiner, wie es weitergehen soll. Die Stimmung ist, die Politiker sollen mich in Ruhe lassen und ich lasse sie in Ruhe. So als ob die Politik und das Leben zwei verschiedene Dinge wären.
Putin, Medwedew, man hat den Eindruck, dass keiner mehr weiß, wer ist der Präsident, wer der Regierungschef, wer hat tatsächlich die Macht in Händen?
Medwedew ist eine Marionette Putins, Putin sagt, wo es langgeht, es könnte sein, dass Medwedew vor dem Ende seiner Regierungszeit abgelöst wird, das hängt ein bisschen von der Wirtschaftslage ab.
Interessieren sich die Russen überhaupt für Politik?
Sie versuchen, sich so wenig wie möglich dafür zu interessieren. Sie merken, dass das etwas ist, woran sie nicht teilhaben. Die Menschen gehen jetzt nur noch auf die Straße, wenn es um ihr Geldbörsel geht. Jeder Protest wird sehr brutal aufgelöst, auch wenn nur ein paar Dutzend Menschen demonstrieren. Der Repressionsapparat funktioniert ziemlich gut, vor allem in den Provinzen, wo ja ausschließlich Handlanger Putins sitzen.
Wie schaut das jüdische Leben in Moskau aus?
Es gibt wieder ein jüdisches Leben, ich nehme daran aber nicht sehr aktiv teil. Es gibt mehrere funktionierende Synagogen, ein lebendiges jüdisches Zentrum. Das ist zum Teil ganz amüsant, denn es gibt viele Juden, die keine Ahnung haben: Ich habe zu Yom Kippur ein Mädchen im Tempel beobachtet, das genüsslich während des Gottesdienstes eine fette Wurstsemmel verspeist hat. Der Gottesdienst wird auf Russisch gelesen, denn kaum jemand spricht hebräisch. Es gibt einen schönen jüdischen Chor, da singen, glaube ich, zwei Juden mit, der Rest sind Nichtjuden. Das macht aber nichts, das wird auch locker genommen.
Haben Sie Ihren Kindern etwas „Jüdisches“ weitergegeben?
Meine Kinder und ich feiern als einzige Tradition Chanukka, sonst nichts, da ich nicht religiös bin. Für mich gibt es keine Tradition, bei uns zu Hause ist Weihnachten gefeiert worden und der Krampus gekommen. Das Chanukka-Feiern habe ich eingeführt, das ist uns sozusagen heilig. Früher habe ich zu Yom Kippur gefastet, das kann ich nicht mehr, da ich Diabetes habe. Meine Kinder leben aber sehr bewusst als Juden, sie sagen es ganz laut, sind politisch interessiert, für sie gibt es keinen Zweifel. Was sie von mir mitbekommen haben, ist ein gesundes jüdisches Selbstbewusstsein. Jude sein ist etwas Positives.
Das ist also anders als bei Ihren Eltern?
Das habe ich meinen Kindern mitgegeben, für mich als Kind war Jude sein etwas Gefährliches. Das haben mir meine Eltern von klein auf gesagt: Deine Großeltern sind ermordet worden, weil sie Juden waren. Die Tendenz, das zu verstecken, war natürlich sehr stark da. Keiner von uns, weder ich noch meine Geschwister, hat übrigens einen jüdischen Partner. Das hat sicher auch etwas damit zu tun.
Sie haben sich auch als Autorin einen Namen gemacht, auch mit jüdischen Themen, was inspiriert Sie?
Ich habe eigentlich immer gerne geschrieben. Die ersten Bücher haben sich mit Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion befasst. Ich hatte das Gefühl, diesen historischen Moment festhalten zu müssen. Ebenso wie beim Zerfall der DDR. Russland hat mich immer inspiriert, es ist das Land der Geschichten. Man muss jemanden nur antippen, dann bekommt man einen Roman heraus. Dann kam meine Familiengeschichte auf, als meine Mutter einen Briefwechsel zwischen meinem Vater und meinem Großvater gefunden hat. Von Mai 1939, als mein Vater emigriert ist, bis Mai 1940, als mein Großvater auf der Flucht ums Leben gekommen ist. Die Briefe hatte die Kinderfrau meines Vaters aufbewahrt. Sie hat auch meine Tante während des Kriegs bei sich aufgenommen und versteckt. Diese Briefe waren so berührend, da dachte ich, das muss ich veröffentlichen. Allein die Sprache war so schön, mein Großvater war ja Schriftsteller. Mein Vater hat so humorvoll über den Alltag in Großbritannien geschrieben. Es war spannend, wie er seine Erlebnisse in der Emigration beschrieben hat. Und mein Großvater hat den sich steigernden Terror gegen die Juden beschrieben. Wie ihm verboten wurde, sich von seinem eigenen Geld eine Schreibmaschine zu kaufen. Spannend ist auch die Geschichte meines Onkels mütterlicherseits, der nach Osten geflüchtet ist und in Riga von der sowjetischen Armee verhaftet worden ist, schließlich neben Nazis in Nordkasachstan in einem Lager interniert worden und an den Folgen gestorben ist. Und das während meine Eltern in Großbritannien dem Kommunismus völlig unkritisch gegenübergestanden sind. Später war ihnen dann schon bewusst, wie sehr es im Kommunismus auch Antisemitismus gab. Die jüdischen Kommunisten haben sich aber gemeinsam davor abgeschottet.
Heuer steht eine große Zäsur bevor, der Abschied von Moskau und der viel zu frühe „Ruhestand“. Wie wird sich Ihr Leben verändern?
Ich habe schon viele Projekte im Kopf. Mein neues Buch wird Lesungen und Vorträge nach sich ziehen. Allerdings bin ich ein fauler Mensch und habe Angst davor, dass ich den ganzen Tag im Pyjama verbringen könnte. Also, ich muss mir erst eine neue Struktur zurechtlegen. Mein neues Buch beschäftigt sich mit „Russland mit und ohne Seele“, weil ich es schon satt habe, immer nach der russischen Seele gefragt zu werden. Die ist genauso existent wie die österreichische, die französische, oder die italienische. Gleichzeitig sind die Russen aber die besten Verbreiter der Klischees über Russland. Ich habe dazu viele Russen interviewt, um einen guten Überblick zu bieten. Mein Schluss ist, dass Russland eine vaterlose Gesellschaft ist. Die Männer sind meistens nicht existent in den Familien. Das spielt eine große Rolle bei diesem unbändigen Glauben an den Zaren im Kreml, der in der Lage ist, alles zu lösen. Und alle Familien haben in Gemeinschaftswohnungen gewohnt, ob man wollte oder nicht. Eigene Wohnungen hat es erst sehr spät gegeben. Das heißt, Individualität war nie ein Thema.
Gibt es einen Lebenstraum?
Ein Traum, den ich mir jetzt erfüllen werde, ist eine Weltreise zu allen meinen Freunden, wo ich überall mindestens zwei Wochen bleiben kann. Das wird dann mein nächstes Buch. Mein größter Lebenswunsch ist jedenfalls, dass die Kinder gut versorgt sind.